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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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Ministeranklage das Mißtrauensvotum als legalen Act parlamentarischer Dis-
ciplinirung der Minister mit der Wirkung sofortiger Dienstentlassung.

Die andere Strömung geht von der deutschen Gemeindefreiheit und dem
gemeinen Landesrechte aus, will die Unumschränktheit staatlicher Gesetzgebung
und Verwaltung überhaupt beseitigt und begrenzt wissen, strebt nach dem
Rechtsstaate und der Decentralisation. Sie verlangt einen kräftigen und gleich¬
mäßigen Schutz des Rechts von den Gerichtshöfen des Landes für Hoch wie
Niedrig, gegen Private wie gegen alle Classen des Beamtenthums. Sie be¬
schwert sich insbesondere darüber, daß durch das Anklagemonopol der Staats¬
anwaltschaft, Competenzconfliete und die Hierarchie des Beamtenthums der
Bürger thatsächlich schutzlos dasteht in strafrechtlicher, wie in civilrechtlicher
Beziehung, wenn er die Gerichte gegen Beamte wegen amtlicher Handlungen
oder Unterlassungen anrufen will. Je höher der Beamte in der bureau¬
kratischen Gliederung, desto aussichtsloser jede Nechtsklage. Die dunkele Er¬
kenntniß ist da. daß in der unverantwortlichen Uebergewalt der Ministerien
der Sitz des Krebsschadens und der Grund all' dieser Uebel zu suchen ist,
daß die Minister, wie sie sind, die Unabhängigkeit der Gerichte, die Selb¬
ständigkeit der provinciellen und communalen Verwaltungskörper untergraben,
die besten Elemente des altköniglichen Beamtenthums durch Verquickung mit
der ministeriellen Bureaukratie der zur höheren Carriere privilegirten Hilfs¬
arbeiter verderben, sich selbst aber, theils durch den Thron, theils durch die
willenlose Subordination des übrigen Beamtenthums geschützt, außerhalb alles
Rechts und aller Verantwortlichkeit gestellt haben. So lange die Minister im
Besitz ihrer heutigen Gewalt sind, ist jeder Versuch, sie unter die Verantwort¬
lichkeit des gemeinen Rechts herunterzudrücken, ein innerer Widerspruch.
Könnte diese Strömung daher ungetrübt wirken, sie würde sich mit aller
Energie nur auf die Zerstörung der Ministerialgewalt werfen zu Gunsten der
Kräftigung einer decentralisirten Verwaltung, unabhängiger Gerichte, wirk¬
samen Rechtsschutzes im bürgerlichen, wie im Strafproceß. Je mehr der Um¬
fang der Ministerialgewalt eingeschränkt wird, desto entschiedener verliert die
ganze Frage der Ministerverantwortlichkeit an rechtlichem Interesse und tritt
in den Bereich der allgemeinen Amtsverantwortlichkeit aller Staatsdiener
zurück. Zu unserem Unglück paralysirt aber jene erste Strömung die letztere
fast vollständig. Immer und immer wieder gewinnt das leichter zu befrie¬
digende parlamentarische Bedürfniß, die Minister der Majoritätsherrschaft,
der Parteidisciplin, dem Mißtrauensvotum unterzuordnen, die Oberhand
über das mühevolle Organisationswerk der Verwaltung. Was dort geschaffen
ist, wird hier wieder zerstört, das rechtliche Problem in demselben Verhältniß
unlösbarer, je heftiger die politische Machtfrage hin und her wogt. Ist man
aber erst so weit, daß ein Mißtrauensvotum und in Folge dessen einige Jahre


Ministeranklage das Mißtrauensvotum als legalen Act parlamentarischer Dis-
ciplinirung der Minister mit der Wirkung sofortiger Dienstentlassung.

Die andere Strömung geht von der deutschen Gemeindefreiheit und dem
gemeinen Landesrechte aus, will die Unumschränktheit staatlicher Gesetzgebung
und Verwaltung überhaupt beseitigt und begrenzt wissen, strebt nach dem
Rechtsstaate und der Decentralisation. Sie verlangt einen kräftigen und gleich¬
mäßigen Schutz des Rechts von den Gerichtshöfen des Landes für Hoch wie
Niedrig, gegen Private wie gegen alle Classen des Beamtenthums. Sie be¬
schwert sich insbesondere darüber, daß durch das Anklagemonopol der Staats¬
anwaltschaft, Competenzconfliete und die Hierarchie des Beamtenthums der
Bürger thatsächlich schutzlos dasteht in strafrechtlicher, wie in civilrechtlicher
Beziehung, wenn er die Gerichte gegen Beamte wegen amtlicher Handlungen
oder Unterlassungen anrufen will. Je höher der Beamte in der bureau¬
kratischen Gliederung, desto aussichtsloser jede Nechtsklage. Die dunkele Er¬
kenntniß ist da. daß in der unverantwortlichen Uebergewalt der Ministerien
der Sitz des Krebsschadens und der Grund all' dieser Uebel zu suchen ist,
daß die Minister, wie sie sind, die Unabhängigkeit der Gerichte, die Selb¬
ständigkeit der provinciellen und communalen Verwaltungskörper untergraben,
die besten Elemente des altköniglichen Beamtenthums durch Verquickung mit
der ministeriellen Bureaukratie der zur höheren Carriere privilegirten Hilfs¬
arbeiter verderben, sich selbst aber, theils durch den Thron, theils durch die
willenlose Subordination des übrigen Beamtenthums geschützt, außerhalb alles
Rechts und aller Verantwortlichkeit gestellt haben. So lange die Minister im
Besitz ihrer heutigen Gewalt sind, ist jeder Versuch, sie unter die Verantwort¬
lichkeit des gemeinen Rechts herunterzudrücken, ein innerer Widerspruch.
Könnte diese Strömung daher ungetrübt wirken, sie würde sich mit aller
Energie nur auf die Zerstörung der Ministerialgewalt werfen zu Gunsten der
Kräftigung einer decentralisirten Verwaltung, unabhängiger Gerichte, wirk¬
samen Rechtsschutzes im bürgerlichen, wie im Strafproceß. Je mehr der Um¬
fang der Ministerialgewalt eingeschränkt wird, desto entschiedener verliert die
ganze Frage der Ministerverantwortlichkeit an rechtlichem Interesse und tritt
in den Bereich der allgemeinen Amtsverantwortlichkeit aller Staatsdiener
zurück. Zu unserem Unglück paralysirt aber jene erste Strömung die letztere
fast vollständig. Immer und immer wieder gewinnt das leichter zu befrie¬
digende parlamentarische Bedürfniß, die Minister der Majoritätsherrschaft,
der Parteidisciplin, dem Mißtrauensvotum unterzuordnen, die Oberhand
über das mühevolle Organisationswerk der Verwaltung. Was dort geschaffen
ist, wird hier wieder zerstört, das rechtliche Problem in demselben Verhältniß
unlösbarer, je heftiger die politische Machtfrage hin und her wogt. Ist man
aber erst so weit, daß ein Mißtrauensvotum und in Folge dessen einige Jahre


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[0402] Ministeranklage das Mißtrauensvotum als legalen Act parlamentarischer Dis- ciplinirung der Minister mit der Wirkung sofortiger Dienstentlassung. Die andere Strömung geht von der deutschen Gemeindefreiheit und dem gemeinen Landesrechte aus, will die Unumschränktheit staatlicher Gesetzgebung und Verwaltung überhaupt beseitigt und begrenzt wissen, strebt nach dem Rechtsstaate und der Decentralisation. Sie verlangt einen kräftigen und gleich¬ mäßigen Schutz des Rechts von den Gerichtshöfen des Landes für Hoch wie Niedrig, gegen Private wie gegen alle Classen des Beamtenthums. Sie be¬ schwert sich insbesondere darüber, daß durch das Anklagemonopol der Staats¬ anwaltschaft, Competenzconfliete und die Hierarchie des Beamtenthums der Bürger thatsächlich schutzlos dasteht in strafrechtlicher, wie in civilrechtlicher Beziehung, wenn er die Gerichte gegen Beamte wegen amtlicher Handlungen oder Unterlassungen anrufen will. Je höher der Beamte in der bureau¬ kratischen Gliederung, desto aussichtsloser jede Nechtsklage. Die dunkele Er¬ kenntniß ist da. daß in der unverantwortlichen Uebergewalt der Ministerien der Sitz des Krebsschadens und der Grund all' dieser Uebel zu suchen ist, daß die Minister, wie sie sind, die Unabhängigkeit der Gerichte, die Selb¬ ständigkeit der provinciellen und communalen Verwaltungskörper untergraben, die besten Elemente des altköniglichen Beamtenthums durch Verquickung mit der ministeriellen Bureaukratie der zur höheren Carriere privilegirten Hilfs¬ arbeiter verderben, sich selbst aber, theils durch den Thron, theils durch die willenlose Subordination des übrigen Beamtenthums geschützt, außerhalb alles Rechts und aller Verantwortlichkeit gestellt haben. So lange die Minister im Besitz ihrer heutigen Gewalt sind, ist jeder Versuch, sie unter die Verantwort¬ lichkeit des gemeinen Rechts herunterzudrücken, ein innerer Widerspruch. Könnte diese Strömung daher ungetrübt wirken, sie würde sich mit aller Energie nur auf die Zerstörung der Ministerialgewalt werfen zu Gunsten der Kräftigung einer decentralisirten Verwaltung, unabhängiger Gerichte, wirk¬ samen Rechtsschutzes im bürgerlichen, wie im Strafproceß. Je mehr der Um¬ fang der Ministerialgewalt eingeschränkt wird, desto entschiedener verliert die ganze Frage der Ministerverantwortlichkeit an rechtlichem Interesse und tritt in den Bereich der allgemeinen Amtsverantwortlichkeit aller Staatsdiener zurück. Zu unserem Unglück paralysirt aber jene erste Strömung die letztere fast vollständig. Immer und immer wieder gewinnt das leichter zu befrie¬ digende parlamentarische Bedürfniß, die Minister der Majoritätsherrschaft, der Parteidisciplin, dem Mißtrauensvotum unterzuordnen, die Oberhand über das mühevolle Organisationswerk der Verwaltung. Was dort geschaffen ist, wird hier wieder zerstört, das rechtliche Problem in demselben Verhältniß unlösbarer, je heftiger die politische Machtfrage hin und her wogt. Ist man aber erst so weit, daß ein Mißtrauensvotum und in Folge dessen einige Jahre

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/402>, abgerufen am 05.02.2025.