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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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wesentliche Quelle der Unzufriedenheit dieser Partei aus dem Unmuth dar¬
über herrührt, daß dieselbe die preußische Regierung gegen das eigene
Fleisch wüthen sieht? Welche sind denn die Factoren,'auf die das Mi-
nisterium sich stützen will, wenn die nationalen Führer in Hannover, Hessen
und Nassau um ihren Einfluß gebracht werden? Haben die Herren v. Muster
und v. Eulenburg in den annectirten Provinzen etwa bessere Freunde der
preußischen Sache aufzuweisen, als die Benningsen, Miquöl oder Braun?
Wo sind die Ministeriellen quavä nome zu finden, die man diesen Män¬
nern bei dennächsten Wahlen entgegenzustellen gedenkt?

So lange auswärtige Gefahren immer wieder die Fäden der inneren
Entwickelung zerschneiden und Wechselfälle im Tuileriencabinet und in den
pariser Zeitungsbureaus darüber entscheiden, welche innere Politik in
Deutschland getrieben werden kann, dürfen wir auf diese Fragen schwerlich
Antwort erwarten. Die Unberechenbarkeit der in Paris jeweilig herrschenden
Stimmungen und Tendenzen springt immer wieder zwischen Frage und Ant¬
wort störend ein, und wir wissen aus einer langen Reihe von Erfahrungen,
daß die Männer, welche Preußens innere Politik machen, zum Dienst der
wahren Interessen des Staats gezwungen werden müssen und von jeder Ge¬
legenheit, sich diesem Zwang zu entziehen, den weitesten Gebrauch machen! Die
stete Beunruhigung der öffentlichen Meinung durch pariser Allarmnachrichten
gibt ihnen immer wieder freie Hand und ein Ende derselben ist auch
gegenwärtig schlechterdings nicht abzusehen.

Die neueste Phase der französischen Kriegsmanifestationen ist von ihren
Vorgängerinnen dadurch wesentlich verschieden gewesen, daß selbst der Schein
eines wirklichen Kriegsvorwandes gefehlt hat. Grade der Mangel eines solchen
war es, der die Börsen ängstigte: "Geschieht das am grünen Holz gänzlicher
Abwesenheit von Differenzpunkten" -- so calculirte man nicht unrichtig --
"was ist dann nicht zu fürchten, wenn die Interessen auch nur scheinbar auf
einander platzen?" Eine Sprache wie die Girardin's und der beiden Cas-
sagnac war nur erklärlich, wenn hinter diesen Regierungsmänner standen,
welche die Vollmacht hatten, einen plötzlichen Bruch vorzubereiten. Das
Uebergewicht der sog. spanischen Partei am Tuilerienhof, das sich in der
Abweisung der italienischen Forderungen und der Aufnahme des Grafen
von Girgenti documentirte, ließ darauf schließen, daß an Beruhigung der
Gemüther durch freiheitliche Concessionen nicht zu denken sei und der wesent¬
lich gouvernementale Ausfall der Wahlen unterstützte diese Annahme wenig¬
stens indirect. An die Alternative Krieg oder Freiheit hatte man sich längst
gewöhnt -- warder Würfel jetzt geworfen? Das vieldeutige Wort, das der
Kaiser zu Chalons gesprochen und das nicht eben beruhigend klang, ließ sich in
diesem Sinne deuten. Gleichzeitig schlug die Sprache der wiener Preßorgane


wesentliche Quelle der Unzufriedenheit dieser Partei aus dem Unmuth dar¬
über herrührt, daß dieselbe die preußische Regierung gegen das eigene
Fleisch wüthen sieht? Welche sind denn die Factoren,'auf die das Mi-
nisterium sich stützen will, wenn die nationalen Führer in Hannover, Hessen
und Nassau um ihren Einfluß gebracht werden? Haben die Herren v. Muster
und v. Eulenburg in den annectirten Provinzen etwa bessere Freunde der
preußischen Sache aufzuweisen, als die Benningsen, Miquöl oder Braun?
Wo sind die Ministeriellen quavä nome zu finden, die man diesen Män¬
nern bei dennächsten Wahlen entgegenzustellen gedenkt?

So lange auswärtige Gefahren immer wieder die Fäden der inneren
Entwickelung zerschneiden und Wechselfälle im Tuileriencabinet und in den
pariser Zeitungsbureaus darüber entscheiden, welche innere Politik in
Deutschland getrieben werden kann, dürfen wir auf diese Fragen schwerlich
Antwort erwarten. Die Unberechenbarkeit der in Paris jeweilig herrschenden
Stimmungen und Tendenzen springt immer wieder zwischen Frage und Ant¬
wort störend ein, und wir wissen aus einer langen Reihe von Erfahrungen,
daß die Männer, welche Preußens innere Politik machen, zum Dienst der
wahren Interessen des Staats gezwungen werden müssen und von jeder Ge¬
legenheit, sich diesem Zwang zu entziehen, den weitesten Gebrauch machen! Die
stete Beunruhigung der öffentlichen Meinung durch pariser Allarmnachrichten
gibt ihnen immer wieder freie Hand und ein Ende derselben ist auch
gegenwärtig schlechterdings nicht abzusehen.

Die neueste Phase der französischen Kriegsmanifestationen ist von ihren
Vorgängerinnen dadurch wesentlich verschieden gewesen, daß selbst der Schein
eines wirklichen Kriegsvorwandes gefehlt hat. Grade der Mangel eines solchen
war es, der die Börsen ängstigte: „Geschieht das am grünen Holz gänzlicher
Abwesenheit von Differenzpunkten" — so calculirte man nicht unrichtig —
„was ist dann nicht zu fürchten, wenn die Interessen auch nur scheinbar auf
einander platzen?" Eine Sprache wie die Girardin's und der beiden Cas-
sagnac war nur erklärlich, wenn hinter diesen Regierungsmänner standen,
welche die Vollmacht hatten, einen plötzlichen Bruch vorzubereiten. Das
Uebergewicht der sog. spanischen Partei am Tuilerienhof, das sich in der
Abweisung der italienischen Forderungen und der Aufnahme des Grafen
von Girgenti documentirte, ließ darauf schließen, daß an Beruhigung der
Gemüther durch freiheitliche Concessionen nicht zu denken sei und der wesent¬
lich gouvernementale Ausfall der Wahlen unterstützte diese Annahme wenig¬
stens indirect. An die Alternative Krieg oder Freiheit hatte man sich längst
gewöhnt — warder Würfel jetzt geworfen? Das vieldeutige Wort, das der
Kaiser zu Chalons gesprochen und das nicht eben beruhigend klang, ließ sich in
diesem Sinne deuten. Gleichzeitig schlug die Sprache der wiener Preßorgane


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/44>, abgerufen am 05.02.2025.