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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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Eigenschaft hat, welche uns von den Romanen und Slaven unterscheidet, so
ist dieses Eigene das tiefe Bedürfniß, neben dem Egoismus unserer Arbeit
und den Familiengefühlen etwas Höheres zu haben, dem wir uns innig hin¬
geben, wodurch wir unser Leben weihen. Selten war dem Deutschen dies
Hohe sein Staat, zuweilen ein starker Kaiser, lange die Kirche, dann frem¬
des Volksthum, das uns übermäßig imponirte, endlich unsere Poesie und
Wissenschaft. Aber in den Jahrhunderten, in denen wir den Staat entbehren
mußten, ist der deutsche Zug, sich einem großen Ganzen hinzugeben, die Sehn¬
sucht, stolz zu sein, zu einem sehr leidenschaftlichen Gefühl geworden, welches
auch in den untersten Schichten des Volkes bemerkbar wird, viel wirksamer
als unsere Gegner meinen. Denn was den Deutschen im Auslande so
häufig bewog, heimische Art und Sitte 'mit der eines fremden Volkes zu ver¬
tauschen, das war im letzten Grunde nichts als das demüthigende Bewußt¬
sein eines Mangels im eignen Leben; was jetzt viele wackere Landsleute zu
eifrigen Baiern, Schwaben, Welsen macht, ist nur das gemüthliche Verhält¬
niß, in welches sie sich zu dem Staat ihrer Heimath gesetzt haben. Warum
sind die ultramontanen Deutschen die zuverlässigsten und wärmsten Anhänger
eines fremden politischen Princips? Weil die Treue und das Bedürfniß der
Hingabe an eine große Gemeinschaft ihnen tiefer im Leben sitzt als den Frem¬
den. Auch sie, die noch jetzt dem neuen Staat widerstreben, thun in der
großen Mehrzahl dies nur, weil sie wie ihre Väter in der Zeit öder Klein¬
staaterei sich einen eigenen Idealismus gesucht und ihr Herz irgendwo fest-
gesaugt t/aben. Gelingt erst dem neuen Staat, sich um alle Deutsche einzu¬
richten, so werden sie in der nächsten Generation ihre Hingabe dem großen
Vaterland ebenso widmen, wie jetzt dem kleinen, oder römischer Bruderschaft.

Freilich diese angeborne Art, sich mit dem Gemüth irgendwo zu verpflich¬
ten und an dieser Verpflichtung auch dann festzuhalten, wenn die Vernunft
dagegen spricht, erschwert jetzt die Vereinigung der deutschen Parteien zu
einem politischen Ganzen. Wenn wir nur mit den realen Interessen des
Egoismus zu rechnen hätten, wäre der Sieg viel leichter, auch die doetrinäre
Starrköpfigkeit unserer Landsleute, die oft getadelte, ist es nicht, welche den
Streit hart macht, am meisten hindert jetzt dasselbe warme Gemüth, welches,
wie wir hoffen, einst dem neuen Staat zu reichem Segen sein wird.

Gern möchten wir, daß es den süddeutschen Nachbarn in der Hauptstadt
des Nordens wohlgefalle. Wir sind deshalb nicht ohne Sorgen: das theure
und dem Süddeutschen unheimische Tagesleben, das unbehagliche Gefühl, in
unsicherer Stellung, vielleicht widerstrebend dort zu sein, und die kühle Zu¬
rückhaltung des Norddeutschen mögen im Anfange eher abstoßen, als Annä¬
herung vermitteln. Auch die süddeutschen Freunde, welche unserer Partei am
nächsten stehen, werden einige Geduld mit uns nöthig haben. Sie kommen


Eigenschaft hat, welche uns von den Romanen und Slaven unterscheidet, so
ist dieses Eigene das tiefe Bedürfniß, neben dem Egoismus unserer Arbeit
und den Familiengefühlen etwas Höheres zu haben, dem wir uns innig hin¬
geben, wodurch wir unser Leben weihen. Selten war dem Deutschen dies
Hohe sein Staat, zuweilen ein starker Kaiser, lange die Kirche, dann frem¬
des Volksthum, das uns übermäßig imponirte, endlich unsere Poesie und
Wissenschaft. Aber in den Jahrhunderten, in denen wir den Staat entbehren
mußten, ist der deutsche Zug, sich einem großen Ganzen hinzugeben, die Sehn¬
sucht, stolz zu sein, zu einem sehr leidenschaftlichen Gefühl geworden, welches
auch in den untersten Schichten des Volkes bemerkbar wird, viel wirksamer
als unsere Gegner meinen. Denn was den Deutschen im Auslande so
häufig bewog, heimische Art und Sitte 'mit der eines fremden Volkes zu ver¬
tauschen, das war im letzten Grunde nichts als das demüthigende Bewußt¬
sein eines Mangels im eignen Leben; was jetzt viele wackere Landsleute zu
eifrigen Baiern, Schwaben, Welsen macht, ist nur das gemüthliche Verhält¬
niß, in welches sie sich zu dem Staat ihrer Heimath gesetzt haben. Warum
sind die ultramontanen Deutschen die zuverlässigsten und wärmsten Anhänger
eines fremden politischen Princips? Weil die Treue und das Bedürfniß der
Hingabe an eine große Gemeinschaft ihnen tiefer im Leben sitzt als den Frem¬
den. Auch sie, die noch jetzt dem neuen Staat widerstreben, thun in der
großen Mehrzahl dies nur, weil sie wie ihre Väter in der Zeit öder Klein¬
staaterei sich einen eigenen Idealismus gesucht und ihr Herz irgendwo fest-
gesaugt t/aben. Gelingt erst dem neuen Staat, sich um alle Deutsche einzu¬
richten, so werden sie in der nächsten Generation ihre Hingabe dem großen
Vaterland ebenso widmen, wie jetzt dem kleinen, oder römischer Bruderschaft.

Freilich diese angeborne Art, sich mit dem Gemüth irgendwo zu verpflich¬
ten und an dieser Verpflichtung auch dann festzuhalten, wenn die Vernunft
dagegen spricht, erschwert jetzt die Vereinigung der deutschen Parteien zu
einem politischen Ganzen. Wenn wir nur mit den realen Interessen des
Egoismus zu rechnen hätten, wäre der Sieg viel leichter, auch die doetrinäre
Starrköpfigkeit unserer Landsleute, die oft getadelte, ist es nicht, welche den
Streit hart macht, am meisten hindert jetzt dasselbe warme Gemüth, welches,
wie wir hoffen, einst dem neuen Staat zu reichem Segen sein wird.

Gern möchten wir, daß es den süddeutschen Nachbarn in der Hauptstadt
des Nordens wohlgefalle. Wir sind deshalb nicht ohne Sorgen: das theure
und dem Süddeutschen unheimische Tagesleben, das unbehagliche Gefühl, in
unsicherer Stellung, vielleicht widerstrebend dort zu sein, und die kühle Zu¬
rückhaltung des Norddeutschen mögen im Anfange eher abstoßen, als Annä¬
herung vermitteln. Auch die süddeutschen Freunde, welche unserer Partei am
nächsten stehen, werden einige Geduld mit uns nöthig haben. Sie kommen


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[0166] Eigenschaft hat, welche uns von den Romanen und Slaven unterscheidet, so ist dieses Eigene das tiefe Bedürfniß, neben dem Egoismus unserer Arbeit und den Familiengefühlen etwas Höheres zu haben, dem wir uns innig hin¬ geben, wodurch wir unser Leben weihen. Selten war dem Deutschen dies Hohe sein Staat, zuweilen ein starker Kaiser, lange die Kirche, dann frem¬ des Volksthum, das uns übermäßig imponirte, endlich unsere Poesie und Wissenschaft. Aber in den Jahrhunderten, in denen wir den Staat entbehren mußten, ist der deutsche Zug, sich einem großen Ganzen hinzugeben, die Sehn¬ sucht, stolz zu sein, zu einem sehr leidenschaftlichen Gefühl geworden, welches auch in den untersten Schichten des Volkes bemerkbar wird, viel wirksamer als unsere Gegner meinen. Denn was den Deutschen im Auslande so häufig bewog, heimische Art und Sitte 'mit der eines fremden Volkes zu ver¬ tauschen, das war im letzten Grunde nichts als das demüthigende Bewußt¬ sein eines Mangels im eignen Leben; was jetzt viele wackere Landsleute zu eifrigen Baiern, Schwaben, Welsen macht, ist nur das gemüthliche Verhält¬ niß, in welches sie sich zu dem Staat ihrer Heimath gesetzt haben. Warum sind die ultramontanen Deutschen die zuverlässigsten und wärmsten Anhänger eines fremden politischen Princips? Weil die Treue und das Bedürfniß der Hingabe an eine große Gemeinschaft ihnen tiefer im Leben sitzt als den Frem¬ den. Auch sie, die noch jetzt dem neuen Staat widerstreben, thun in der großen Mehrzahl dies nur, weil sie wie ihre Väter in der Zeit öder Klein¬ staaterei sich einen eigenen Idealismus gesucht und ihr Herz irgendwo fest- gesaugt t/aben. Gelingt erst dem neuen Staat, sich um alle Deutsche einzu¬ richten, so werden sie in der nächsten Generation ihre Hingabe dem großen Vaterland ebenso widmen, wie jetzt dem kleinen, oder römischer Bruderschaft. Freilich diese angeborne Art, sich mit dem Gemüth irgendwo zu verpflich¬ ten und an dieser Verpflichtung auch dann festzuhalten, wenn die Vernunft dagegen spricht, erschwert jetzt die Vereinigung der deutschen Parteien zu einem politischen Ganzen. Wenn wir nur mit den realen Interessen des Egoismus zu rechnen hätten, wäre der Sieg viel leichter, auch die doetrinäre Starrköpfigkeit unserer Landsleute, die oft getadelte, ist es nicht, welche den Streit hart macht, am meisten hindert jetzt dasselbe warme Gemüth, welches, wie wir hoffen, einst dem neuen Staat zu reichem Segen sein wird. Gern möchten wir, daß es den süddeutschen Nachbarn in der Hauptstadt des Nordens wohlgefalle. Wir sind deshalb nicht ohne Sorgen: das theure und dem Süddeutschen unheimische Tagesleben, das unbehagliche Gefühl, in unsicherer Stellung, vielleicht widerstrebend dort zu sein, und die kühle Zu¬ rückhaltung des Norddeutschen mögen im Anfange eher abstoßen, als Annä¬ herung vermitteln. Auch die süddeutschen Freunde, welche unserer Partei am nächsten stehen, werden einige Geduld mit uns nöthig haben. Sie kommen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/166>, abgerufen am 15.01.2025.