Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.conserenz stattfinden. Am 1. October ist in Berlin die allgemeine Frauen¬ Wo eine zeitgenössische Agitation sich gleichzeitig in vielen Brennpunkten Wie das Temperament, so hat auch das Programm der Agitation sich Worin sie nicht einig sind, das ist hinsichtlich der Recrutirung ihrer Grenzbotm IV. 1868. 8
conserenz stattfinden. Am 1. October ist in Berlin die allgemeine Frauen¬ Wo eine zeitgenössische Agitation sich gleichzeitig in vielen Brennpunkten Wie das Temperament, so hat auch das Programm der Agitation sich Worin sie nicht einig sind, das ist hinsichtlich der Recrutirung ihrer Grenzbotm IV. 1868. 8
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0069" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/287341"/> <p xml:id="ID_146" prev="#ID_145"> conserenz stattfinden. Am 1. October ist in Berlin die allgemeine Frauen¬<lb/> industrieausstellung eröffnet worden, welche der dortige Verein zur Ausdeh¬<lb/> nung der Erwerbsfähigkeit des weiblichen Geschlechts veranstaltet hat, und<lb/> an deren Anziehungskraft für die betheiligten Kreise sich die Erwartung<lb/> knüpft, daß auch diejenige Gruppe von Vereinen, zu welchen der unter dem<lb/> Protektorat der Kronprinzessin von Preußen stehende berliner gehört, in<lb/> einen gewissen bleibenden nationalen Zusammenhang trete.</p><lb/> <p xml:id="ID_147"> Wo eine zeitgenössische Agitation sich gleichzeitig in vielen Brennpunkten<lb/> sammelt, mag es wohl gelegen sein, ihren Stand und ihre Aussichten auf<lb/> Erfolg einmal kritisch zu mustern. Entgegengesetzt der stürmischen Ueber-<lb/> stürzung, mit welcher .die „Emancipation der Frauen" sich vor mehr als<lb/> zwanzig Jahren in Deutschland zuerst ankündigte, ist die Bewegung seit ihrem<lb/> Wiederauftauchen vor drei Jahren ziemlich geräuschlos dahingeschlichen, so<lb/> daß gewiß recht viele Landsleute, von ihrem Vorhandensein unter uns<lb/> kaum eine Ahnung haben.</p><lb/> <p xml:id="ID_148"> Wie das Temperament, so hat auch das Programm der Agitation sich<lb/> bei ihrem zweiten Anlauf merklich ermäßigt. Von Attentaten auf einen<lb/> solchen Grundpfeiler der gesitteten menschlichen Gesellschaft wie die Ehe ist<lb/> keine Rede mehr. Die Annahme männlicher Tracht und männlicher Sitten,<lb/> wie z. B. des Rauchers und des flotten Biertrinkens, hat aufgehört, die<lb/> besser gereifte weibliche Einbildungskraft zu reizen. Nicht einmal die poli¬<lb/> tische Gleichberechtigung, nach welcher amerikanische und englische Damen neuer¬<lb/> dings wieder mit allen Kräften trachten, findet unter den Zielen der deut¬<lb/> schen Bewegung eine Stelle. Es handelt sich für sie lediglich um wirth¬<lb/> schaftliche Gleichberechtigung. Das weibliche Geschlecht soll denselben unbe¬<lb/> schränkten Zutritt zu allen Erwerbszweigen haben, denen es sich selbst ge¬<lb/> wachsen fühlen mag, wie das männliche Geschlecht. Die Agitation rüttelt<lb/> daher nicht sowohl an Staatsgesetzen und Grundeinrichtungen der Gesell¬<lb/> schaft, als an diesen oder jenen Vorurtheilen der Ueberlieferung, welche sich<lb/> der Verwendung von weiblicher Arbeitskraft in gegebenen Fällen entgegen¬<lb/> stellen. Die verschiedenen Zweige der Bewegung sind in dieser weisen Selbst-<lb/> beschränkung mehr oder weniger einig.</p><lb/> <p xml:id="ID_149" next="#ID_150"> Worin sie nicht einig sind, das ist hinsichtlich der Recrutirung ihrer<lb/> streitenden Heere. Die von Leipzig aus geleitete Verbindung hat auf ihre<lb/> Fahne „Selbsthilfe der Frauen" geschrieben, und nur eine Jungfrau von<lb/> Orleans, ein weiblicher Fähnrich soll sie aufnehmen und vorantragen dürfen.<lb/> Frauen allein schreiben die Wochenschrift, welche das literarische Organ dieser<lb/> Partei ist, die „Neuen Bahnen", Frauen allein führen im Vorstande die<lb/> Zügel, versammeln sich alljährlich zum deutschen Frauentage. Dahingegen<lb/> wird das Organ der deutschen Frauenconferenz, die in Stuttgart heraus-</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzbotm IV. 1868. 8</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0069]
conserenz stattfinden. Am 1. October ist in Berlin die allgemeine Frauen¬
industrieausstellung eröffnet worden, welche der dortige Verein zur Ausdeh¬
nung der Erwerbsfähigkeit des weiblichen Geschlechts veranstaltet hat, und
an deren Anziehungskraft für die betheiligten Kreise sich die Erwartung
knüpft, daß auch diejenige Gruppe von Vereinen, zu welchen der unter dem
Protektorat der Kronprinzessin von Preußen stehende berliner gehört, in
einen gewissen bleibenden nationalen Zusammenhang trete.
Wo eine zeitgenössische Agitation sich gleichzeitig in vielen Brennpunkten
sammelt, mag es wohl gelegen sein, ihren Stand und ihre Aussichten auf
Erfolg einmal kritisch zu mustern. Entgegengesetzt der stürmischen Ueber-
stürzung, mit welcher .die „Emancipation der Frauen" sich vor mehr als
zwanzig Jahren in Deutschland zuerst ankündigte, ist die Bewegung seit ihrem
Wiederauftauchen vor drei Jahren ziemlich geräuschlos dahingeschlichen, so
daß gewiß recht viele Landsleute, von ihrem Vorhandensein unter uns
kaum eine Ahnung haben.
Wie das Temperament, so hat auch das Programm der Agitation sich
bei ihrem zweiten Anlauf merklich ermäßigt. Von Attentaten auf einen
solchen Grundpfeiler der gesitteten menschlichen Gesellschaft wie die Ehe ist
keine Rede mehr. Die Annahme männlicher Tracht und männlicher Sitten,
wie z. B. des Rauchers und des flotten Biertrinkens, hat aufgehört, die
besser gereifte weibliche Einbildungskraft zu reizen. Nicht einmal die poli¬
tische Gleichberechtigung, nach welcher amerikanische und englische Damen neuer¬
dings wieder mit allen Kräften trachten, findet unter den Zielen der deut¬
schen Bewegung eine Stelle. Es handelt sich für sie lediglich um wirth¬
schaftliche Gleichberechtigung. Das weibliche Geschlecht soll denselben unbe¬
schränkten Zutritt zu allen Erwerbszweigen haben, denen es sich selbst ge¬
wachsen fühlen mag, wie das männliche Geschlecht. Die Agitation rüttelt
daher nicht sowohl an Staatsgesetzen und Grundeinrichtungen der Gesell¬
schaft, als an diesen oder jenen Vorurtheilen der Ueberlieferung, welche sich
der Verwendung von weiblicher Arbeitskraft in gegebenen Fällen entgegen¬
stellen. Die verschiedenen Zweige der Bewegung sind in dieser weisen Selbst-
beschränkung mehr oder weniger einig.
Worin sie nicht einig sind, das ist hinsichtlich der Recrutirung ihrer
streitenden Heere. Die von Leipzig aus geleitete Verbindung hat auf ihre
Fahne „Selbsthilfe der Frauen" geschrieben, und nur eine Jungfrau von
Orleans, ein weiblicher Fähnrich soll sie aufnehmen und vorantragen dürfen.
Frauen allein schreiben die Wochenschrift, welche das literarische Organ dieser
Partei ist, die „Neuen Bahnen", Frauen allein führen im Vorstande die
Zügel, versammeln sich alljährlich zum deutschen Frauentage. Dahingegen
wird das Organ der deutschen Frauenconferenz, die in Stuttgart heraus-
Grenzbotm IV. 1868. 8
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |