Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.sein wie für Frankreich. Das Papstthum verliert an der Tochter Christines Die längere Zeit hindurch ziemlich weit verbreitete Annahme, Frankreich sein wie für Frankreich. Das Papstthum verliert an der Tochter Christines Die längere Zeit hindurch ziemlich weit verbreitete Annahme, Frankreich <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0047" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/287319"/> <p xml:id="ID_91" prev="#ID_90"> sein wie für Frankreich. Das Papstthum verliert an der Tochter Christines<lb/> eine warme Freundin, der neapolitanische Exkönig die einzige Verwandte,<lb/> die noch über Land und Leute zu gebieten hatte, und die zuversichtliche<lb/> Miene, welche der italienische Legitimismus während des letzten Sommers zu<lb/> zeigen begann, wird sich unter den veränderten Verhältnissen der Gegenwart<lb/> nicht mehr behaupten lassen. Für die Sache der italienischen Regierung ist<lb/> damit freilich noch nicht viel gewonnen; de Moustier's entschiedene Erklärung,<lb/> daß an eine Räumung Roms noch nicht zu denken sei, hat den General<lb/> Menabrea um die Möglichkeit gebracht, den nach der Parlamentsauflösung<lb/> nothwendig gewordenen Neuwahlen unter Vortritt auch nur eines wichti¬<lb/> geren Resultats entgegen zu gehen und die Dämpfer, welche den Unzufrie¬<lb/> denen Neapels einerseits durch die spanische Revolution und andererseits<lb/> durch das Scheitern der Ratazzi'schen Pläne für ein süditalisches Gegenpar¬<lb/> lament aufgesetzt worden sind, bewirken höchstens, daß der Heerd der regie¬<lb/> rungsfeindlichen Partei aus Süd- nach Mittelitalien verlegt wird. In den<lb/> Hofkreisen wird der erbitterte Kampf zwischen Lamarmora und Cialdini, den<lb/> Anhängern Frankreichs und denen Preußens, noch immer fortgeführt, in Rom<lb/> ist einer der Mitunterzeichner des züricher Friedens, und eifriger Anhänger<lb/> des äowimum temporale, Herr v. Banneville, an Stelle des bisherigen<lb/> französischen Gesandten Sartiges getreten, vielleicht um symbolisch anzu¬<lb/> deuten, daß die Gerüchte von neuen Angriffsplänen der Aetionspartei gegen<lb/> Rom die Entschlossenheit Frankreichs nur gesteigert, nicht herabgestimmt<lb/> haben. Im Uebrigen herrscht im patriotisch-italienischen Lager die frühere<lb/> Apathie und Niedergeschlagenheit. Aus eigener Kraft über die obwaltenden<lb/> Schwierigkeiten hinwegzukommen, hat man längst aufgegeben — man lebt<lb/> von der Hand in den Mund und hofft, die gegebenen Verhältnisse werden<lb/> wenigstens bis zum nächsten Zusammenstoß in Mitteleuropa vorhalten und<lb/> die Eventualität offen lassen, diesen zur Befreiung von der französischen<lb/> Vormundschaft auszubeuten.</p><lb/> <p xml:id="ID_92" next="#ID_93"> Die längere Zeit hindurch ziemlich weit verbreitete Annahme, Frankreich<lb/> habe es auf einen Winterfeldzug gegen Deutschland abgesehen und dieser<lb/> werde im italienischen Interesse benutzt werden können, hat durch die neuesten<lb/> Vorgänge in Oestreich beträchtlich an Wahrscheinlichkeit verloren. Noth¬<lb/> wendige Vorbedingung einer Verwirklichung von Plänen dieser Art ist die<lb/> Zustimmung des wiener Cabinets, das sich mindestens anheischig machen<lb/> müßte, Rußland zu beschäftigen. Die unaufhörlichen Schwankungen in der<lb/> inneren Politik des Kaiserstaats schließen aber gegenwärtig jeden Gedanken<lb/> an eine äußere Action desselben aus. All' die Schwierigkeiten, mit denen<lb/> der Dualismus von Hause aus zu kämpfen hatte, sind in dem verwiche-<lb/> nen Monat zusammengetroffen, um die Stellung des Ministeriums und</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0047]
sein wie für Frankreich. Das Papstthum verliert an der Tochter Christines
eine warme Freundin, der neapolitanische Exkönig die einzige Verwandte,
die noch über Land und Leute zu gebieten hatte, und die zuversichtliche
Miene, welche der italienische Legitimismus während des letzten Sommers zu
zeigen begann, wird sich unter den veränderten Verhältnissen der Gegenwart
nicht mehr behaupten lassen. Für die Sache der italienischen Regierung ist
damit freilich noch nicht viel gewonnen; de Moustier's entschiedene Erklärung,
daß an eine Räumung Roms noch nicht zu denken sei, hat den General
Menabrea um die Möglichkeit gebracht, den nach der Parlamentsauflösung
nothwendig gewordenen Neuwahlen unter Vortritt auch nur eines wichti¬
geren Resultats entgegen zu gehen und die Dämpfer, welche den Unzufrie¬
denen Neapels einerseits durch die spanische Revolution und andererseits
durch das Scheitern der Ratazzi'schen Pläne für ein süditalisches Gegenpar¬
lament aufgesetzt worden sind, bewirken höchstens, daß der Heerd der regie¬
rungsfeindlichen Partei aus Süd- nach Mittelitalien verlegt wird. In den
Hofkreisen wird der erbitterte Kampf zwischen Lamarmora und Cialdini, den
Anhängern Frankreichs und denen Preußens, noch immer fortgeführt, in Rom
ist einer der Mitunterzeichner des züricher Friedens, und eifriger Anhänger
des äowimum temporale, Herr v. Banneville, an Stelle des bisherigen
französischen Gesandten Sartiges getreten, vielleicht um symbolisch anzu¬
deuten, daß die Gerüchte von neuen Angriffsplänen der Aetionspartei gegen
Rom die Entschlossenheit Frankreichs nur gesteigert, nicht herabgestimmt
haben. Im Uebrigen herrscht im patriotisch-italienischen Lager die frühere
Apathie und Niedergeschlagenheit. Aus eigener Kraft über die obwaltenden
Schwierigkeiten hinwegzukommen, hat man längst aufgegeben — man lebt
von der Hand in den Mund und hofft, die gegebenen Verhältnisse werden
wenigstens bis zum nächsten Zusammenstoß in Mitteleuropa vorhalten und
die Eventualität offen lassen, diesen zur Befreiung von der französischen
Vormundschaft auszubeuten.
Die längere Zeit hindurch ziemlich weit verbreitete Annahme, Frankreich
habe es auf einen Winterfeldzug gegen Deutschland abgesehen und dieser
werde im italienischen Interesse benutzt werden können, hat durch die neuesten
Vorgänge in Oestreich beträchtlich an Wahrscheinlichkeit verloren. Noth¬
wendige Vorbedingung einer Verwirklichung von Plänen dieser Art ist die
Zustimmung des wiener Cabinets, das sich mindestens anheischig machen
müßte, Rußland zu beschäftigen. Die unaufhörlichen Schwankungen in der
inneren Politik des Kaiserstaats schließen aber gegenwärtig jeden Gedanken
an eine äußere Action desselben aus. All' die Schwierigkeiten, mit denen
der Dualismus von Hause aus zu kämpfen hatte, sind in dem verwiche-
nen Monat zusammengetroffen, um die Stellung des Ministeriums und
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