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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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Lage, aber das Ministerium hat sie nicht geschaffen, sondern vorgefunden.
Daß das französische Banner heute auf der Engelsburg weht, ist nicht
Menabrea's Schuld, sondern das gemeinsame Verdienst Garibaldi's und
Rattazzi's. Die Unbesonnenheit des Einen und die Zweideutigkeit des Anderen,
der hinter den Rothhemden in Rom einschleichen wollte, hat die Franzosen
wieder nach Rom zurückgerufen und damit die römische Frage auf den Punkt
zurückgeworfen, aus welchem sie vor dem Septembervertrage stand. Man
sollte jetzt wenigstens darüber belehrt sein, auf welchem Wege man Rom nicht
gewinnt. Nämlich nicht durch einen Freischaarenzug und durch den Bruch von
Verpflichtungen, infolge deren das große Resultat des Abzugs der Franzosen
aus Italien bereits erreicht war. Die Linke geht nun mit der Absicht um
von der Regierung zu verlangen, daß sie den Septembervertrag in Folge
der Rückkehr der Franzosen für erloschen, für null und nichtig erkläre, damit
ihr für irgend welche künftige Eventualitäten die Hände nicht gebunden seien.
Jetzt nach der Hinrichtung vom 25. Nov. hat sie noch ein weiteres Motiv
für diese Taktik. Allein diese Taktik läuft doch nur auf ein negatives Re¬
sultat hinaus; es wäre Nichts damit gewonnen, als etwa das Aufhören der
Zahlungen für den italienischen Antheil an der vormals päpstlichen Schuld.
Ein positives Resultat strebt das Ministerium an, indem es auf irgend eine
Weise den Septembervertrag erneuern und damit die Verpflichtung der Fran¬
zosen zum Abzug wiederherstellen will. In der That ist nicht wohl abzusehen
wie ein Fortschritt in der römischen Frage möglich ist, ohne daß zuvor wieder¬
hergestellt wird, was bereits erreicht war und durch Garibaldi's Römerzug
wieder verscherzt ist. Bis jetzt sind freilich alle Anstrengungen des Ministe¬
riums in dieser Richtung vergeblich gewesen. Weder das Angebot der ein¬
fachen Erneuerung des Septembervertrags, noch das Angebot eines moäus
vivenäi hat L. Napoleon angenommen, und ebensowenig hat durch das
Finanzprotokoll vom 31. Juli 1868, die Zahlung der päpstlichen Schuld be¬
treffend, irgend ein Zugeständniß erlangt werden können. Man müßte denn
als solches das päpstliche Decret betrachten, durch welches jüngst eine erheb¬
liche Herabsetzung der Zölle auf Gegenstände des gewöhnlichen Verkehrs
angeordnet worden ist: eine Maßregel, welche allerdings der Bevölkerung in
den benachbarten italienischen Gebieten zu statten kommt und den Grenz¬
verkehr erleichtert. Diese Unmöglichkeit irgend einen namhaften Erfolg auf¬
zuweisen, macht die Stellung des Ministeriums gegenüber der Kammer über¬
aus schwierig. Allein diese wird zu erwägen haben, ob ein anderes Ministe¬
rium glücklicher gewesen wäre oder mehr Aussichten hätte die Tuilerien günstig
zu stimmen. Daß ein Cabinet der Linken diese Aussichten nicht hat, liegt
auf der Hand.

Die römische Frage ist zwar die gewichtigste, aber doch nur eine von


Lage, aber das Ministerium hat sie nicht geschaffen, sondern vorgefunden.
Daß das französische Banner heute auf der Engelsburg weht, ist nicht
Menabrea's Schuld, sondern das gemeinsame Verdienst Garibaldi's und
Rattazzi's. Die Unbesonnenheit des Einen und die Zweideutigkeit des Anderen,
der hinter den Rothhemden in Rom einschleichen wollte, hat die Franzosen
wieder nach Rom zurückgerufen und damit die römische Frage auf den Punkt
zurückgeworfen, aus welchem sie vor dem Septembervertrage stand. Man
sollte jetzt wenigstens darüber belehrt sein, auf welchem Wege man Rom nicht
gewinnt. Nämlich nicht durch einen Freischaarenzug und durch den Bruch von
Verpflichtungen, infolge deren das große Resultat des Abzugs der Franzosen
aus Italien bereits erreicht war. Die Linke geht nun mit der Absicht um
von der Regierung zu verlangen, daß sie den Septembervertrag in Folge
der Rückkehr der Franzosen für erloschen, für null und nichtig erkläre, damit
ihr für irgend welche künftige Eventualitäten die Hände nicht gebunden seien.
Jetzt nach der Hinrichtung vom 25. Nov. hat sie noch ein weiteres Motiv
für diese Taktik. Allein diese Taktik läuft doch nur auf ein negatives Re¬
sultat hinaus; es wäre Nichts damit gewonnen, als etwa das Aufhören der
Zahlungen für den italienischen Antheil an der vormals päpstlichen Schuld.
Ein positives Resultat strebt das Ministerium an, indem es auf irgend eine
Weise den Septembervertrag erneuern und damit die Verpflichtung der Fran¬
zosen zum Abzug wiederherstellen will. In der That ist nicht wohl abzusehen
wie ein Fortschritt in der römischen Frage möglich ist, ohne daß zuvor wieder¬
hergestellt wird, was bereits erreicht war und durch Garibaldi's Römerzug
wieder verscherzt ist. Bis jetzt sind freilich alle Anstrengungen des Ministe¬
riums in dieser Richtung vergeblich gewesen. Weder das Angebot der ein¬
fachen Erneuerung des Septembervertrags, noch das Angebot eines moäus
vivenäi hat L. Napoleon angenommen, und ebensowenig hat durch das
Finanzprotokoll vom 31. Juli 1868, die Zahlung der päpstlichen Schuld be¬
treffend, irgend ein Zugeständniß erlangt werden können. Man müßte denn
als solches das päpstliche Decret betrachten, durch welches jüngst eine erheb¬
liche Herabsetzung der Zölle auf Gegenstände des gewöhnlichen Verkehrs
angeordnet worden ist: eine Maßregel, welche allerdings der Bevölkerung in
den benachbarten italienischen Gebieten zu statten kommt und den Grenz¬
verkehr erleichtert. Diese Unmöglichkeit irgend einen namhaften Erfolg auf¬
zuweisen, macht die Stellung des Ministeriums gegenüber der Kammer über¬
aus schwierig. Allein diese wird zu erwägen haben, ob ein anderes Ministe¬
rium glücklicher gewesen wäre oder mehr Aussichten hätte die Tuilerien günstig
zu stimmen. Daß ein Cabinet der Linken diese Aussichten nicht hat, liegt
auf der Hand.

Die römische Frage ist zwar die gewichtigste, aber doch nur eine von


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/435>, abgerufen am 06.02.2025.