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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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die Frauen von Trubetzkoy, Naryschkin, Fonwisin und die meinige. Serge
Trubetzkoy pflegte zu sagen: "Wozu brauchen wir Fenster, da wir vier
Sonnen haben!" -- Alerandrine Murawjew und Catharine Trubetzkoy konnten
in dem Gefängnisse nur den Tag zubringen, weil es nicht gestattet war,
Kinder in dasselbe mitzunehmen; die Thüren der Zellen wurden jeden Abend
nach dem Zapfenstreiche abgeschlossen -- kleine Kinder die oft plötzlicher Hilfe
bedürfen, wären der größten Gefahr ausgesetzt gewesen, zumal Nachts kein
Feuer angemacht werden durfte. Die Mütter brachten die Nacht bei ihren
Kindern im eigenen Hause, den Tag bei ihren Männern im Gefängnisse zu.
Jeder von uns suchte seine Zelle nach Kräften auszuschmücken; eine gemein¬
schaftliche Küche befand sich in einem besonderen Gebäude in der Mitte des
ganzen Gefängnißhofes. Jeder der abgetheilten Höfe konnte gänzlich ab¬
gesperrt werden, sobald man die Pforten desselben verschloß. Ein ebenso
großer Raum, als das ganze Gefängniß einnahm, war von einem hohen
aus Balken gezimmerten Zaun eingeschlossen, sodaß die Gefängnißwände
und der eingezäunte Platz ein rechtwinkliges und gleichseitiges Viereck bil¬
deten. Nach dem anfänglichen Plane sollte das ganze Viereck mit Ge¬
fängnissen bebaut werden; da aber ein Theil der Gefangenen schon aus
Tschita zur Ansiedelung verschickt war und mit der Zeit nach bestimmten
Terminen die übrigen Kategorien folgen sollten, so wurde nur die Hälfte
des Raumes bebaut, und die andere eingezäunte Hälfte diente uns zum
Tummelplatz und zur Promenade; im Winter legten wir Rutschberge und
eine Eisbahn zum Schlittschuhlaufen an. Ein Corridor oder gemeinschaft¬
licher Durchgang führte an allen Zellen vorüber; um aber einige Ruhe
herbeizuführen, und das Geräusch zu vermindern, befahl der Commandant
diejenigen Thüren des Corridors, die eine Abtheilung von der anderen
trennten, gänzlich zu schließen.

Als wir dem Commandanten Leparsky über die Finsterniß in unsern
Zellen Vorstellungen machten und unsere Verwunderung darüber aussprachen,
daß er den Bau nach einem so verkehrten, gleichsam auf unsere Erblindung
abzielenden Plane zugegeben, erklärte er achselzuckend, der Plan zu unserem
Gefängniß sei persönlich vom Kaiser bestätigt worden und darum an kein
Remonstriren zu denken gewesen. Aber er sandte Vorstellungen nach Peters¬
burg und erwirkte die Erlaubniß, daß im folgenden Frühjahr kleine Fenster
in unsere Zellen gebrochen wurden.




die Frauen von Trubetzkoy, Naryschkin, Fonwisin und die meinige. Serge
Trubetzkoy pflegte zu sagen: „Wozu brauchen wir Fenster, da wir vier
Sonnen haben!" — Alerandrine Murawjew und Catharine Trubetzkoy konnten
in dem Gefängnisse nur den Tag zubringen, weil es nicht gestattet war,
Kinder in dasselbe mitzunehmen; die Thüren der Zellen wurden jeden Abend
nach dem Zapfenstreiche abgeschlossen — kleine Kinder die oft plötzlicher Hilfe
bedürfen, wären der größten Gefahr ausgesetzt gewesen, zumal Nachts kein
Feuer angemacht werden durfte. Die Mütter brachten die Nacht bei ihren
Kindern im eigenen Hause, den Tag bei ihren Männern im Gefängnisse zu.
Jeder von uns suchte seine Zelle nach Kräften auszuschmücken; eine gemein¬
schaftliche Küche befand sich in einem besonderen Gebäude in der Mitte des
ganzen Gefängnißhofes. Jeder der abgetheilten Höfe konnte gänzlich ab¬
gesperrt werden, sobald man die Pforten desselben verschloß. Ein ebenso
großer Raum, als das ganze Gefängniß einnahm, war von einem hohen
aus Balken gezimmerten Zaun eingeschlossen, sodaß die Gefängnißwände
und der eingezäunte Platz ein rechtwinkliges und gleichseitiges Viereck bil¬
deten. Nach dem anfänglichen Plane sollte das ganze Viereck mit Ge¬
fängnissen bebaut werden; da aber ein Theil der Gefangenen schon aus
Tschita zur Ansiedelung verschickt war und mit der Zeit nach bestimmten
Terminen die übrigen Kategorien folgen sollten, so wurde nur die Hälfte
des Raumes bebaut, und die andere eingezäunte Hälfte diente uns zum
Tummelplatz und zur Promenade; im Winter legten wir Rutschberge und
eine Eisbahn zum Schlittschuhlaufen an. Ein Corridor oder gemeinschaft¬
licher Durchgang führte an allen Zellen vorüber; um aber einige Ruhe
herbeizuführen, und das Geräusch zu vermindern, befahl der Commandant
diejenigen Thüren des Corridors, die eine Abtheilung von der anderen
trennten, gänzlich zu schließen.

Als wir dem Commandanten Leparsky über die Finsterniß in unsern
Zellen Vorstellungen machten und unsere Verwunderung darüber aussprachen,
daß er den Bau nach einem so verkehrten, gleichsam auf unsere Erblindung
abzielenden Plane zugegeben, erklärte er achselzuckend, der Plan zu unserem
Gefängniß sei persönlich vom Kaiser bestätigt worden und darum an kein
Remonstriren zu denken gewesen. Aber er sandte Vorstellungen nach Peters¬
burg und erwirkte die Erlaubniß, daß im folgenden Frühjahr kleine Fenster
in unsere Zellen gebrochen wurden.




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[0378] die Frauen von Trubetzkoy, Naryschkin, Fonwisin und die meinige. Serge Trubetzkoy pflegte zu sagen: „Wozu brauchen wir Fenster, da wir vier Sonnen haben!" — Alerandrine Murawjew und Catharine Trubetzkoy konnten in dem Gefängnisse nur den Tag zubringen, weil es nicht gestattet war, Kinder in dasselbe mitzunehmen; die Thüren der Zellen wurden jeden Abend nach dem Zapfenstreiche abgeschlossen — kleine Kinder die oft plötzlicher Hilfe bedürfen, wären der größten Gefahr ausgesetzt gewesen, zumal Nachts kein Feuer angemacht werden durfte. Die Mütter brachten die Nacht bei ihren Kindern im eigenen Hause, den Tag bei ihren Männern im Gefängnisse zu. Jeder von uns suchte seine Zelle nach Kräften auszuschmücken; eine gemein¬ schaftliche Küche befand sich in einem besonderen Gebäude in der Mitte des ganzen Gefängnißhofes. Jeder der abgetheilten Höfe konnte gänzlich ab¬ gesperrt werden, sobald man die Pforten desselben verschloß. Ein ebenso großer Raum, als das ganze Gefängniß einnahm, war von einem hohen aus Balken gezimmerten Zaun eingeschlossen, sodaß die Gefängnißwände und der eingezäunte Platz ein rechtwinkliges und gleichseitiges Viereck bil¬ deten. Nach dem anfänglichen Plane sollte das ganze Viereck mit Ge¬ fängnissen bebaut werden; da aber ein Theil der Gefangenen schon aus Tschita zur Ansiedelung verschickt war und mit der Zeit nach bestimmten Terminen die übrigen Kategorien folgen sollten, so wurde nur die Hälfte des Raumes bebaut, und die andere eingezäunte Hälfte diente uns zum Tummelplatz und zur Promenade; im Winter legten wir Rutschberge und eine Eisbahn zum Schlittschuhlaufen an. Ein Corridor oder gemeinschaft¬ licher Durchgang führte an allen Zellen vorüber; um aber einige Ruhe herbeizuführen, und das Geräusch zu vermindern, befahl der Commandant diejenigen Thüren des Corridors, die eine Abtheilung von der anderen trennten, gänzlich zu schließen. Als wir dem Commandanten Leparsky über die Finsterniß in unsern Zellen Vorstellungen machten und unsere Verwunderung darüber aussprachen, daß er den Bau nach einem so verkehrten, gleichsam auf unsere Erblindung abzielenden Plane zugegeben, erklärte er achselzuckend, der Plan zu unserem Gefängniß sei persönlich vom Kaiser bestätigt worden und darum an kein Remonstriren zu denken gewesen. Aber er sandte Vorstellungen nach Peters¬ burg und erwirkte die Erlaubniß, daß im folgenden Frühjahr kleine Fenster in unsere Zellen gebrochen wurden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/378>, abgerufen am 05.02.2025.