Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.auch unendlich weich und dehnbar. Ja es ist wohl nicht ganz so zufällig, als der Da die Minister solchergestalt verschieden von allen anderen Staatsdienern auch unendlich weich und dehnbar. Ja es ist wohl nicht ganz so zufällig, als der Da die Minister solchergestalt verschieden von allen anderen Staatsdienern <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0394" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/287666"/> <p xml:id="ID_984" prev="#ID_983"> auch unendlich weich und dehnbar. Ja es ist wohl nicht ganz so zufällig, als der<lb/> Verfasser annimmt, daß „die Theorie diesen interessanten Gegenstand so ziemlich<lb/> vernachlässigt" hat. Man spricht sehr leichthin von Diseiplinarrech t und Discip-<lb/> linarverfahren, als handele es sich unbestrittenermaßen um ein Gebiet des<lb/> materiellen oder formellen Rechts. Und doch ist es mehr als zweifelhaft,<lb/> ob das was die Modernen Beamtendisciplin nennen und unsere classischen<lb/> Dogmatiker gar nicht kannten, überhaupt etwas mehr ist, als vollkommen<lb/> undefinirbare Sentiments über Standesehre und Corpsgeist, wie sie sich<lb/> willkürlich und conventionell in geschlossenen Berufsgenossenschaften zu ent¬<lb/> wickeln pflegen. Die Oberen und die Standesgenossen entscheiden in der<lb/> Regel ganz nach subjectiven Ermessen über die Grundsätze, welche für Auf¬<lb/> nahme und Ausschließung in der Körperschaft gelten. Objective, der Wissen¬<lb/> schaft zugängliche Normen sind hier überall kaum findbar, und es ist zu be¬<lb/> dauern, daß der Verfasser sich nicht eingehender über die problematischen<lb/> Grundprincipien des Disciplinarrechts verbreitet hat. Die Minister befinden<lb/> sich folgerecht unter der Disciplinargewalt des Fürsten, dessen Hofe und Um¬<lb/> gebung sie angehören und der sie nach anerkannten konstitutionellen Staats¬<lb/> recht jederzeit nach Belieben ihrer Aemter entheben kann.</p><lb/> <p xml:id="ID_985" next="#ID_986"> Da die Minister solchergestalt verschieden von allen anderen Staatsdienern<lb/> sich schon in einer höchst prekären Charge befinden, erscheint es mißlich, sie<lb/> daneben auch noch einem selbständigen Disciplinargerichtshofe zu unterwerfen.<lb/> Als Räthe, Freunde, Gehilfen des Fürsten entzieht sich ihre Thätigkeit jeder<lb/> profanen Beurtheilung. Wer will darüber zu Gericht sitzen, ob ihr Rath<lb/> und Einfluß stets lauter, weise und heilsam gewesen, wenn nicht der Fürst<lb/> selbst, und wer sollte gegen sie Zeugniß abzulegen wagen, wenn es der Fürst<lb/> nicht thut! Als Chefs der Centralbehörden sind sie aber selbst bereits<lb/> die obersten Disciplinarrichter, und es ist damit unverträglich, noch eine<lb/> höhere Disciplinarinstcmz über sie zu gipfeln. Dann sind diese Disciplinar¬<lb/> richter fortan die Chefs der Verwaltung und man könnte ihnen besser gleich<lb/> auch den Namen von Ministern geben. Wer soll schließlich wieder die Disciplin<lb/> über diese Disciplinarrichter handhaben? Können sie nicht auch unfähig, un¬<lb/> getreu, gewissenlos, pflichtwidrig verfahren? Es ist ein circulus vitiosug, in<lb/> dem der Verfasser sich bewegt, und der alle Subordination und wohlgeglie¬<lb/> derte Amtshierarchie zu gefährden droht. Mit allen Cautelen, einer immer<lb/> über der anderen, gelangen wir doch endlich stets bei einer an, auf deren<lb/> Jnfallibilität wir uns verlassen müssen. Wollen wir dies Prädicat nach<lb/> konstitutionellem Dogma dem Fürsten verweigern, so lassen wir es wenig¬<lb/> stens im Disciplinarrecht den Ministern. — Die Bedenken, welche der Ver¬<lb/> fasser von seinem Standpunkte gegen die Verweisung der Ministeranklagen<lb/> an den höchsten Landesgerichtshof erhebt, verdienen alle Berücksichtigung.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0394]
auch unendlich weich und dehnbar. Ja es ist wohl nicht ganz so zufällig, als der
Verfasser annimmt, daß „die Theorie diesen interessanten Gegenstand so ziemlich
vernachlässigt" hat. Man spricht sehr leichthin von Diseiplinarrech t und Discip-
linarverfahren, als handele es sich unbestrittenermaßen um ein Gebiet des
materiellen oder formellen Rechts. Und doch ist es mehr als zweifelhaft,
ob das was die Modernen Beamtendisciplin nennen und unsere classischen
Dogmatiker gar nicht kannten, überhaupt etwas mehr ist, als vollkommen
undefinirbare Sentiments über Standesehre und Corpsgeist, wie sie sich
willkürlich und conventionell in geschlossenen Berufsgenossenschaften zu ent¬
wickeln pflegen. Die Oberen und die Standesgenossen entscheiden in der
Regel ganz nach subjectiven Ermessen über die Grundsätze, welche für Auf¬
nahme und Ausschließung in der Körperschaft gelten. Objective, der Wissen¬
schaft zugängliche Normen sind hier überall kaum findbar, und es ist zu be¬
dauern, daß der Verfasser sich nicht eingehender über die problematischen
Grundprincipien des Disciplinarrechts verbreitet hat. Die Minister befinden
sich folgerecht unter der Disciplinargewalt des Fürsten, dessen Hofe und Um¬
gebung sie angehören und der sie nach anerkannten konstitutionellen Staats¬
recht jederzeit nach Belieben ihrer Aemter entheben kann.
Da die Minister solchergestalt verschieden von allen anderen Staatsdienern
sich schon in einer höchst prekären Charge befinden, erscheint es mißlich, sie
daneben auch noch einem selbständigen Disciplinargerichtshofe zu unterwerfen.
Als Räthe, Freunde, Gehilfen des Fürsten entzieht sich ihre Thätigkeit jeder
profanen Beurtheilung. Wer will darüber zu Gericht sitzen, ob ihr Rath
und Einfluß stets lauter, weise und heilsam gewesen, wenn nicht der Fürst
selbst, und wer sollte gegen sie Zeugniß abzulegen wagen, wenn es der Fürst
nicht thut! Als Chefs der Centralbehörden sind sie aber selbst bereits
die obersten Disciplinarrichter, und es ist damit unverträglich, noch eine
höhere Disciplinarinstcmz über sie zu gipfeln. Dann sind diese Disciplinar¬
richter fortan die Chefs der Verwaltung und man könnte ihnen besser gleich
auch den Namen von Ministern geben. Wer soll schließlich wieder die Disciplin
über diese Disciplinarrichter handhaben? Können sie nicht auch unfähig, un¬
getreu, gewissenlos, pflichtwidrig verfahren? Es ist ein circulus vitiosug, in
dem der Verfasser sich bewegt, und der alle Subordination und wohlgeglie¬
derte Amtshierarchie zu gefährden droht. Mit allen Cautelen, einer immer
über der anderen, gelangen wir doch endlich stets bei einer an, auf deren
Jnfallibilität wir uns verlassen müssen. Wollen wir dies Prädicat nach
konstitutionellem Dogma dem Fürsten verweigern, so lassen wir es wenig¬
stens im Disciplinarrecht den Ministern. — Die Bedenken, welche der Ver¬
fasser von seinem Standpunkte gegen die Verweisung der Ministeranklagen
an den höchsten Landesgerichtshof erhebt, verdienen alle Berücksichtigung.
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