Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.Auch das Ministerium hat seine Partei, aber sie besteht aus acht Mit¬ Sie selbst hat durch ihre Haltung bei den Zollparlamentswahlen sich Auch das Ministerium hat seine Partei, aber sie besteht aus acht Mit¬ Sie selbst hat durch ihre Haltung bei den Zollparlamentswahlen sich <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0535" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/287807"/> <p xml:id="ID_1353"> Auch das Ministerium hat seine Partei, aber sie besteht aus acht Mit¬<lb/> gliedern. Acht Abgeordnete von dreiundneunzig, ausschließlich Staatsbeamte,<lb/> nebst dem Oberbürgermeister der Residenzstadt, haben den Muth gehabt, sich<lb/> als conservative Partei zu constituiren. Damit sind natürlich die Mittel<lb/> nicht erschöpft, die das Ministerium in einer Kammer besitzt, in welcher noch<lb/> ein namhafter Bruchtheil seine Sitze kraft Privilegien einnimmt. Aber es ist<lb/> bezeichnend als Resultat eines Wahlkampfes, in welchen die Regierung als<lb/> Partei eingetreten ist. Es ist ein Gradmesser für das Vertrauen, welches die<lb/> Politik der Regierung im Lande sich erworben hat.</p><lb/> <p xml:id="ID_1354" next="#ID_1355"> Sie selbst hat durch ihre Haltung bei den Zollparlamentswahlen sich<lb/> diese Lage geschaffen. Damals konnte-man schon die Folgen voraussehen<lb/> und man hat sie vorausgesagt. Ihr widernatürliches Bündniß mit der<lb/> Volkspartei, welche von ihr als Avantgarde benutzt wurde, hat der letzteren<lb/> den Einfluß verschafft, mit dem sie die Landtagswahlen beherrschte. Damals<lb/> gingen die konservativen Elemente aus Rand und Band. Die Bureaukratie<lb/> gefiel sich darin die Jacobinermütze aufzusetzen, der Beobachter wurde das<lb/> Leiborgan der Oberamtleute; nicht mehr nur verstohlenerweise, wie bisher,<lb/> durfte man an den „pikanten" Artikeln des Volksblattes aus Schwaben sich<lb/> ergötzen. War doch geradezu Alles erlaubt, wenn es nur gegen die ver¬<lb/> haßten Preußen ging. Auf offenem Markt empfahl der Oberamtmann den<lb/> Candidaten der Volkspartei, der sonst alle Fürsten ins Pfefferland gewünscht<lb/> hatte und jetzt zum Schwärmer für kleinfürstliche Legitimität geworden war,<lb/> die Polizeidiener warben Stimmen für denselben und die Volkspartei zeigte<lb/> sich erkenntlich, indem sie Hochtories, wie dem Frhrn. v. Neurath, Empfehlungs¬<lb/> briefe auf die Wahlreise mitgab. Der Republikaner in der Maske des Legi¬<lb/> timsten, der conservative Angstmann in der bunten Jacke des genfer Friedens-<lb/> ligutsten — es war ein toller Carneval ohne Gleichen, eine Verwirrung aller<lb/> Begriffe und Grundsätze, eine politische Demoralisation, die noch lange in<lb/> unserem Lande nachwirken wird. Viel Naivetät gehörte dazu, wenn die<lb/> Regierung meinte, bei der Landtagswahl die Dinge auf Commando wieder<lb/> in ihr natürliches Geleise bringen zu können. Heute verschließt man sich auch<lb/> gar nicht mehr der Einsicht, daß man sich durch das damalige Bündniß mit<lb/> der Demokratie in die jetzige Lage gebracht hat. Ich wollte, flüsterte einer<lb/> der Minister mit Seufzen, diese verwünschte deutsche Partei hätte es bei den<lb/> Zollparlamentswahlen gewonnen. Nur Herr v. Varnbüler blickt sorglos wie<lb/> immer in die Zukunft. Mit jener fröhlichen Miene, die ihm unverändert<lb/> eigen ist, ob er Kriegsentschlüsse faßt oder Friedensverträge schließt, und die<lb/> ihn nur damals verließ, als er dem Zollparlament Rechnung ablegen sollte,<lb/> drückt er die Hoffnung aus, daß, wenn nur erst die Gemüther sich herzhaft<lb/> werden expectorirt haben, dann die Kammer ganz leidlich traetabel sein werde.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0535]
Auch das Ministerium hat seine Partei, aber sie besteht aus acht Mit¬
gliedern. Acht Abgeordnete von dreiundneunzig, ausschließlich Staatsbeamte,
nebst dem Oberbürgermeister der Residenzstadt, haben den Muth gehabt, sich
als conservative Partei zu constituiren. Damit sind natürlich die Mittel
nicht erschöpft, die das Ministerium in einer Kammer besitzt, in welcher noch
ein namhafter Bruchtheil seine Sitze kraft Privilegien einnimmt. Aber es ist
bezeichnend als Resultat eines Wahlkampfes, in welchen die Regierung als
Partei eingetreten ist. Es ist ein Gradmesser für das Vertrauen, welches die
Politik der Regierung im Lande sich erworben hat.
Sie selbst hat durch ihre Haltung bei den Zollparlamentswahlen sich
diese Lage geschaffen. Damals konnte-man schon die Folgen voraussehen
und man hat sie vorausgesagt. Ihr widernatürliches Bündniß mit der
Volkspartei, welche von ihr als Avantgarde benutzt wurde, hat der letzteren
den Einfluß verschafft, mit dem sie die Landtagswahlen beherrschte. Damals
gingen die konservativen Elemente aus Rand und Band. Die Bureaukratie
gefiel sich darin die Jacobinermütze aufzusetzen, der Beobachter wurde das
Leiborgan der Oberamtleute; nicht mehr nur verstohlenerweise, wie bisher,
durfte man an den „pikanten" Artikeln des Volksblattes aus Schwaben sich
ergötzen. War doch geradezu Alles erlaubt, wenn es nur gegen die ver¬
haßten Preußen ging. Auf offenem Markt empfahl der Oberamtmann den
Candidaten der Volkspartei, der sonst alle Fürsten ins Pfefferland gewünscht
hatte und jetzt zum Schwärmer für kleinfürstliche Legitimität geworden war,
die Polizeidiener warben Stimmen für denselben und die Volkspartei zeigte
sich erkenntlich, indem sie Hochtories, wie dem Frhrn. v. Neurath, Empfehlungs¬
briefe auf die Wahlreise mitgab. Der Republikaner in der Maske des Legi¬
timsten, der conservative Angstmann in der bunten Jacke des genfer Friedens-
ligutsten — es war ein toller Carneval ohne Gleichen, eine Verwirrung aller
Begriffe und Grundsätze, eine politische Demoralisation, die noch lange in
unserem Lande nachwirken wird. Viel Naivetät gehörte dazu, wenn die
Regierung meinte, bei der Landtagswahl die Dinge auf Commando wieder
in ihr natürliches Geleise bringen zu können. Heute verschließt man sich auch
gar nicht mehr der Einsicht, daß man sich durch das damalige Bündniß mit
der Demokratie in die jetzige Lage gebracht hat. Ich wollte, flüsterte einer
der Minister mit Seufzen, diese verwünschte deutsche Partei hätte es bei den
Zollparlamentswahlen gewonnen. Nur Herr v. Varnbüler blickt sorglos wie
immer in die Zukunft. Mit jener fröhlichen Miene, die ihm unverändert
eigen ist, ob er Kriegsentschlüsse faßt oder Friedensverträge schließt, und die
ihn nur damals verließ, als er dem Zollparlament Rechnung ablegen sollte,
drückt er die Hoffnung aus, daß, wenn nur erst die Gemüther sich herzhaft
werden expectorirt haben, dann die Kammer ganz leidlich traetabel sein werde.
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