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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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keine Unsicherheit. Aber die Schlangeist da. zur linken neben der Stelle,
wo die Lanze aufgesetzt sein mußte. In der Höhlung des Schildes ringelt
sie sich in die Höhe, von diesem bedeckt, daß das mächtige Thier, furchtbar
von Anblick, doch untergeordnet wie im Dienst der Göttin erscheint; auch
bei Mrgil eilen die Schlangen, die den Laokoon getödtet, zur Athene und
und verstecken sich unter ihrem Schild. Mit dem genialen Blick des wahren
Künstlers hat Phidias eine natürliche Eigenschaft der Schlangen, die solche
Schlupfwinkel suchen, zu einem künstlerischen Motiv gemacht, wodurch eine
unschöne Lücke wohlgefällig für das Auge ausgefüllt, ein bedeutsames
Attribut, ohne es. vorzudrängen, augenfällig gemacht wird. So klein und
unfertig die Statuette auch ist, so gewährt sie doch eine viel wirksamere
Anschauung als Reliefs und Münzen. Die kräftigen, vollen, breiten Formen
des Körpers, neben denen das feine, edle Profil merkwürdig absticht, die
gradlinigen, großen Faltenmassen, die ruhige, durch die gerade Haltung des
Kopfes, die fast parallele Bewegung der Arme noch befestigte Stellung, ma-
chen einen gleichsam architektonisch wirkenden Eindruck, der nachdrücklich auf
den Charakter des Tempelbildes hinweist, das gewissermaßen als Abschluß
und Krönung der Tempelcelle gedacht war, in welcher sie ihren Platz
einnahm.

Wie überzeugend auch diese Momente uns auf Phidias.zurückführen,
noch trägt das kleine interessante Monument recht eigentlich den Stempel
seines Meisters an sich. Aus dem runden Schilde ist, wie auf dem Original,
eine Amazonenschlacht dargestellt. Unter den lebhaft bewegten Gruppen,
welche über den Raum ausgestreut sind, fällt ganz oben, wiewohl arg zer¬
stoßen, doch deutlich erkennbar, ein Mann auf, der mit gewaltiger Anstren¬
gung einen großen Stein mit beiden Händen über den Kops erhebt, um ihn
auf eine Amazone zu schleudern. Nun hatte Phidias auf dem Schilde seiner
Athene neben Perikles sich selbst vorgestellt als einen kahlköpfigen Mann,
der mit beiden Händen einen Stein schleudert. Davon gab es mancherlei
zu erzählen. Moralisten und Rhetoren benutzten es als Beispiel des Strebens
nach Nachruhm; in Athen sollte es als Anklagegrund in einem Prozesse gegen
Phidias wegen Gottlosigkeit figurirt haben; durch einen besonderen Kunst¬
griff, wollte man später wissen, habe der Meister mit seinem Bild alles so
verbunden, daß man es nicht herausnehmen könne, ohne> das Ganze zu zer¬
stören. Kurz, das Portrait des Phidias auf dem Atheneschild war in aller
Mund, und es war in der Ordnung, daß der Verfertiger einer Copie nicht
versäumte, sie durch dieses Wahrzeichen zu beglaubigen.

Auch dieses originelle ixss keen fand durch Conze eine neue Bestäti¬
gung, der im brittischen Museum das aus Athen stammende Bruchstück eines
Atarmorschildes von etwas größeren Dimensionen entdeckte, der um ein Medu-


Grenzbotm II. 1868. 14

keine Unsicherheit. Aber die Schlangeist da. zur linken neben der Stelle,
wo die Lanze aufgesetzt sein mußte. In der Höhlung des Schildes ringelt
sie sich in die Höhe, von diesem bedeckt, daß das mächtige Thier, furchtbar
von Anblick, doch untergeordnet wie im Dienst der Göttin erscheint; auch
bei Mrgil eilen die Schlangen, die den Laokoon getödtet, zur Athene und
und verstecken sich unter ihrem Schild. Mit dem genialen Blick des wahren
Künstlers hat Phidias eine natürliche Eigenschaft der Schlangen, die solche
Schlupfwinkel suchen, zu einem künstlerischen Motiv gemacht, wodurch eine
unschöne Lücke wohlgefällig für das Auge ausgefüllt, ein bedeutsames
Attribut, ohne es. vorzudrängen, augenfällig gemacht wird. So klein und
unfertig die Statuette auch ist, so gewährt sie doch eine viel wirksamere
Anschauung als Reliefs und Münzen. Die kräftigen, vollen, breiten Formen
des Körpers, neben denen das feine, edle Profil merkwürdig absticht, die
gradlinigen, großen Faltenmassen, die ruhige, durch die gerade Haltung des
Kopfes, die fast parallele Bewegung der Arme noch befestigte Stellung, ma-
chen einen gleichsam architektonisch wirkenden Eindruck, der nachdrücklich auf
den Charakter des Tempelbildes hinweist, das gewissermaßen als Abschluß
und Krönung der Tempelcelle gedacht war, in welcher sie ihren Platz
einnahm.

Wie überzeugend auch diese Momente uns auf Phidias.zurückführen,
noch trägt das kleine interessante Monument recht eigentlich den Stempel
seines Meisters an sich. Aus dem runden Schilde ist, wie auf dem Original,
eine Amazonenschlacht dargestellt. Unter den lebhaft bewegten Gruppen,
welche über den Raum ausgestreut sind, fällt ganz oben, wiewohl arg zer¬
stoßen, doch deutlich erkennbar, ein Mann auf, der mit gewaltiger Anstren¬
gung einen großen Stein mit beiden Händen über den Kops erhebt, um ihn
auf eine Amazone zu schleudern. Nun hatte Phidias auf dem Schilde seiner
Athene neben Perikles sich selbst vorgestellt als einen kahlköpfigen Mann,
der mit beiden Händen einen Stein schleudert. Davon gab es mancherlei
zu erzählen. Moralisten und Rhetoren benutzten es als Beispiel des Strebens
nach Nachruhm; in Athen sollte es als Anklagegrund in einem Prozesse gegen
Phidias wegen Gottlosigkeit figurirt haben; durch einen besonderen Kunst¬
griff, wollte man später wissen, habe der Meister mit seinem Bild alles so
verbunden, daß man es nicht herausnehmen könne, ohne> das Ganze zu zer¬
stören. Kurz, das Portrait des Phidias auf dem Atheneschild war in aller
Mund, und es war in der Ordnung, daß der Verfertiger einer Copie nicht
versäumte, sie durch dieses Wahrzeichen zu beglaubigen.

Auch dieses originelle ixss keen fand durch Conze eine neue Bestäti¬
gung, der im brittischen Museum das aus Athen stammende Bruchstück eines
Atarmorschildes von etwas größeren Dimensionen entdeckte, der um ein Medu-


Grenzbotm II. 1868. 14
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[0109] keine Unsicherheit. Aber die Schlangeist da. zur linken neben der Stelle, wo die Lanze aufgesetzt sein mußte. In der Höhlung des Schildes ringelt sie sich in die Höhe, von diesem bedeckt, daß das mächtige Thier, furchtbar von Anblick, doch untergeordnet wie im Dienst der Göttin erscheint; auch bei Mrgil eilen die Schlangen, die den Laokoon getödtet, zur Athene und und verstecken sich unter ihrem Schild. Mit dem genialen Blick des wahren Künstlers hat Phidias eine natürliche Eigenschaft der Schlangen, die solche Schlupfwinkel suchen, zu einem künstlerischen Motiv gemacht, wodurch eine unschöne Lücke wohlgefällig für das Auge ausgefüllt, ein bedeutsames Attribut, ohne es. vorzudrängen, augenfällig gemacht wird. So klein und unfertig die Statuette auch ist, so gewährt sie doch eine viel wirksamere Anschauung als Reliefs und Münzen. Die kräftigen, vollen, breiten Formen des Körpers, neben denen das feine, edle Profil merkwürdig absticht, die gradlinigen, großen Faltenmassen, die ruhige, durch die gerade Haltung des Kopfes, die fast parallele Bewegung der Arme noch befestigte Stellung, ma- chen einen gleichsam architektonisch wirkenden Eindruck, der nachdrücklich auf den Charakter des Tempelbildes hinweist, das gewissermaßen als Abschluß und Krönung der Tempelcelle gedacht war, in welcher sie ihren Platz einnahm. Wie überzeugend auch diese Momente uns auf Phidias.zurückführen, noch trägt das kleine interessante Monument recht eigentlich den Stempel seines Meisters an sich. Aus dem runden Schilde ist, wie auf dem Original, eine Amazonenschlacht dargestellt. Unter den lebhaft bewegten Gruppen, welche über den Raum ausgestreut sind, fällt ganz oben, wiewohl arg zer¬ stoßen, doch deutlich erkennbar, ein Mann auf, der mit gewaltiger Anstren¬ gung einen großen Stein mit beiden Händen über den Kops erhebt, um ihn auf eine Amazone zu schleudern. Nun hatte Phidias auf dem Schilde seiner Athene neben Perikles sich selbst vorgestellt als einen kahlköpfigen Mann, der mit beiden Händen einen Stein schleudert. Davon gab es mancherlei zu erzählen. Moralisten und Rhetoren benutzten es als Beispiel des Strebens nach Nachruhm; in Athen sollte es als Anklagegrund in einem Prozesse gegen Phidias wegen Gottlosigkeit figurirt haben; durch einen besonderen Kunst¬ griff, wollte man später wissen, habe der Meister mit seinem Bild alles so verbunden, daß man es nicht herausnehmen könne, ohne> das Ganze zu zer¬ stören. Kurz, das Portrait des Phidias auf dem Atheneschild war in aller Mund, und es war in der Ordnung, daß der Verfertiger einer Copie nicht versäumte, sie durch dieses Wahrzeichen zu beglaubigen. Auch dieses originelle ixss keen fand durch Conze eine neue Bestäti¬ gung, der im brittischen Museum das aus Athen stammende Bruchstück eines Atarmorschildes von etwas größeren Dimensionen entdeckte, der um ein Medu- Grenzbotm II. 1868. 14

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/109>, abgerufen am 15.01.2025.