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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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und die Bildung zu erhöhen, in allen Kreisen wächst, mit welcher Aufopfe¬
rung in der Wissenschaft hervorragende Männer ihre Zeit öffentlichen Vor¬
trägen widmen, und wie die ernstesten auf kein leeres Amüsement berechneten
Gegenstände den stärksten Zudrang hervorrufen. Will man es etwa -- um
nur ein Beispiel anzuführen -- dem Zufall zuschreiben, daß die bekannten
LontiZreneW, welche sonst nur Abends das vornehme, an geistreichen Spielen
Gefallen 'findende Publicum versammelten, ihren Wirkungskreis so erweitert
haben, daß in ihrem Local Mittags Unterricht für junge Mädchen und Nach¬
mittags wissenschaftliche Vorlesungen über Anatomie, Physik, Geographie,
Geschichte, Literatur:c. von bedeutenden Gelehrten gehalten werden.

Auch den Charakter der Literatur in den letzten Jahren darf man nicht
übersehen. Nicht nur die Zahl der Werke, welche ernstere Gegenstände be¬
handeln, hat sich vermehrt, sondern vor allen Dingen ist auf den veränderten
Ton zu achten, welcher auch in Büchern leichteren Inhalts herrscht. Vor ei¬
nigen Jahren standen Erscheinungen wie Jules Simon's Buch über "die
Schule" ziemlich vereinzelt da; sein neuestes Werk "l'ouvrier ne Kult ans"
gesellt sich zu vielen anderen bald nachher erschienenen, in denen verwandte
Fragen mit bewunderungswürdiger Sachkenntniß und edler Leidenschaft be¬
sprochen werden.

Bezeichnend ist es gewiß, daß der Inhalt des kürzlich herausgekommenen
Buches von Herrn Renan "c^uestioos evntömxorcüuss^ seinem größten Theile
nach von Fragen über Hebung des Unterrichts und der Bildung ausgefüllt
wird. Die Deutschen empfangen in diesem Werke wegen der Organisation
ihres Universitätsunterrichts manche Schmeicheleien; auf denselben Seiten kann
man aber Andeutungen oder geradezu Aussprüche lesen, die uns vor dem
Glauben an die Sicherheit unserer Superiorität auf diesem Gebiete bewah¬
ren, jedenfalls aber reichlich zu denken geben können.

Ebensowenig kann man es nur dem bon Misil- zuschreiben, wenn Eugene
Despois, der sich zur Aufgabe gemacht hat, nachzuweisen, daß die Frei¬
heit, namentlich die republicanische, der Entwickelung des Menschen förder¬
licher ist, als die Gunst der Despoten, zum Gegenstand seiner neuesten
Schrift "I^ö VÄlläAUsms röpuWecüu" (ironisch zu verstehen!) die Frage gewählt
hat: was der Convent für die öffentliche Bildung und den Unterricht in
Frankreich gethan habe? Seine historischen Untersuchungen haben wieder in
Erinnerung gebracht, daß die bedeutendsten Institute für Förderung der
Wissenschaft und Volksbildung aus jener Zeit der Republik stammen.

Die Ereignisse des Jahres 1866 haben hier -- nicht blos bei der Ne¬
gierung -- sondern in weiten Kreisen die Ueberzeugung hervorgerufen, daß
Frankreich, um seine dominirende Stellung wieder zu erobern, sich nicht
mit der Verbesserung seiner Waffen und der Hebung seiner Kriegsmacht be-


und die Bildung zu erhöhen, in allen Kreisen wächst, mit welcher Aufopfe¬
rung in der Wissenschaft hervorragende Männer ihre Zeit öffentlichen Vor¬
trägen widmen, und wie die ernstesten auf kein leeres Amüsement berechneten
Gegenstände den stärksten Zudrang hervorrufen. Will man es etwa — um
nur ein Beispiel anzuführen — dem Zufall zuschreiben, daß die bekannten
LontiZreneW, welche sonst nur Abends das vornehme, an geistreichen Spielen
Gefallen 'findende Publicum versammelten, ihren Wirkungskreis so erweitert
haben, daß in ihrem Local Mittags Unterricht für junge Mädchen und Nach¬
mittags wissenschaftliche Vorlesungen über Anatomie, Physik, Geographie,
Geschichte, Literatur:c. von bedeutenden Gelehrten gehalten werden.

Auch den Charakter der Literatur in den letzten Jahren darf man nicht
übersehen. Nicht nur die Zahl der Werke, welche ernstere Gegenstände be¬
handeln, hat sich vermehrt, sondern vor allen Dingen ist auf den veränderten
Ton zu achten, welcher auch in Büchern leichteren Inhalts herrscht. Vor ei¬
nigen Jahren standen Erscheinungen wie Jules Simon's Buch über „die
Schule" ziemlich vereinzelt da; sein neuestes Werk „l'ouvrier ne Kult ans"
gesellt sich zu vielen anderen bald nachher erschienenen, in denen verwandte
Fragen mit bewunderungswürdiger Sachkenntniß und edler Leidenschaft be¬
sprochen werden.

Bezeichnend ist es gewiß, daß der Inhalt des kürzlich herausgekommenen
Buches von Herrn Renan „c^uestioos evntömxorcüuss^ seinem größten Theile
nach von Fragen über Hebung des Unterrichts und der Bildung ausgefüllt
wird. Die Deutschen empfangen in diesem Werke wegen der Organisation
ihres Universitätsunterrichts manche Schmeicheleien; auf denselben Seiten kann
man aber Andeutungen oder geradezu Aussprüche lesen, die uns vor dem
Glauben an die Sicherheit unserer Superiorität auf diesem Gebiete bewah¬
ren, jedenfalls aber reichlich zu denken geben können.

Ebensowenig kann man es nur dem bon Misil- zuschreiben, wenn Eugene
Despois, der sich zur Aufgabe gemacht hat, nachzuweisen, daß die Frei¬
heit, namentlich die republicanische, der Entwickelung des Menschen förder¬
licher ist, als die Gunst der Despoten, zum Gegenstand seiner neuesten
Schrift „I^ö VÄlläAUsms röpuWecüu" (ironisch zu verstehen!) die Frage gewählt
hat: was der Convent für die öffentliche Bildung und den Unterricht in
Frankreich gethan habe? Seine historischen Untersuchungen haben wieder in
Erinnerung gebracht, daß die bedeutendsten Institute für Förderung der
Wissenschaft und Volksbildung aus jener Zeit der Republik stammen.

Die Ereignisse des Jahres 1866 haben hier — nicht blos bei der Ne¬
gierung — sondern in weiten Kreisen die Ueberzeugung hervorgerufen, daß
Frankreich, um seine dominirende Stellung wieder zu erobern, sich nicht
mit der Verbesserung seiner Waffen und der Hebung seiner Kriegsmacht be-


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[0148] und die Bildung zu erhöhen, in allen Kreisen wächst, mit welcher Aufopfe¬ rung in der Wissenschaft hervorragende Männer ihre Zeit öffentlichen Vor¬ trägen widmen, und wie die ernstesten auf kein leeres Amüsement berechneten Gegenstände den stärksten Zudrang hervorrufen. Will man es etwa — um nur ein Beispiel anzuführen — dem Zufall zuschreiben, daß die bekannten LontiZreneW, welche sonst nur Abends das vornehme, an geistreichen Spielen Gefallen 'findende Publicum versammelten, ihren Wirkungskreis so erweitert haben, daß in ihrem Local Mittags Unterricht für junge Mädchen und Nach¬ mittags wissenschaftliche Vorlesungen über Anatomie, Physik, Geographie, Geschichte, Literatur:c. von bedeutenden Gelehrten gehalten werden. Auch den Charakter der Literatur in den letzten Jahren darf man nicht übersehen. Nicht nur die Zahl der Werke, welche ernstere Gegenstände be¬ handeln, hat sich vermehrt, sondern vor allen Dingen ist auf den veränderten Ton zu achten, welcher auch in Büchern leichteren Inhalts herrscht. Vor ei¬ nigen Jahren standen Erscheinungen wie Jules Simon's Buch über „die Schule" ziemlich vereinzelt da; sein neuestes Werk „l'ouvrier ne Kult ans" gesellt sich zu vielen anderen bald nachher erschienenen, in denen verwandte Fragen mit bewunderungswürdiger Sachkenntniß und edler Leidenschaft be¬ sprochen werden. Bezeichnend ist es gewiß, daß der Inhalt des kürzlich herausgekommenen Buches von Herrn Renan „c^uestioos evntömxorcüuss^ seinem größten Theile nach von Fragen über Hebung des Unterrichts und der Bildung ausgefüllt wird. Die Deutschen empfangen in diesem Werke wegen der Organisation ihres Universitätsunterrichts manche Schmeicheleien; auf denselben Seiten kann man aber Andeutungen oder geradezu Aussprüche lesen, die uns vor dem Glauben an die Sicherheit unserer Superiorität auf diesem Gebiete bewah¬ ren, jedenfalls aber reichlich zu denken geben können. Ebensowenig kann man es nur dem bon Misil- zuschreiben, wenn Eugene Despois, der sich zur Aufgabe gemacht hat, nachzuweisen, daß die Frei¬ heit, namentlich die republicanische, der Entwickelung des Menschen förder¬ licher ist, als die Gunst der Despoten, zum Gegenstand seiner neuesten Schrift „I^ö VÄlläAUsms röpuWecüu" (ironisch zu verstehen!) die Frage gewählt hat: was der Convent für die öffentliche Bildung und den Unterricht in Frankreich gethan habe? Seine historischen Untersuchungen haben wieder in Erinnerung gebracht, daß die bedeutendsten Institute für Förderung der Wissenschaft und Volksbildung aus jener Zeit der Republik stammen. Die Ereignisse des Jahres 1866 haben hier — nicht blos bei der Ne¬ gierung — sondern in weiten Kreisen die Ueberzeugung hervorgerufen, daß Frankreich, um seine dominirende Stellung wieder zu erobern, sich nicht mit der Verbesserung seiner Waffen und der Hebung seiner Kriegsmacht be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/148>, abgerufen am 15.01.2025.