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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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meiner Frau aus einer jenseit des Baikalsees gelegenen Station (wo sie einer
schrecklichen Überschwemmung halber drei Wochen aufgehalten worden war)
erhalten. -- Mein Sohn zählte schon vier Jahre; meine Frau hatte sich
lange mit den Gedanken gequält, wem sie seine Erziehung anvertrauen sollte.
Unterdessen hatte ihre Gesundheit durch die Trennung und schwere Sorgen
empfindlich gelitten, besonders seitdem sie eine entschieden abschlägige Ant¬
wort auf ihr Gesuch, unser Kind nach Sibirien mitnehmen zu dürfen, erhal¬
ten hatte. Der General-Adjutant Dibitsch hatte der Frau von I. D. Ja-
kuschkin, die ihrem Manne nicht sofort gefolgt war, weil sie zwei minderjähr-
rige Söhne versorgen mußte, das Versprechen gegeben, daß sie ihre Söhne
werde mitnehmen dürfen. Als meine Frau sich persönlich mit dem gleichen
Gesuch an den General-Adjutanten Grafen Benkendorff wandte, kündigte dieser
ihr die Unmöglichkeit einer Gewährung an. Als meine Frau sich auf das Ver.
sprechen Dibitsch's berief, hatte Benkendorff entgegnet: "V'sse impossibls, o'est
uns stoui-äsris as Is, xart an (?6lisrg,1. IZt Moors js avis Vous prsvöllir,
Uaäamo, si vous voulszi partir sans votrs üls, it u'x aura, jams-is av ro
tourpour vous, Mwais!" -- Dann fügte er noch hinzu: "8i vous avss dö-
"sin as c^uft^us autrs etwss, j'mtsresclsrg.i s-upres as 8a Najssts." -- Meine
Frau konnte nur antworten: ,,^s vais xrisr us xas revenir, et js v'e>.i risn
i>. Zsmanäsr "zuimÄ on we rskuss ivou 61s." Benkendorff war bis zu
Thränen gerührt und bat, sie möchte ihn vor ihrer Abreise noch eine Mit¬
theilung zugehen lassen, damit er ihr die erforderlichen Papiere zuschicken könne.
-- Die Drohung Benkendorff's "II n'^ aura xas as rstour xour vous" war
keine leere, sondern beschlossene Regierungsmaßregel. Zwei meiner verheiratheten
Kameraden, Tuschnewsky und Jentalzow. starben im Jahre 1846 in Sibirien;
ihre kinderlosen Wittwen baten um Erlaubniß, in die Heimath zurückzu¬
kehren, erhielten aber eine abschlägige Antwort.*) -- Meine Frau war, als
sie in ihre Wohnung zurückkehrte und ihren Sohn auf den Arm nahm, wie
zerschlagen; von diesem Augenblicke an stellte sich eine durch beständiges Ohren¬
brausen bewirkte Schwäche ihres Gehörs ein, die mehrere Jahre währte und sich
später bei jeder Gemüthsbewegung erneuerte. Während der Zeit unserer
Trennung lebte sie sehr eingezogen, widmete sich ganz dem Sohne und reiste
im letzten Jahre auf ihr Landgut in die Ukraine. Ihre Gesundheit schwand
merklich; liebende Verwandte nahmen warmen Antheil an ihrem Kummer,
wußten aber nicht, wie ihr zu helfen sei. -- Erst als ihre jüngste Schwester
für das Kind zu sorgen versprach, wurde meine Frau ruhiger, denn jetzt
wußte sie dasselbe wohl aufgehoben. Ihre Vorbereitungen zur Reise waren
kurz, sie benachrichtigte Benkendorff von der Zeit ihrer Abreise und erhielt

D. Red. -) Diese Aufzeichnungen sind im Jahre 1853 gemacht.


Grenzboten IV. 1868.44

meiner Frau aus einer jenseit des Baikalsees gelegenen Station (wo sie einer
schrecklichen Überschwemmung halber drei Wochen aufgehalten worden war)
erhalten. — Mein Sohn zählte schon vier Jahre; meine Frau hatte sich
lange mit den Gedanken gequält, wem sie seine Erziehung anvertrauen sollte.
Unterdessen hatte ihre Gesundheit durch die Trennung und schwere Sorgen
empfindlich gelitten, besonders seitdem sie eine entschieden abschlägige Ant¬
wort auf ihr Gesuch, unser Kind nach Sibirien mitnehmen zu dürfen, erhal¬
ten hatte. Der General-Adjutant Dibitsch hatte der Frau von I. D. Ja-
kuschkin, die ihrem Manne nicht sofort gefolgt war, weil sie zwei minderjähr-
rige Söhne versorgen mußte, das Versprechen gegeben, daß sie ihre Söhne
werde mitnehmen dürfen. Als meine Frau sich persönlich mit dem gleichen
Gesuch an den General-Adjutanten Grafen Benkendorff wandte, kündigte dieser
ihr die Unmöglichkeit einer Gewährung an. Als meine Frau sich auf das Ver.
sprechen Dibitsch's berief, hatte Benkendorff entgegnet: „V'sse impossibls, o'est
uns stoui-äsris as Is, xart an (?6lisrg,1. IZt Moors js avis Vous prsvöllir,
Uaäamo, si vous voulszi partir sans votrs üls, it u'x aura, jams-is av ro
tourpour vous, Mwais!" — Dann fügte er noch hinzu: „8i vous avss dö-
«sin as c^uft^us autrs etwss, j'mtsresclsrg.i s-upres as 8a Najssts." — Meine
Frau konnte nur antworten: ,,^s vais xrisr us xas revenir, et js v'e>.i risn
i>. Zsmanäsr «zuimÄ on we rskuss ivou 61s." Benkendorff war bis zu
Thränen gerührt und bat, sie möchte ihn vor ihrer Abreise noch eine Mit¬
theilung zugehen lassen, damit er ihr die erforderlichen Papiere zuschicken könne.
— Die Drohung Benkendorff's „II n'^ aura xas as rstour xour vous" war
keine leere, sondern beschlossene Regierungsmaßregel. Zwei meiner verheiratheten
Kameraden, Tuschnewsky und Jentalzow. starben im Jahre 1846 in Sibirien;
ihre kinderlosen Wittwen baten um Erlaubniß, in die Heimath zurückzu¬
kehren, erhielten aber eine abschlägige Antwort.*) — Meine Frau war, als
sie in ihre Wohnung zurückkehrte und ihren Sohn auf den Arm nahm, wie
zerschlagen; von diesem Augenblicke an stellte sich eine durch beständiges Ohren¬
brausen bewirkte Schwäche ihres Gehörs ein, die mehrere Jahre währte und sich
später bei jeder Gemüthsbewegung erneuerte. Während der Zeit unserer
Trennung lebte sie sehr eingezogen, widmete sich ganz dem Sohne und reiste
im letzten Jahre auf ihr Landgut in die Ukraine. Ihre Gesundheit schwand
merklich; liebende Verwandte nahmen warmen Antheil an ihrem Kummer,
wußten aber nicht, wie ihr zu helfen sei. — Erst als ihre jüngste Schwester
für das Kind zu sorgen versprach, wurde meine Frau ruhiger, denn jetzt
wußte sie dasselbe wohl aufgehoben. Ihre Vorbereitungen zur Reise waren
kurz, sie benachrichtigte Benkendorff von der Zeit ihrer Abreise und erhielt

D. Red. -) Diese Aufzeichnungen sind im Jahre 1853 gemacht.


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[0371] meiner Frau aus einer jenseit des Baikalsees gelegenen Station (wo sie einer schrecklichen Überschwemmung halber drei Wochen aufgehalten worden war) erhalten. — Mein Sohn zählte schon vier Jahre; meine Frau hatte sich lange mit den Gedanken gequält, wem sie seine Erziehung anvertrauen sollte. Unterdessen hatte ihre Gesundheit durch die Trennung und schwere Sorgen empfindlich gelitten, besonders seitdem sie eine entschieden abschlägige Ant¬ wort auf ihr Gesuch, unser Kind nach Sibirien mitnehmen zu dürfen, erhal¬ ten hatte. Der General-Adjutant Dibitsch hatte der Frau von I. D. Ja- kuschkin, die ihrem Manne nicht sofort gefolgt war, weil sie zwei minderjähr- rige Söhne versorgen mußte, das Versprechen gegeben, daß sie ihre Söhne werde mitnehmen dürfen. Als meine Frau sich persönlich mit dem gleichen Gesuch an den General-Adjutanten Grafen Benkendorff wandte, kündigte dieser ihr die Unmöglichkeit einer Gewährung an. Als meine Frau sich auf das Ver. sprechen Dibitsch's berief, hatte Benkendorff entgegnet: „V'sse impossibls, o'est uns stoui-äsris as Is, xart an (?6lisrg,1. IZt Moors js avis Vous prsvöllir, Uaäamo, si vous voulszi partir sans votrs üls, it u'x aura, jams-is av ro tourpour vous, Mwais!" — Dann fügte er noch hinzu: „8i vous avss dö- «sin as c^uft^us autrs etwss, j'mtsresclsrg.i s-upres as 8a Najssts." — Meine Frau konnte nur antworten: ,,^s vais xrisr us xas revenir, et js v'e>.i risn i>. Zsmanäsr «zuimÄ on we rskuss ivou 61s." Benkendorff war bis zu Thränen gerührt und bat, sie möchte ihn vor ihrer Abreise noch eine Mit¬ theilung zugehen lassen, damit er ihr die erforderlichen Papiere zuschicken könne. — Die Drohung Benkendorff's „II n'^ aura xas as rstour xour vous" war keine leere, sondern beschlossene Regierungsmaßregel. Zwei meiner verheiratheten Kameraden, Tuschnewsky und Jentalzow. starben im Jahre 1846 in Sibirien; ihre kinderlosen Wittwen baten um Erlaubniß, in die Heimath zurückzu¬ kehren, erhielten aber eine abschlägige Antwort.*) — Meine Frau war, als sie in ihre Wohnung zurückkehrte und ihren Sohn auf den Arm nahm, wie zerschlagen; von diesem Augenblicke an stellte sich eine durch beständiges Ohren¬ brausen bewirkte Schwäche ihres Gehörs ein, die mehrere Jahre währte und sich später bei jeder Gemüthsbewegung erneuerte. Während der Zeit unserer Trennung lebte sie sehr eingezogen, widmete sich ganz dem Sohne und reiste im letzten Jahre auf ihr Landgut in die Ukraine. Ihre Gesundheit schwand merklich; liebende Verwandte nahmen warmen Antheil an ihrem Kummer, wußten aber nicht, wie ihr zu helfen sei. — Erst als ihre jüngste Schwester für das Kind zu sorgen versprach, wurde meine Frau ruhiger, denn jetzt wußte sie dasselbe wohl aufgehoben. Ihre Vorbereitungen zur Reise waren kurz, sie benachrichtigte Benkendorff von der Zeit ihrer Abreise und erhielt D. Red. -) Diese Aufzeichnungen sind im Jahre 1853 gemacht. Grenzboten IV. 1868.44

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/371>, abgerufen am 06.02.2025.