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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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Elemente noch so viel durcheinander, die Amtsqualität der constitutionellen
Minister bleibt eine höchst schielende Fratze.

Die Ministerverantwortlichkeit in Ministerdisciplin aufzulösen enthält
allerdings die Consequenz constitutioneller Methode, welche erst "Verfassungs¬
verletzung", dann "Gesetzesverletzung", dann "Mißregierung", schließlich schlecht¬
hin "Pflichtwidrigkeit" als die Substanz der zu verfolgenden Vergehen be¬
zeichnet. In diesen Dingen macht immer nur der erste Schritt Mühe. Mit
dem letzten, dem Problem des Diseiplinargerichtshofs, findet man sich dann
am Ende des Gedankenganges, wie wir oben gesehen, durch einen hohen Auf¬
schwung ins Reich der Ideale ab. Dem Verfasser scheint dabei der Senat
der Vereinigten Staaten vorgeschwebt zu haben. Aber ganz abgesehen von
dem ungeheuren Unterschiede zwischen einer Föderativrepublik und constitutio¬
neller Monarchie ist schon von Murhard im Rotteck-Welker'schen Staatslexikon
("Staatsgerichtshof") darauf aufmerksam gemacht worden, daß der Unions¬
senat ein Träger der Unionssouverän etat, daß er eine ebenso admini¬
strative, wie legislative Behörde, daß seine Zustimmung schon zur Er¬
nennung der höchsten Unionsbeamten constitutionell erforderlich, und daß
die Procedur der Dienstenthebung auf Antrag des Congresses zwar in judi-
ciären Formen geschieht, aber materiell wesentlich ein Ausfluß der Ver¬
waltungshoheit ist.

Ich fasse zum Schluß meine Betrachtungen dahin zusammen. Im Con-
stituttonalismus durchkreuzen sich von Anbeginn an zwei Strömungen völlig
verschiedener Art, die eine romanischen, die andere germanischen Ursprungs,
und noch ist es für Deutschland ein fragwürdiges Räthsel, welche die Ober¬
hand behalten wird. In der Lehre von der Ministerverantwortlichkeit ist ihr
Durcheinanderfluthen am lebhaftesten. Die eine geht von der Idee demokra¬
tischer Volkssouveränetät im Gewände legislativer Volksgewalt aus, gravitirt
unabwendbar zur centralisirten Staatsomnipotenz und verstärkt stetig die
Ministergewalt als das wesentlichste Instrument allmächtiger Administration-
Hier bedeutet Ministerverantwortlichkeit nur die Auffindung gewisser Formen,
in denen die Unterordnung der administrativen Regierungsgewalt unter den
legislativen Volkswillen mit der Wirkung eines Entlassungsrechts der Minister
für die Volksvertretung geltend zu machen sei, und die constitutionelle Con-
trasignatur bedeutet die Bevormundung der neutralisirten fürstlichen Souve-
ränetät durch die dem Parlament untergebenen Minister. Wie diese rein
politische Machtfrage gelöst wird, hängt ab von der Persönlichkeit der Fürsten,
der Kraft der demokratischen Idee, dem Geist und der Geschicklichkeit der
Volksführer, den großen Schicksalen, die über Blüthe und Verfall, Werden
und Vergehen der nationalen Gemeinwesen walten. Wird sie zu Ungunsten
des Fürsten gelöst, dann substituirt die constitutionelle Praxis gewöhnlich der


Elemente noch so viel durcheinander, die Amtsqualität der constitutionellen
Minister bleibt eine höchst schielende Fratze.

Die Ministerverantwortlichkeit in Ministerdisciplin aufzulösen enthält
allerdings die Consequenz constitutioneller Methode, welche erst „Verfassungs¬
verletzung", dann „Gesetzesverletzung", dann „Mißregierung", schließlich schlecht¬
hin „Pflichtwidrigkeit" als die Substanz der zu verfolgenden Vergehen be¬
zeichnet. In diesen Dingen macht immer nur der erste Schritt Mühe. Mit
dem letzten, dem Problem des Diseiplinargerichtshofs, findet man sich dann
am Ende des Gedankenganges, wie wir oben gesehen, durch einen hohen Auf¬
schwung ins Reich der Ideale ab. Dem Verfasser scheint dabei der Senat
der Vereinigten Staaten vorgeschwebt zu haben. Aber ganz abgesehen von
dem ungeheuren Unterschiede zwischen einer Föderativrepublik und constitutio¬
neller Monarchie ist schon von Murhard im Rotteck-Welker'schen Staatslexikon
(„Staatsgerichtshof") darauf aufmerksam gemacht worden, daß der Unions¬
senat ein Träger der Unionssouverän etat, daß er eine ebenso admini¬
strative, wie legislative Behörde, daß seine Zustimmung schon zur Er¬
nennung der höchsten Unionsbeamten constitutionell erforderlich, und daß
die Procedur der Dienstenthebung auf Antrag des Congresses zwar in judi-
ciären Formen geschieht, aber materiell wesentlich ein Ausfluß der Ver¬
waltungshoheit ist.

Ich fasse zum Schluß meine Betrachtungen dahin zusammen. Im Con-
stituttonalismus durchkreuzen sich von Anbeginn an zwei Strömungen völlig
verschiedener Art, die eine romanischen, die andere germanischen Ursprungs,
und noch ist es für Deutschland ein fragwürdiges Räthsel, welche die Ober¬
hand behalten wird. In der Lehre von der Ministerverantwortlichkeit ist ihr
Durcheinanderfluthen am lebhaftesten. Die eine geht von der Idee demokra¬
tischer Volkssouveränetät im Gewände legislativer Volksgewalt aus, gravitirt
unabwendbar zur centralisirten Staatsomnipotenz und verstärkt stetig die
Ministergewalt als das wesentlichste Instrument allmächtiger Administration-
Hier bedeutet Ministerverantwortlichkeit nur die Auffindung gewisser Formen,
in denen die Unterordnung der administrativen Regierungsgewalt unter den
legislativen Volkswillen mit der Wirkung eines Entlassungsrechts der Minister
für die Volksvertretung geltend zu machen sei, und die constitutionelle Con-
trasignatur bedeutet die Bevormundung der neutralisirten fürstlichen Souve-
ränetät durch die dem Parlament untergebenen Minister. Wie diese rein
politische Machtfrage gelöst wird, hängt ab von der Persönlichkeit der Fürsten,
der Kraft der demokratischen Idee, dem Geist und der Geschicklichkeit der
Volksführer, den großen Schicksalen, die über Blüthe und Verfall, Werden
und Vergehen der nationalen Gemeinwesen walten. Wird sie zu Ungunsten
des Fürsten gelöst, dann substituirt die constitutionelle Praxis gewöhnlich der


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[0401] Elemente noch so viel durcheinander, die Amtsqualität der constitutionellen Minister bleibt eine höchst schielende Fratze. Die Ministerverantwortlichkeit in Ministerdisciplin aufzulösen enthält allerdings die Consequenz constitutioneller Methode, welche erst „Verfassungs¬ verletzung", dann „Gesetzesverletzung", dann „Mißregierung", schließlich schlecht¬ hin „Pflichtwidrigkeit" als die Substanz der zu verfolgenden Vergehen be¬ zeichnet. In diesen Dingen macht immer nur der erste Schritt Mühe. Mit dem letzten, dem Problem des Diseiplinargerichtshofs, findet man sich dann am Ende des Gedankenganges, wie wir oben gesehen, durch einen hohen Auf¬ schwung ins Reich der Ideale ab. Dem Verfasser scheint dabei der Senat der Vereinigten Staaten vorgeschwebt zu haben. Aber ganz abgesehen von dem ungeheuren Unterschiede zwischen einer Föderativrepublik und constitutio¬ neller Monarchie ist schon von Murhard im Rotteck-Welker'schen Staatslexikon („Staatsgerichtshof") darauf aufmerksam gemacht worden, daß der Unions¬ senat ein Träger der Unionssouverän etat, daß er eine ebenso admini¬ strative, wie legislative Behörde, daß seine Zustimmung schon zur Er¬ nennung der höchsten Unionsbeamten constitutionell erforderlich, und daß die Procedur der Dienstenthebung auf Antrag des Congresses zwar in judi- ciären Formen geschieht, aber materiell wesentlich ein Ausfluß der Ver¬ waltungshoheit ist. Ich fasse zum Schluß meine Betrachtungen dahin zusammen. Im Con- stituttonalismus durchkreuzen sich von Anbeginn an zwei Strömungen völlig verschiedener Art, die eine romanischen, die andere germanischen Ursprungs, und noch ist es für Deutschland ein fragwürdiges Räthsel, welche die Ober¬ hand behalten wird. In der Lehre von der Ministerverantwortlichkeit ist ihr Durcheinanderfluthen am lebhaftesten. Die eine geht von der Idee demokra¬ tischer Volkssouveränetät im Gewände legislativer Volksgewalt aus, gravitirt unabwendbar zur centralisirten Staatsomnipotenz und verstärkt stetig die Ministergewalt als das wesentlichste Instrument allmächtiger Administration- Hier bedeutet Ministerverantwortlichkeit nur die Auffindung gewisser Formen, in denen die Unterordnung der administrativen Regierungsgewalt unter den legislativen Volkswillen mit der Wirkung eines Entlassungsrechts der Minister für die Volksvertretung geltend zu machen sei, und die constitutionelle Con- trasignatur bedeutet die Bevormundung der neutralisirten fürstlichen Souve- ränetät durch die dem Parlament untergebenen Minister. Wie diese rein politische Machtfrage gelöst wird, hängt ab von der Persönlichkeit der Fürsten, der Kraft der demokratischen Idee, dem Geist und der Geschicklichkeit der Volksführer, den großen Schicksalen, die über Blüthe und Verfall, Werden und Vergehen der nationalen Gemeinwesen walten. Wird sie zu Ungunsten des Fürsten gelöst, dann substituirt die constitutionelle Praxis gewöhnlich der

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/401>, abgerufen am 11.02.2025.