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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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böses Blut gemacht. Die Sache wurde gleich in der ersten Sitzung vorläufig
angeregt.

So scheint denn die Minister eine ziemlich dornenvolle Session zu er¬
warten. Ob sie aus allen Fährlichkeiten siegreich hervorgehen werden, ist
eben bei der Zersplitterung der Parteien schwer mit Sicherheit vorauszusagen,
und das ist es, was den Gang der Staatsmaschine nicht aus einer gewissen
Unsicherheit herauskommen läßt. Die Rechte ist zwar die stärkere Seite des
Hauses, aber die Mehrheit ist nicht bedeutend und vor Allem nicht eompact;
ein Zufall kann neue Gruppirungen schaffen; freilich ist die Linke noch viel
weniger eine geschlossene Partei.

Rechnet man, daß bei wichtigeren Fragen etwa 300 und etliche Mit-
glieder zugegen zu sein pflegen, so wird man auf die vereinigte Linke 130--
140 Stimmen rechnen dürfen. Das Gros derselben bilden die Abgeordneten
aus den südlichen Provinzen unter Führung des Sicilianers Crispi. eine
Partei von etwa 100 Mitgliedern. Ihr Organ ist die Riforma. Davon zu
unterscheiden ist das Häuflein der Mazzinisten, das wenig über ein halbes
Dutzend stark der Leitung des Dr. Bertani folgt, in der Unita italiana sein
Organ hat und das durch seine Talente nicht schwerer ins Gewicht fällt
als durch seine Zahl. Es sind die Republicaner, während Crispi entschieden
sein monarchisches Glaubensbekenntniß abgelegt und sich dadurch "möglich"
gemacht hat. Eine dritte Gruppe sind die Permanenten, ihr Haupt der Graf
Ponza ti San Martino, ihr Hauptredner, schwülstig und phrasenhaft, der
turiner Advocat Ferraris. Es sind die schmollenden Piemontesen, zwanzig
an der Zahl, ihr Organ die Turiner Volkszeitung. Eine vierte Gruppe hat
sich unter Lanza und Sella bei der Abstimmung vom 8. August über das
Tabakgesetz von der Rechten getrennt und wird in dieser Session zur Linken
zu rechnen sein. Endlich ist Rattazzi, den Mendana in die Opposition ge-
worfen hat, hier zu nennen, eine Partei für sich, coquettirend mit allen anderen,
unberechenbar, der Nachfolger in sps eines jeden Ministeriums und je nach
den Umständen gerade wegen seiner Geschmeidigkeit die bequemste Auskunft,
obwohl er bei Vielen der Linken so verhaßt ist wie bei der Rechten.

Die Rechte wird zum größten Theil von jener rein ministeriellen Partei
gebildet, die bisher die Hauptstütze aller Ministerien war und die Trümmer
der Cavour'schen Mehrheit in sich begreift. Ihre Führer sind die Patrioten
von 1860, die Männer der Annexionen: Ricasoli, Peruzzi, Minghettt, Vis-
contt-Venosta, Spaventa, Pisanelli u. s. w. Die Hauptorgane dieser Partei,
der Consorterie, sind die Nazione in Florenz und die Perseveranza in Mai¬
land. Es ist bemerkenswsrth, daß fast alle venetianischen Abgeordneten
dieser Partei beigetreten sind. Es hätte den Venetianern widersinnig ge¬
schienen, blos dazu den Anschluß an den Nationalstaat zu vottren, um sich


böses Blut gemacht. Die Sache wurde gleich in der ersten Sitzung vorläufig
angeregt.

So scheint denn die Minister eine ziemlich dornenvolle Session zu er¬
warten. Ob sie aus allen Fährlichkeiten siegreich hervorgehen werden, ist
eben bei der Zersplitterung der Parteien schwer mit Sicherheit vorauszusagen,
und das ist es, was den Gang der Staatsmaschine nicht aus einer gewissen
Unsicherheit herauskommen läßt. Die Rechte ist zwar die stärkere Seite des
Hauses, aber die Mehrheit ist nicht bedeutend und vor Allem nicht eompact;
ein Zufall kann neue Gruppirungen schaffen; freilich ist die Linke noch viel
weniger eine geschlossene Partei.

Rechnet man, daß bei wichtigeren Fragen etwa 300 und etliche Mit-
glieder zugegen zu sein pflegen, so wird man auf die vereinigte Linke 130—
140 Stimmen rechnen dürfen. Das Gros derselben bilden die Abgeordneten
aus den südlichen Provinzen unter Führung des Sicilianers Crispi. eine
Partei von etwa 100 Mitgliedern. Ihr Organ ist die Riforma. Davon zu
unterscheiden ist das Häuflein der Mazzinisten, das wenig über ein halbes
Dutzend stark der Leitung des Dr. Bertani folgt, in der Unita italiana sein
Organ hat und das durch seine Talente nicht schwerer ins Gewicht fällt
als durch seine Zahl. Es sind die Republicaner, während Crispi entschieden
sein monarchisches Glaubensbekenntniß abgelegt und sich dadurch „möglich"
gemacht hat. Eine dritte Gruppe sind die Permanenten, ihr Haupt der Graf
Ponza ti San Martino, ihr Hauptredner, schwülstig und phrasenhaft, der
turiner Advocat Ferraris. Es sind die schmollenden Piemontesen, zwanzig
an der Zahl, ihr Organ die Turiner Volkszeitung. Eine vierte Gruppe hat
sich unter Lanza und Sella bei der Abstimmung vom 8. August über das
Tabakgesetz von der Rechten getrennt und wird in dieser Session zur Linken
zu rechnen sein. Endlich ist Rattazzi, den Mendana in die Opposition ge-
worfen hat, hier zu nennen, eine Partei für sich, coquettirend mit allen anderen,
unberechenbar, der Nachfolger in sps eines jeden Ministeriums und je nach
den Umständen gerade wegen seiner Geschmeidigkeit die bequemste Auskunft,
obwohl er bei Vielen der Linken so verhaßt ist wie bei der Rechten.

Die Rechte wird zum größten Theil von jener rein ministeriellen Partei
gebildet, die bisher die Hauptstütze aller Ministerien war und die Trümmer
der Cavour'schen Mehrheit in sich begreift. Ihre Führer sind die Patrioten
von 1860, die Männer der Annexionen: Ricasoli, Peruzzi, Minghettt, Vis-
contt-Venosta, Spaventa, Pisanelli u. s. w. Die Hauptorgane dieser Partei,
der Consorterie, sind die Nazione in Florenz und die Perseveranza in Mai¬
land. Es ist bemerkenswsrth, daß fast alle venetianischen Abgeordneten
dieser Partei beigetreten sind. Es hätte den Venetianern widersinnig ge¬
schienen, blos dazu den Anschluß an den Nationalstaat zu vottren, um sich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/437>, abgerufen am 05.02.2025.