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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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Cardinälen ohne Weiteres bei Seite gesetzt, und Soderini votirte nicht allein
mit, sondern erhielt selbst zahlreiche Stimmen. Am interessantesten ist aber
der Fall des Cardinal Coscia. Cardinal Coscia war wegen gemeiner Ver¬
brechen degradirt, seines Stimmrechtes beraubt und zu zehn Jahren Gesang-
riß nebst anderen entehrenden Strafen verurtheilt worden. Papst Cle¬
mens XII (Corsini), der an der Schuld von Coscia nicht den geringsten
Zweifel hatte und die Strafen vollständig gerechtfertigt fand, hatte dennoch
Bedenken, ob seine Ausschließung von einem etwaigen Conclave die Papst¬
wahl ungiltig machen würde. In einem interessanten eigenhändigen Schrift¬
stücke, das Herr Cartwright in der Corsinischen Bibliothek gefunden hat,
erwägt der Papst alle Gründe für und gegen, und kommt zu dem Schlüsse,
daß Coscia seines Stimmrechtes nicht beraubt werden könne. In der That
wurde er bei der eintretenden Papstwahl von 1740 aus dem Gefängniß
ins Conclave, und nach beendigtem Conclave wieder ins Gefängniß zurück¬
gebracht.

Dies sind die wichtigsten, obgleich nicht die einzigen Beispiele, die Herr
Cartwright für seine Behauptung anführt. Sie sind gewichtig genug, und
dennoch tragen wir Bedenken uns seiner Ansicht unbedingt anzuschließen.
Denn wenn es von der einen Seite nicht an Bullen fehlt, die das Stimm¬
recht der Cardinäle für unantastbar erklären, so gibt es andererseits auch
solche, durch welche Cardinäle ihres Stimmrechtes beraubt wurden, und die
wirklich ausgeführt sind. Der Fall des Cardinals Antici, den uns Herr
Cartwright selbst (S. 142) mittheilt, scheint uns zu diesen zu gehören. Es ist
allerdings wahr, daß Antici darum gebeten hatte, seiner Würde als Cardinal
entkleidet zu werden. Das canonische Recht läßt aber keine bloße Entsagung
zu. und wenn Antici überhaupt seines Wahlrechtes verlustig geworden ist, so
kann es nur die Folge des gegen ihn gerichteten Breves des Papstes Pius VI.
vom 7. September 1798 gewesen sein. Daß aber nach der Ansicht der Kirche
Antici sein Wahlrecht verloren hat, kann nicht bezweifelt werden, da er bei
der Papstwahl von 1823, an der er Theil zu nehmen versuchte, entschieden
zurückgewiesen wurde. Ein anderer Fall ist der der fünf Cardinäle, die beim
schismatischen Concil von Pisa zugegen waren. Sie wurden von Julius II-
degradirt. ihres Stimmrechtes für verlustig erklärt, und haben nicht bei der
Wahl von Leo X. angestimmt, ohne dadurch seine Wahl ungiltig zu
machen.

Diese Beispiele müssen uns hier genügen. Die Sache scheint nach dem
Gesagten so zu stehen: für Beides, die Unantastbarkeit des Wahlrechtes
und ^den Verlust desselben können Präcedenzfälle aufgefunden werden, und
wir glauben, daß Herr Cartwright zu weit geht, wenn er Pius IX. vor¬
wirft, ein "unwiderrufbar erworbenes Vorrecht" der Cardinäle bei Seite ge-


Cardinälen ohne Weiteres bei Seite gesetzt, und Soderini votirte nicht allein
mit, sondern erhielt selbst zahlreiche Stimmen. Am interessantesten ist aber
der Fall des Cardinal Coscia. Cardinal Coscia war wegen gemeiner Ver¬
brechen degradirt, seines Stimmrechtes beraubt und zu zehn Jahren Gesang-
riß nebst anderen entehrenden Strafen verurtheilt worden. Papst Cle¬
mens XII (Corsini), der an der Schuld von Coscia nicht den geringsten
Zweifel hatte und die Strafen vollständig gerechtfertigt fand, hatte dennoch
Bedenken, ob seine Ausschließung von einem etwaigen Conclave die Papst¬
wahl ungiltig machen würde. In einem interessanten eigenhändigen Schrift¬
stücke, das Herr Cartwright in der Corsinischen Bibliothek gefunden hat,
erwägt der Papst alle Gründe für und gegen, und kommt zu dem Schlüsse,
daß Coscia seines Stimmrechtes nicht beraubt werden könne. In der That
wurde er bei der eintretenden Papstwahl von 1740 aus dem Gefängniß
ins Conclave, und nach beendigtem Conclave wieder ins Gefängniß zurück¬
gebracht.

Dies sind die wichtigsten, obgleich nicht die einzigen Beispiele, die Herr
Cartwright für seine Behauptung anführt. Sie sind gewichtig genug, und
dennoch tragen wir Bedenken uns seiner Ansicht unbedingt anzuschließen.
Denn wenn es von der einen Seite nicht an Bullen fehlt, die das Stimm¬
recht der Cardinäle für unantastbar erklären, so gibt es andererseits auch
solche, durch welche Cardinäle ihres Stimmrechtes beraubt wurden, und die
wirklich ausgeführt sind. Der Fall des Cardinals Antici, den uns Herr
Cartwright selbst (S. 142) mittheilt, scheint uns zu diesen zu gehören. Es ist
allerdings wahr, daß Antici darum gebeten hatte, seiner Würde als Cardinal
entkleidet zu werden. Das canonische Recht läßt aber keine bloße Entsagung
zu. und wenn Antici überhaupt seines Wahlrechtes verlustig geworden ist, so
kann es nur die Folge des gegen ihn gerichteten Breves des Papstes Pius VI.
vom 7. September 1798 gewesen sein. Daß aber nach der Ansicht der Kirche
Antici sein Wahlrecht verloren hat, kann nicht bezweifelt werden, da er bei
der Papstwahl von 1823, an der er Theil zu nehmen versuchte, entschieden
zurückgewiesen wurde. Ein anderer Fall ist der der fünf Cardinäle, die beim
schismatischen Concil von Pisa zugegen waren. Sie wurden von Julius II-
degradirt. ihres Stimmrechtes für verlustig erklärt, und haben nicht bei der
Wahl von Leo X. angestimmt, ohne dadurch seine Wahl ungiltig zu
machen.

Diese Beispiele müssen uns hier genügen. Die Sache scheint nach dem
Gesagten so zu stehen: für Beides, die Unantastbarkeit des Wahlrechtes
und ^den Verlust desselben können Präcedenzfälle aufgefunden werden, und
wir glauben, daß Herr Cartwright zu weit geht, wenn er Pius IX. vor¬
wirft, ein „unwiderrufbar erworbenes Vorrecht" der Cardinäle bei Seite ge-


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[0144] Cardinälen ohne Weiteres bei Seite gesetzt, und Soderini votirte nicht allein mit, sondern erhielt selbst zahlreiche Stimmen. Am interessantesten ist aber der Fall des Cardinal Coscia. Cardinal Coscia war wegen gemeiner Ver¬ brechen degradirt, seines Stimmrechtes beraubt und zu zehn Jahren Gesang- riß nebst anderen entehrenden Strafen verurtheilt worden. Papst Cle¬ mens XII (Corsini), der an der Schuld von Coscia nicht den geringsten Zweifel hatte und die Strafen vollständig gerechtfertigt fand, hatte dennoch Bedenken, ob seine Ausschließung von einem etwaigen Conclave die Papst¬ wahl ungiltig machen würde. In einem interessanten eigenhändigen Schrift¬ stücke, das Herr Cartwright in der Corsinischen Bibliothek gefunden hat, erwägt der Papst alle Gründe für und gegen, und kommt zu dem Schlüsse, daß Coscia seines Stimmrechtes nicht beraubt werden könne. In der That wurde er bei der eintretenden Papstwahl von 1740 aus dem Gefängniß ins Conclave, und nach beendigtem Conclave wieder ins Gefängniß zurück¬ gebracht. Dies sind die wichtigsten, obgleich nicht die einzigen Beispiele, die Herr Cartwright für seine Behauptung anführt. Sie sind gewichtig genug, und dennoch tragen wir Bedenken uns seiner Ansicht unbedingt anzuschließen. Denn wenn es von der einen Seite nicht an Bullen fehlt, die das Stimm¬ recht der Cardinäle für unantastbar erklären, so gibt es andererseits auch solche, durch welche Cardinäle ihres Stimmrechtes beraubt wurden, und die wirklich ausgeführt sind. Der Fall des Cardinals Antici, den uns Herr Cartwright selbst (S. 142) mittheilt, scheint uns zu diesen zu gehören. Es ist allerdings wahr, daß Antici darum gebeten hatte, seiner Würde als Cardinal entkleidet zu werden. Das canonische Recht läßt aber keine bloße Entsagung zu. und wenn Antici überhaupt seines Wahlrechtes verlustig geworden ist, so kann es nur die Folge des gegen ihn gerichteten Breves des Papstes Pius VI. vom 7. September 1798 gewesen sein. Daß aber nach der Ansicht der Kirche Antici sein Wahlrecht verloren hat, kann nicht bezweifelt werden, da er bei der Papstwahl von 1823, an der er Theil zu nehmen versuchte, entschieden zurückgewiesen wurde. Ein anderer Fall ist der der fünf Cardinäle, die beim schismatischen Concil von Pisa zugegen waren. Sie wurden von Julius II- degradirt. ihres Stimmrechtes für verlustig erklärt, und haben nicht bei der Wahl von Leo X. angestimmt, ohne dadurch seine Wahl ungiltig zu machen. Diese Beispiele müssen uns hier genügen. Die Sache scheint nach dem Gesagten so zu stehen: für Beides, die Unantastbarkeit des Wahlrechtes und ^den Verlust desselben können Präcedenzfälle aufgefunden werden, und wir glauben, daß Herr Cartwright zu weit geht, wenn er Pius IX. vor¬ wirft, ein „unwiderrufbar erworbenes Vorrecht" der Cardinäle bei Seite ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/144>, abgerufen am 15.01.2025.