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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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mit umgehender Post seine Antwort und vier Paquete, welche an die Gou¬
verneure von Tobolsk, Jeniseisk, Jrkutsk und an unsern Commandanten Le-
parsky adressirt waren.

Bis Moskau ließ meine Frau sich von ihrem Sohne begleiten. Hier
angelangt erhielt sie die Besuche vieler Verwandter meiner Unglücksgefährten;
die Gräfin Wer" Tschernytschew, Schwester unserer Alexandrine MurawjM,
jetzige Gräfin Pahlen, bat meine Frau mit Thränen, sie unter dem Namen
einer Dienstmagd mitzunehmen, damit sie in Sibirien ihrer Schwester helfen
könne. -- Ich übernehme es nicht, den letzten Tag zu beschreiben, den meine
Frau mit ihrem Sohne zubrachte.

Am 17. Juni 1830 verließ meine Frau in Begleitung eines Dieners
und einer Magd Moskau und reiste ebenso schnell wie die Briefpost; bis
Tobolsk hatte sie nur eine Nacht geruht. Als sie hier Benkendorff's Brief
dem General-Gouverneur I. A. Weljaminow zugesandt hatte, erhielt sie vom
diesem das Anerbieten, einen Begleiter in der Person des Postillons Sedow
bis Jrkutsk mitzunehmen. In Jrkutsk traf sie am 31. Juli ein und wurde
daselbst einige Tage aufgehalten; obgleich man ihr nicht so große Hinder¬
nisse in den Weg legen konnte wie früher der Fürstin Trubetzkoy. so ver¬
langte man doch einen schriftlichen Verzicht auf die ihre adligen Staatsrechte.
Den 4. August wurde die Reisekalesche meiner Frau auf ein großes
Fischerboot, ein Segelfahrzeug, gesetzt, das sie über den Baikalsee führen sollte;
nach stürmischer Seefahrt, die zum Einlaufen in einen Nothhafen zwang, tra¬
fen die Reisenden in der Station Stepnaja ein; hier mußten sie liegen blei¬
ben, weil das Austreten der Flüsse Selenga und Uta die ganze Umgegend
überschwemmt hatte. Zehn Tage lebte meine Frau in einem armseligen Dorfe
in einer Scheuer, bis das Wasser endlich zurücktrat. Sie mußte ihre Kalesche
zurücklassen, einige Werst zu Boote fahren und konnte die folgende Station
nur mit Mühe und nach großen Gefahren erreichen. Der Diener war bei
der Equipage zurückgeblieben; sie setzte sich mit der Magd in einen Postwa¬
gen und jagte dann weiter. -- Obgleich ich schon in Tschita den Brief mei¬
ner Frau aus Stepnaja erhalten hatte, war es doch unmöglich ihre Ankunft
an einem bestimmten Tage zu erwarten; der Entfernung nach konnte sie
täglich eintreffen. Die Frau meines Gefährten Juschnewsky war zwei
Wochen vor meiner Frau aus Moskau abgereist und weder von dem Bai¬
kalsee, noch durch Ueberschwemmung aufgehalten worden. Es war ihr nicht
bestimmt, auf längere Zeit das Gefängniß und die Verbannung ihres Man¬
nes zu theilen -- er wurde von seinen Leiden durch einen plötzlichen Tod
befreit, während er in der Kirche des Dorfes, wo er angesiedelt war, vor
dem Sarge unseres Kameraden Wadkowsky stand. -- Am 27. August hiel-
ten wir in Ononsky-Bor, einem Dörfchen, Rasttag, wo wir in Filzzelten ein-


mit umgehender Post seine Antwort und vier Paquete, welche an die Gou¬
verneure von Tobolsk, Jeniseisk, Jrkutsk und an unsern Commandanten Le-
parsky adressirt waren.

Bis Moskau ließ meine Frau sich von ihrem Sohne begleiten. Hier
angelangt erhielt sie die Besuche vieler Verwandter meiner Unglücksgefährten;
die Gräfin Wer« Tschernytschew, Schwester unserer Alexandrine MurawjM,
jetzige Gräfin Pahlen, bat meine Frau mit Thränen, sie unter dem Namen
einer Dienstmagd mitzunehmen, damit sie in Sibirien ihrer Schwester helfen
könne. — Ich übernehme es nicht, den letzten Tag zu beschreiben, den meine
Frau mit ihrem Sohne zubrachte.

Am 17. Juni 1830 verließ meine Frau in Begleitung eines Dieners
und einer Magd Moskau und reiste ebenso schnell wie die Briefpost; bis
Tobolsk hatte sie nur eine Nacht geruht. Als sie hier Benkendorff's Brief
dem General-Gouverneur I. A. Weljaminow zugesandt hatte, erhielt sie vom
diesem das Anerbieten, einen Begleiter in der Person des Postillons Sedow
bis Jrkutsk mitzunehmen. In Jrkutsk traf sie am 31. Juli ein und wurde
daselbst einige Tage aufgehalten; obgleich man ihr nicht so große Hinder¬
nisse in den Weg legen konnte wie früher der Fürstin Trubetzkoy. so ver¬
langte man doch einen schriftlichen Verzicht auf die ihre adligen Staatsrechte.
Den 4. August wurde die Reisekalesche meiner Frau auf ein großes
Fischerboot, ein Segelfahrzeug, gesetzt, das sie über den Baikalsee führen sollte;
nach stürmischer Seefahrt, die zum Einlaufen in einen Nothhafen zwang, tra¬
fen die Reisenden in der Station Stepnaja ein; hier mußten sie liegen blei¬
ben, weil das Austreten der Flüsse Selenga und Uta die ganze Umgegend
überschwemmt hatte. Zehn Tage lebte meine Frau in einem armseligen Dorfe
in einer Scheuer, bis das Wasser endlich zurücktrat. Sie mußte ihre Kalesche
zurücklassen, einige Werst zu Boote fahren und konnte die folgende Station
nur mit Mühe und nach großen Gefahren erreichen. Der Diener war bei
der Equipage zurückgeblieben; sie setzte sich mit der Magd in einen Postwa¬
gen und jagte dann weiter. — Obgleich ich schon in Tschita den Brief mei¬
ner Frau aus Stepnaja erhalten hatte, war es doch unmöglich ihre Ankunft
an einem bestimmten Tage zu erwarten; der Entfernung nach konnte sie
täglich eintreffen. Die Frau meines Gefährten Juschnewsky war zwei
Wochen vor meiner Frau aus Moskau abgereist und weder von dem Bai¬
kalsee, noch durch Ueberschwemmung aufgehalten worden. Es war ihr nicht
bestimmt, auf längere Zeit das Gefängniß und die Verbannung ihres Man¬
nes zu theilen — er wurde von seinen Leiden durch einen plötzlichen Tod
befreit, während er in der Kirche des Dorfes, wo er angesiedelt war, vor
dem Sarge unseres Kameraden Wadkowsky stand. — Am 27. August hiel-
ten wir in Ononsky-Bor, einem Dörfchen, Rasttag, wo wir in Filzzelten ein-


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[0372] mit umgehender Post seine Antwort und vier Paquete, welche an die Gou¬ verneure von Tobolsk, Jeniseisk, Jrkutsk und an unsern Commandanten Le- parsky adressirt waren. Bis Moskau ließ meine Frau sich von ihrem Sohne begleiten. Hier angelangt erhielt sie die Besuche vieler Verwandter meiner Unglücksgefährten; die Gräfin Wer« Tschernytschew, Schwester unserer Alexandrine MurawjM, jetzige Gräfin Pahlen, bat meine Frau mit Thränen, sie unter dem Namen einer Dienstmagd mitzunehmen, damit sie in Sibirien ihrer Schwester helfen könne. — Ich übernehme es nicht, den letzten Tag zu beschreiben, den meine Frau mit ihrem Sohne zubrachte. Am 17. Juni 1830 verließ meine Frau in Begleitung eines Dieners und einer Magd Moskau und reiste ebenso schnell wie die Briefpost; bis Tobolsk hatte sie nur eine Nacht geruht. Als sie hier Benkendorff's Brief dem General-Gouverneur I. A. Weljaminow zugesandt hatte, erhielt sie vom diesem das Anerbieten, einen Begleiter in der Person des Postillons Sedow bis Jrkutsk mitzunehmen. In Jrkutsk traf sie am 31. Juli ein und wurde daselbst einige Tage aufgehalten; obgleich man ihr nicht so große Hinder¬ nisse in den Weg legen konnte wie früher der Fürstin Trubetzkoy. so ver¬ langte man doch einen schriftlichen Verzicht auf die ihre adligen Staatsrechte. Den 4. August wurde die Reisekalesche meiner Frau auf ein großes Fischerboot, ein Segelfahrzeug, gesetzt, das sie über den Baikalsee führen sollte; nach stürmischer Seefahrt, die zum Einlaufen in einen Nothhafen zwang, tra¬ fen die Reisenden in der Station Stepnaja ein; hier mußten sie liegen blei¬ ben, weil das Austreten der Flüsse Selenga und Uta die ganze Umgegend überschwemmt hatte. Zehn Tage lebte meine Frau in einem armseligen Dorfe in einer Scheuer, bis das Wasser endlich zurücktrat. Sie mußte ihre Kalesche zurücklassen, einige Werst zu Boote fahren und konnte die folgende Station nur mit Mühe und nach großen Gefahren erreichen. Der Diener war bei der Equipage zurückgeblieben; sie setzte sich mit der Magd in einen Postwa¬ gen und jagte dann weiter. — Obgleich ich schon in Tschita den Brief mei¬ ner Frau aus Stepnaja erhalten hatte, war es doch unmöglich ihre Ankunft an einem bestimmten Tage zu erwarten; der Entfernung nach konnte sie täglich eintreffen. Die Frau meines Gefährten Juschnewsky war zwei Wochen vor meiner Frau aus Moskau abgereist und weder von dem Bai¬ kalsee, noch durch Ueberschwemmung aufgehalten worden. Es war ihr nicht bestimmt, auf längere Zeit das Gefängniß und die Verbannung ihres Man¬ nes zu theilen — er wurde von seinen Leiden durch einen plötzlichen Tod befreit, während er in der Kirche des Dorfes, wo er angesiedelt war, vor dem Sarge unseres Kameraden Wadkowsky stand. — Am 27. August hiel- ten wir in Ononsky-Bor, einem Dörfchen, Rasttag, wo wir in Filzzelten ein-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/372>, abgerufen am 06.02.2025.