Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.ihm seine Zeit und sein Volk an die Hand gibt, zu beurtheilen. Die ethi¬ Der Verfasser war bemüht, durch Reisen in deutsche Archive und Biblio¬ ihm seine Zeit und sein Volk an die Hand gibt, zu beurtheilen. Die ethi¬ Der Verfasser war bemüht, durch Reisen in deutsche Archive und Biblio¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0081" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/287353"/> <p xml:id="ID_187" prev="#ID_186"> ihm seine Zeit und sein Volk an die Hand gibt, zu beurtheilen. Die ethi¬<lb/> schen und politischen Gesichtspunkte, nach denen er urtheilt, ja seine ganze<lb/> Auffassung eines fremden Volksthums sind in dem letzten Grunde abhängig<lb/> von dem Ethos und der Einsicht, welche ihm sein eigenes Leben unter seinen<lb/> Zeitgenossen vergönnt hat. Nun ist eine oft bewährte Eigenschaft der<lb/> Deutschen, deren sie sich wohl als eines Vorzuges rühmen dürfen, daß sie<lb/> Respect vor fremder Tüchtigkeit, ehrfurchtsvolle Betrachtung der großen<lb/> Culturprocesse jeder Nation, ein inniges Verständniß für das Charakteristische<lb/> der Fremden zu ihrer Geschichtschreibung mitgebracht haben. Nicht ebenso<lb/> groß war in vergangener öder Zeit die Sicherheit ihres politischen Urtheils,<lb/> und wir haben bei namhaften Historikern entweder Stumpfheit in der Auf¬<lb/> fassung geschichtlicher Verschuldung, oder launische Willkür im Urtheil, oder<lb/> den polternden Eifer erlebt, welcher von vergangenen Menschen die aufge¬<lb/> klärte Zeitbildung späterer Geschlechter forderte, oder endlich eine unheimliche<lb/> Objektivität, welche zwar bemüht war, ein historisches Leben aus den Cultur¬<lb/> verhältnissen seiner Zeit zu erklären, aber darüber vergaß, daß der Geschicht¬<lb/> schreiber zwar die Menschen nach dem Maßstabe ihrer Zeit und Cultur, jede<lb/> Zeit aber nach dem Maßstabe der eigenen Zeit und Cultur zu richten hat.<lb/> Das ist in der letzten Generation besser geworden, auch nach dieser Richtung<lb/> haben wir uns eines großen Fortschritts zu freuen. Und unter den Werken,<lb/> welche uns durch Festigkeit, Unbefangenheit und edle Humanität des Urtheils<lb/> belehren, steht das vorliegende Buch in erster Reihe. Hier ist ein deut¬<lb/> scher Gelehrter, der es zu einer Aufgabe seines Lebens gemacht hat, die<lb/> seltsamen und verworrenen Verhältnisse Spaniens seit der Zeit, wo die<lb/> matten Strahlen der Ausklärung und der Sturm der französischen Re¬<lb/> volution über dies Land fuhren, zu schildern. Das Werk, über welchem<lb/> er schafft, wurde durch die Entfernung des Landes und die Unzugänglich¬<lb/> keit vieler Geschichtsquellen sehr erschwert; außerdem dadurch, daß für<lb/> wichtige Jahre der spanischen Entwickelung die geschriebenen und gedruckten<lb/> Quellenschriften überhaupt spärlich vorhanden sind. Finden sich doch z. B.<lb/> bedeutsame Zeitberichte und Flugschriften aus der Zeit des napoleonischen<lb/> Krieges in den viel geplünderten und verwüsteten Archiven und Bibliotheken<lb/> Spaniens gar nicht oder sehr fragmentarisch vor.</p><lb/> <p xml:id="ID_188" next="#ID_189"> Der Verfasser war bemüht, durch Reisen in deutsche Archive und Biblio¬<lb/> theken sowie in Spanien selbst, und durch persönlichen Verkehr mit den<lb/> letzten Zeugen der frühern spanischen Revolutionen das irgend Erreichbare<lb/> mit deutschem Fleiß zu sammeln. Das Beste des neuen Materials waren<lb/> ihm nächst den im Lande selbst gewonnenen Anschauungen wohl die fremden<lb/> Gesandtenberichte, zumal im preußischen Archive. Und wir dürfen an¬<lb/> nehmen, daß manche Einzelheiten, verworrene Fäden elender Hofintriguen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0081]
ihm seine Zeit und sein Volk an die Hand gibt, zu beurtheilen. Die ethi¬
schen und politischen Gesichtspunkte, nach denen er urtheilt, ja seine ganze
Auffassung eines fremden Volksthums sind in dem letzten Grunde abhängig
von dem Ethos und der Einsicht, welche ihm sein eigenes Leben unter seinen
Zeitgenossen vergönnt hat. Nun ist eine oft bewährte Eigenschaft der
Deutschen, deren sie sich wohl als eines Vorzuges rühmen dürfen, daß sie
Respect vor fremder Tüchtigkeit, ehrfurchtsvolle Betrachtung der großen
Culturprocesse jeder Nation, ein inniges Verständniß für das Charakteristische
der Fremden zu ihrer Geschichtschreibung mitgebracht haben. Nicht ebenso
groß war in vergangener öder Zeit die Sicherheit ihres politischen Urtheils,
und wir haben bei namhaften Historikern entweder Stumpfheit in der Auf¬
fassung geschichtlicher Verschuldung, oder launische Willkür im Urtheil, oder
den polternden Eifer erlebt, welcher von vergangenen Menschen die aufge¬
klärte Zeitbildung späterer Geschlechter forderte, oder endlich eine unheimliche
Objektivität, welche zwar bemüht war, ein historisches Leben aus den Cultur¬
verhältnissen seiner Zeit zu erklären, aber darüber vergaß, daß der Geschicht¬
schreiber zwar die Menschen nach dem Maßstabe ihrer Zeit und Cultur, jede
Zeit aber nach dem Maßstabe der eigenen Zeit und Cultur zu richten hat.
Das ist in der letzten Generation besser geworden, auch nach dieser Richtung
haben wir uns eines großen Fortschritts zu freuen. Und unter den Werken,
welche uns durch Festigkeit, Unbefangenheit und edle Humanität des Urtheils
belehren, steht das vorliegende Buch in erster Reihe. Hier ist ein deut¬
scher Gelehrter, der es zu einer Aufgabe seines Lebens gemacht hat, die
seltsamen und verworrenen Verhältnisse Spaniens seit der Zeit, wo die
matten Strahlen der Ausklärung und der Sturm der französischen Re¬
volution über dies Land fuhren, zu schildern. Das Werk, über welchem
er schafft, wurde durch die Entfernung des Landes und die Unzugänglich¬
keit vieler Geschichtsquellen sehr erschwert; außerdem dadurch, daß für
wichtige Jahre der spanischen Entwickelung die geschriebenen und gedruckten
Quellenschriften überhaupt spärlich vorhanden sind. Finden sich doch z. B.
bedeutsame Zeitberichte und Flugschriften aus der Zeit des napoleonischen
Krieges in den viel geplünderten und verwüsteten Archiven und Bibliotheken
Spaniens gar nicht oder sehr fragmentarisch vor.
Der Verfasser war bemüht, durch Reisen in deutsche Archive und Biblio¬
theken sowie in Spanien selbst, und durch persönlichen Verkehr mit den
letzten Zeugen der frühern spanischen Revolutionen das irgend Erreichbare
mit deutschem Fleiß zu sammeln. Das Beste des neuen Materials waren
ihm nächst den im Lande selbst gewonnenen Anschauungen wohl die fremden
Gesandtenberichte, zumal im preußischen Archive. Und wir dürfen an¬
nehmen, daß manche Einzelheiten, verworrene Fäden elender Hofintriguen
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