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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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gewöhnlichen Leben als mecklenburgischer Ort gilt. Aber Wolde zahlt keine
Steuern, weder an Mecklenburg, noch an Preußen, und ist überhaupt
von jeder staatlichen Einwirkung frei. Das galt bisher auch von
der Militärrecrutirung. Die Einwohner von Wolde wurden weder in
Preußen, noch in Mecklenburg zum Militärdienst herangezogen. Dieses eigen¬
thümliche Privileg ist erst neuerdings durch die norddeutsche Bundesgesetz¬
gebung aufgehoben worden. Diese verpflichtet jeden Norddeutschen zum
Kriegsdienste, also auch die Einwohner von Wolde. Nach jüngst erfolgter
Verständigung der mecklenburgischen Regierung mit dem königlich preußischen.
Gouvernement ist Wolde behufs der Heranziehung seiner Bewohner zum
Militärdienste in der norddeutschen Bundesarmee vorläufig, und ohne daß
dadurch dem gegenwärtigen Rechts- und Besitzstände nach irgend einer Seite
hin präjudicirt worden wäre, dem Großherzogthum Mecklenburg-Schwerin
zugetheilt und für diesen Zweck dem Aushebungsbezirke Malchin beigelegt
worden. Zur Ausführung dieser Bestimmung sind nach einer Bekannt¬
machung des mecklenburg-Schwerin'schen Ministeriums des Innern vom 7. Nov.
1868 die resp. Civilbehörden mit entsprechender Instruction versehen und
insbesondere angewiesen worden, alle diejenigen Angehörigen des Ritterguts
Wolde, welche zur Zeit der Publication der Verfassung des norddeutschen
Bundes in militärpflichtigem Alter standen, resp, seit jener Zeit in das mili¬
tärpflichtige Alter getreten sind, nachträglich heranzuziehen.

Wie die Militärfreiheit Wolde's mit der Einführung der bundesgesetz¬
lichen allgemeinen Wehrpflicht untergegangen, so wird auch die Steuerfrei¬
heit dieses Orts verschwinden, sobald allgemeine directe Bundessteuern ein¬
geführt werden. Eben weil Wolde niemals reichsunmittelbar oder gar ganz
unabhängig von staatlicher Hoheit gewesen ist, sondern die Ausübung der
Landeshoheit nur vertragsmäßig seit Jahrhunderten ruhte, mußte die staat¬
liche Unterordnung dieses Orts sich bethätigen, sobald über die Territorial¬
hoheit beider streitenden Landesherren eine höhere staatliche Autorität, die des
norddeutschen Bundes, trat.

Jedenfalls ist das Beispiel Wolde's geeignet, diese Suprematie des
Bundes über die Landeshoheit der einzelnen Bundesglieder, Preußen nicht
ausgenommen, praktisch zu klarem Verständniß zu bringen. Bis zur Grün¬
dung des norddeutschen Bundes konnten die Landesherren von Mecklenburg
und Preußen auf die Ausübung der Landeshoheit über Wolde paciscirend
verzichten; den staatsrechtlichen Pflichten, die der norddeutsche Bund jedem
einzelnen seiner Angehörigen auferlegt, kann Wolde sich aber nicht entziehen,
es muß ihnen vielmehr gerecht werden -- und weil der norddeutsche Bund
keine unmittelbare Herrschaft über einzelne Gebiete, wie sie zu den Zeiten
des deutschen Reichs bestand, kennt, mußte zwischen den streitenden Nachbarn


gewöhnlichen Leben als mecklenburgischer Ort gilt. Aber Wolde zahlt keine
Steuern, weder an Mecklenburg, noch an Preußen, und ist überhaupt
von jeder staatlichen Einwirkung frei. Das galt bisher auch von
der Militärrecrutirung. Die Einwohner von Wolde wurden weder in
Preußen, noch in Mecklenburg zum Militärdienst herangezogen. Dieses eigen¬
thümliche Privileg ist erst neuerdings durch die norddeutsche Bundesgesetz¬
gebung aufgehoben worden. Diese verpflichtet jeden Norddeutschen zum
Kriegsdienste, also auch die Einwohner von Wolde. Nach jüngst erfolgter
Verständigung der mecklenburgischen Regierung mit dem königlich preußischen.
Gouvernement ist Wolde behufs der Heranziehung seiner Bewohner zum
Militärdienste in der norddeutschen Bundesarmee vorläufig, und ohne daß
dadurch dem gegenwärtigen Rechts- und Besitzstände nach irgend einer Seite
hin präjudicirt worden wäre, dem Großherzogthum Mecklenburg-Schwerin
zugetheilt und für diesen Zweck dem Aushebungsbezirke Malchin beigelegt
worden. Zur Ausführung dieser Bestimmung sind nach einer Bekannt¬
machung des mecklenburg-Schwerin'schen Ministeriums des Innern vom 7. Nov.
1868 die resp. Civilbehörden mit entsprechender Instruction versehen und
insbesondere angewiesen worden, alle diejenigen Angehörigen des Ritterguts
Wolde, welche zur Zeit der Publication der Verfassung des norddeutschen
Bundes in militärpflichtigem Alter standen, resp, seit jener Zeit in das mili¬
tärpflichtige Alter getreten sind, nachträglich heranzuziehen.

Wie die Militärfreiheit Wolde's mit der Einführung der bundesgesetz¬
lichen allgemeinen Wehrpflicht untergegangen, so wird auch die Steuerfrei¬
heit dieses Orts verschwinden, sobald allgemeine directe Bundessteuern ein¬
geführt werden. Eben weil Wolde niemals reichsunmittelbar oder gar ganz
unabhängig von staatlicher Hoheit gewesen ist, sondern die Ausübung der
Landeshoheit nur vertragsmäßig seit Jahrhunderten ruhte, mußte die staat¬
liche Unterordnung dieses Orts sich bethätigen, sobald über die Territorial¬
hoheit beider streitenden Landesherren eine höhere staatliche Autorität, die des
norddeutschen Bundes, trat.

Jedenfalls ist das Beispiel Wolde's geeignet, diese Suprematie des
Bundes über die Landeshoheit der einzelnen Bundesglieder, Preußen nicht
ausgenommen, praktisch zu klarem Verständniß zu bringen. Bis zur Grün¬
dung des norddeutschen Bundes konnten die Landesherren von Mecklenburg
und Preußen auf die Ausübung der Landeshoheit über Wolde paciscirend
verzichten; den staatsrechtlichen Pflichten, die der norddeutsche Bund jedem
einzelnen seiner Angehörigen auferlegt, kann Wolde sich aber nicht entziehen,
es muß ihnen vielmehr gerecht werden — und weil der norddeutsche Bund
keine unmittelbare Herrschaft über einzelne Gebiete, wie sie zu den Zeiten
des deutschen Reichs bestand, kennt, mußte zwischen den streitenden Nachbarn


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/406>, abgerufen am 05.02.2025.