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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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und Betheiligung einflußreicher Menschen daran in der Zukunft durch Acten¬
stücke, welche jetzt unzugänglich sind, in helleres Licht treten werden. Aber der
Verlauf der spanischen Geschichte seit dem Ende des vorigen Jahrhunderts ist
in Wahrheit so, daß Correcturen in Einzelheiten verhältnißmäßig geringe Be¬
deutung haben, denn wenn irgendwo, wirkt dort über schwachen Personen
und kleinem Egoismus ein ungeheures Verhängnis), die Wucht aufgehäufter
Schuld aus frühern Jahrhunderten, welche die Politiker entsittlicht, die Re¬
formen ohnmächtig macht, alle Versuche staatlicher Regeneration verdirbt.
Es ist der Raubsinn der Conquistadoren. die katholische Reaction und die
Pfaffenherrschaft, welche von dem 16. Jahrhundert ab ihre schwarzen Schatten
über ein Volk gelegt, haben, dessen Stämme seit der Völkerwanderung einige
der edelsten Seiten germanischer Narur mit der zähen Lebenskraft der Urein¬
wohner und orientalischem Wechsel von Trägheit und Leidenschaftlichkeit ver¬
bunden zeigen. Dem Fluche alter Schuld verfällt das Geschlecht der spanischen
Habsburger und nach ihm das der Bourbonen, die Fürstenkrankheit, jener
grauenhafte verkehrte Wahn der Schrankenlosigkeit, umfängt den Sinn fast aller
Regierenden und schafft dort eine Reihe von besonders auffallenden Gestalten,
widerwärtig durch eine Mischung von mönchischer Bigotterie und zügelloser Sinn¬
lichkeit, von dummer Unehrlichkeit und Tücke mit jähem Wechsel von Hochmuth
und Niederträchtigkeit. Kaum einer der Fürsten bewahrt sich in der ungesunden
Luft die Reste einer bessern Natur. Und wie die Krankheit der spanischen Könige
ist der Verderb der Staatsmänner ohne Beispiel in der neuern Geschichte.
Auch den Besten ist unmöglich, die Versöhnung zwischen den humanistischen
Theorien der Aufklärungszeit und den verrotteten Zuständen des Landes zu
finden. Die ehrlichsten Reformversuche scheitern immer wieder, die beste Ten¬
denz verwandelt sich bei ungeschickter und halber Ausführung in das Gegen¬
theil. Wie dies Alles kommen mußte, hat Baumgarten in ausgezeichneter
Weise dargestellt, und bei jedem Abschnitt seiner Erzählung erfreut sein
Scharfsinn in Beurtheilung der Menschen und Verhältnisse, die sorgfältige
spannende Erzählung und ein fein empfindendes Gemüth, welches die Geheim¬
nisse des historischen Werdens bis zu den letzten uns erreichbaren Bildungen
zu schauen befähigt ist.

Es war Resignation zur Uebernahme einer solchen Arbeit nöthig. Denn
ein Jahrzehnt nach dem andern zieht über dieses Volk, die Personen wechseln,
und doch immer wieder das alte trostlose Spiel von vergeblichen Anläufen
zum Besseren und von Rückfall in Möncherei und vornirte Willkür, ein un¬
aufhörliches Feilschen und Abenteuern Ehrgeiziger um den Staat; die heule
Generäle, Minister und Lieblinge der Herrscher sind, werden morgen unzu¬
friedene Verschwörer. Und doch birgt sich hinter dieser scheinbaren Stag¬
nation des Landes und ohnmächtigem Jntriguenspiel der Regierenden ein


und Betheiligung einflußreicher Menschen daran in der Zukunft durch Acten¬
stücke, welche jetzt unzugänglich sind, in helleres Licht treten werden. Aber der
Verlauf der spanischen Geschichte seit dem Ende des vorigen Jahrhunderts ist
in Wahrheit so, daß Correcturen in Einzelheiten verhältnißmäßig geringe Be¬
deutung haben, denn wenn irgendwo, wirkt dort über schwachen Personen
und kleinem Egoismus ein ungeheures Verhängnis), die Wucht aufgehäufter
Schuld aus frühern Jahrhunderten, welche die Politiker entsittlicht, die Re¬
formen ohnmächtig macht, alle Versuche staatlicher Regeneration verdirbt.
Es ist der Raubsinn der Conquistadoren. die katholische Reaction und die
Pfaffenherrschaft, welche von dem 16. Jahrhundert ab ihre schwarzen Schatten
über ein Volk gelegt, haben, dessen Stämme seit der Völkerwanderung einige
der edelsten Seiten germanischer Narur mit der zähen Lebenskraft der Urein¬
wohner und orientalischem Wechsel von Trägheit und Leidenschaftlichkeit ver¬
bunden zeigen. Dem Fluche alter Schuld verfällt das Geschlecht der spanischen
Habsburger und nach ihm das der Bourbonen, die Fürstenkrankheit, jener
grauenhafte verkehrte Wahn der Schrankenlosigkeit, umfängt den Sinn fast aller
Regierenden und schafft dort eine Reihe von besonders auffallenden Gestalten,
widerwärtig durch eine Mischung von mönchischer Bigotterie und zügelloser Sinn¬
lichkeit, von dummer Unehrlichkeit und Tücke mit jähem Wechsel von Hochmuth
und Niederträchtigkeit. Kaum einer der Fürsten bewahrt sich in der ungesunden
Luft die Reste einer bessern Natur. Und wie die Krankheit der spanischen Könige
ist der Verderb der Staatsmänner ohne Beispiel in der neuern Geschichte.
Auch den Besten ist unmöglich, die Versöhnung zwischen den humanistischen
Theorien der Aufklärungszeit und den verrotteten Zuständen des Landes zu
finden. Die ehrlichsten Reformversuche scheitern immer wieder, die beste Ten¬
denz verwandelt sich bei ungeschickter und halber Ausführung in das Gegen¬
theil. Wie dies Alles kommen mußte, hat Baumgarten in ausgezeichneter
Weise dargestellt, und bei jedem Abschnitt seiner Erzählung erfreut sein
Scharfsinn in Beurtheilung der Menschen und Verhältnisse, die sorgfältige
spannende Erzählung und ein fein empfindendes Gemüth, welches die Geheim¬
nisse des historischen Werdens bis zu den letzten uns erreichbaren Bildungen
zu schauen befähigt ist.

Es war Resignation zur Uebernahme einer solchen Arbeit nöthig. Denn
ein Jahrzehnt nach dem andern zieht über dieses Volk, die Personen wechseln,
und doch immer wieder das alte trostlose Spiel von vergeblichen Anläufen
zum Besseren und von Rückfall in Möncherei und vornirte Willkür, ein un¬
aufhörliches Feilschen und Abenteuern Ehrgeiziger um den Staat; die heule
Generäle, Minister und Lieblinge der Herrscher sind, werden morgen unzu¬
friedene Verschwörer. Und doch birgt sich hinter dieser scheinbaren Stag¬
nation des Landes und ohnmächtigem Jntriguenspiel der Regierenden ein


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[0082] und Betheiligung einflußreicher Menschen daran in der Zukunft durch Acten¬ stücke, welche jetzt unzugänglich sind, in helleres Licht treten werden. Aber der Verlauf der spanischen Geschichte seit dem Ende des vorigen Jahrhunderts ist in Wahrheit so, daß Correcturen in Einzelheiten verhältnißmäßig geringe Be¬ deutung haben, denn wenn irgendwo, wirkt dort über schwachen Personen und kleinem Egoismus ein ungeheures Verhängnis), die Wucht aufgehäufter Schuld aus frühern Jahrhunderten, welche die Politiker entsittlicht, die Re¬ formen ohnmächtig macht, alle Versuche staatlicher Regeneration verdirbt. Es ist der Raubsinn der Conquistadoren. die katholische Reaction und die Pfaffenherrschaft, welche von dem 16. Jahrhundert ab ihre schwarzen Schatten über ein Volk gelegt, haben, dessen Stämme seit der Völkerwanderung einige der edelsten Seiten germanischer Narur mit der zähen Lebenskraft der Urein¬ wohner und orientalischem Wechsel von Trägheit und Leidenschaftlichkeit ver¬ bunden zeigen. Dem Fluche alter Schuld verfällt das Geschlecht der spanischen Habsburger und nach ihm das der Bourbonen, die Fürstenkrankheit, jener grauenhafte verkehrte Wahn der Schrankenlosigkeit, umfängt den Sinn fast aller Regierenden und schafft dort eine Reihe von besonders auffallenden Gestalten, widerwärtig durch eine Mischung von mönchischer Bigotterie und zügelloser Sinn¬ lichkeit, von dummer Unehrlichkeit und Tücke mit jähem Wechsel von Hochmuth und Niederträchtigkeit. Kaum einer der Fürsten bewahrt sich in der ungesunden Luft die Reste einer bessern Natur. Und wie die Krankheit der spanischen Könige ist der Verderb der Staatsmänner ohne Beispiel in der neuern Geschichte. Auch den Besten ist unmöglich, die Versöhnung zwischen den humanistischen Theorien der Aufklärungszeit und den verrotteten Zuständen des Landes zu finden. Die ehrlichsten Reformversuche scheitern immer wieder, die beste Ten¬ denz verwandelt sich bei ungeschickter und halber Ausführung in das Gegen¬ theil. Wie dies Alles kommen mußte, hat Baumgarten in ausgezeichneter Weise dargestellt, und bei jedem Abschnitt seiner Erzählung erfreut sein Scharfsinn in Beurtheilung der Menschen und Verhältnisse, die sorgfältige spannende Erzählung und ein fein empfindendes Gemüth, welches die Geheim¬ nisse des historischen Werdens bis zu den letzten uns erreichbaren Bildungen zu schauen befähigt ist. Es war Resignation zur Uebernahme einer solchen Arbeit nöthig. Denn ein Jahrzehnt nach dem andern zieht über dieses Volk, die Personen wechseln, und doch immer wieder das alte trostlose Spiel von vergeblichen Anläufen zum Besseren und von Rückfall in Möncherei und vornirte Willkür, ein un¬ aufhörliches Feilschen und Abenteuern Ehrgeiziger um den Staat; die heule Generäle, Minister und Lieblinge der Herrscher sind, werden morgen unzu¬ friedene Verschwörer. Und doch birgt sich hinter dieser scheinbaren Stag¬ nation des Landes und ohnmächtigem Jntriguenspiel der Regierenden ein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/82>, abgerufen am 05.02.2025.