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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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Von den außerordentlichen Budgets d. h. Deficits verschlungen waren. Wäh¬
rend die provisorische Regierung die verschuldete Nation neu belastet, gibt sie
regelmäßige Einnahmen auf: sie hat die Octrois abgeschafft oder von den
Juntas abschaffen lassen und etwa 2000 zollpflichtige Artikel aus dem Zoll,
lares gestrichen. Nun ist freilich Nichts gewisser, als daß das widersinnige
spanische Prohibitivsystem einer gründlichen Reform bedarf, wenn die Kräfte
des Landes sich entwickeln sollen; aber derartige Reformen wollen, eben weil
sie so tief in das Volksleben eingreifen, wohl vorbereitet sein; vorläufig hat
man Nichts weiter damit erreicht, als daß man die Industriellen der öst¬
lichen Provinzen erbittert und die regelmäßigen Einnahmequellen geschwächt
hat, welche schon nach der Natur der Sache durch jede Revolution leiden
müssen: einige Decrete welche z. B. das Verbot der Korneinfuhr aufgehoben
und die übermäßigen Zölle auf Schiffsbaumaterialien ermäßigt, wären ganz
ausreichend gewesen.

Abgesehen von den Finanzen ist die wichtigste Maßregel der provisori¬
schen Regierung die Aufhebung der Klöster. Für die Dringlichkeit der Ma߬
regel läßt sich anführen, daß es 42,765 Geistliche gab, also einen auf je 37
Personen der Bevölkerung; daneben 11,166 Küster, 6833 Chorsänger und
133S Glöckner, während die ganze Handelsmarine nur 39,437 Menschen be¬
schäftigt. Diese Legion, von denen die Mehrzahl als Müssiggänger ange¬
sehen werden darf, zu lichten war gewiß nothwendig; gleichwohl fragt es
sich, ob so große Gefahr im Verzüge war, daß man nicht bis zum Zusam¬
mentritt der Cortes warten konnte, denn es ist zu berücksichtigen, daß die
Regierung mit diesen raschen Maßregeln den mächtigen Clerus gegen sich
aufgebracht hat, was sich bei den allgemeinen Wahlen deutlich genug zeigen
wird. Außerdem ist es zweifelhaft ob das spanische Volk für die proclamirte
volle Glaubensfreiheit reif ist; uns würde es gar nicht wundern, wenn die
Cortes sich sehr viel katholischer zeigten als die provisorische Negierung.
Wahrscheinlich ist es auch diese Hoffnung, welche das auffallend wohlwollende
Verhalten der Curie zur Revolution erklärt: der Nuntius gibt sich den An-
schein garnicht zu bemerken, daß der Papst in der Person Jsabella's seine er¬
gebenste Stütze verloren, und verkehrt freundlich mit Serrano und Prim.
Da man aber nicht wohl annehmen kann, daß der Papst sich über Nacht
zur Toleranz und Glaubensfreiheit bekehrt hat, so wird man daraus geführt,
daß Rom sich durch diese Haltung seinen Einfluß sichern will und den rich¬
tigen Instinct hat. daß mit je mehr Ueberstürzung die jetzigen Machthaber
vorgehen, desto sicherer die Reaction folgen muß. Auch gegen die französische
Republik von 1848 nahm Pius IX. eine ähnlich wohlwollende Stellung und
aus ähnlichen Gründen.

Neben den Priestern kommt für die Zukunft Spaniens vor Allem die


43'

Von den außerordentlichen Budgets d. h. Deficits verschlungen waren. Wäh¬
rend die provisorische Regierung die verschuldete Nation neu belastet, gibt sie
regelmäßige Einnahmen auf: sie hat die Octrois abgeschafft oder von den
Juntas abschaffen lassen und etwa 2000 zollpflichtige Artikel aus dem Zoll,
lares gestrichen. Nun ist freilich Nichts gewisser, als daß das widersinnige
spanische Prohibitivsystem einer gründlichen Reform bedarf, wenn die Kräfte
des Landes sich entwickeln sollen; aber derartige Reformen wollen, eben weil
sie so tief in das Volksleben eingreifen, wohl vorbereitet sein; vorläufig hat
man Nichts weiter damit erreicht, als daß man die Industriellen der öst¬
lichen Provinzen erbittert und die regelmäßigen Einnahmequellen geschwächt
hat, welche schon nach der Natur der Sache durch jede Revolution leiden
müssen: einige Decrete welche z. B. das Verbot der Korneinfuhr aufgehoben
und die übermäßigen Zölle auf Schiffsbaumaterialien ermäßigt, wären ganz
ausreichend gewesen.

Abgesehen von den Finanzen ist die wichtigste Maßregel der provisori¬
schen Regierung die Aufhebung der Klöster. Für die Dringlichkeit der Ma߬
regel läßt sich anführen, daß es 42,765 Geistliche gab, also einen auf je 37
Personen der Bevölkerung; daneben 11,166 Küster, 6833 Chorsänger und
133S Glöckner, während die ganze Handelsmarine nur 39,437 Menschen be¬
schäftigt. Diese Legion, von denen die Mehrzahl als Müssiggänger ange¬
sehen werden darf, zu lichten war gewiß nothwendig; gleichwohl fragt es
sich, ob so große Gefahr im Verzüge war, daß man nicht bis zum Zusam¬
mentritt der Cortes warten konnte, denn es ist zu berücksichtigen, daß die
Regierung mit diesen raschen Maßregeln den mächtigen Clerus gegen sich
aufgebracht hat, was sich bei den allgemeinen Wahlen deutlich genug zeigen
wird. Außerdem ist es zweifelhaft ob das spanische Volk für die proclamirte
volle Glaubensfreiheit reif ist; uns würde es gar nicht wundern, wenn die
Cortes sich sehr viel katholischer zeigten als die provisorische Negierung.
Wahrscheinlich ist es auch diese Hoffnung, welche das auffallend wohlwollende
Verhalten der Curie zur Revolution erklärt: der Nuntius gibt sich den An-
schein garnicht zu bemerken, daß der Papst in der Person Jsabella's seine er¬
gebenste Stütze verloren, und verkehrt freundlich mit Serrano und Prim.
Da man aber nicht wohl annehmen kann, daß der Papst sich über Nacht
zur Toleranz und Glaubensfreiheit bekehrt hat, so wird man daraus geführt,
daß Rom sich durch diese Haltung seinen Einfluß sichern will und den rich¬
tigen Instinct hat. daß mit je mehr Ueberstürzung die jetzigen Machthaber
vorgehen, desto sicherer die Reaction folgen muß. Auch gegen die französische
Republik von 1848 nahm Pius IX. eine ähnlich wohlwollende Stellung und
aus ähnlichen Gründen.

Neben den Priestern kommt für die Zukunft Spaniens vor Allem die


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[0365] Von den außerordentlichen Budgets d. h. Deficits verschlungen waren. Wäh¬ rend die provisorische Regierung die verschuldete Nation neu belastet, gibt sie regelmäßige Einnahmen auf: sie hat die Octrois abgeschafft oder von den Juntas abschaffen lassen und etwa 2000 zollpflichtige Artikel aus dem Zoll, lares gestrichen. Nun ist freilich Nichts gewisser, als daß das widersinnige spanische Prohibitivsystem einer gründlichen Reform bedarf, wenn die Kräfte des Landes sich entwickeln sollen; aber derartige Reformen wollen, eben weil sie so tief in das Volksleben eingreifen, wohl vorbereitet sein; vorläufig hat man Nichts weiter damit erreicht, als daß man die Industriellen der öst¬ lichen Provinzen erbittert und die regelmäßigen Einnahmequellen geschwächt hat, welche schon nach der Natur der Sache durch jede Revolution leiden müssen: einige Decrete welche z. B. das Verbot der Korneinfuhr aufgehoben und die übermäßigen Zölle auf Schiffsbaumaterialien ermäßigt, wären ganz ausreichend gewesen. Abgesehen von den Finanzen ist die wichtigste Maßregel der provisori¬ schen Regierung die Aufhebung der Klöster. Für die Dringlichkeit der Ma߬ regel läßt sich anführen, daß es 42,765 Geistliche gab, also einen auf je 37 Personen der Bevölkerung; daneben 11,166 Küster, 6833 Chorsänger und 133S Glöckner, während die ganze Handelsmarine nur 39,437 Menschen be¬ schäftigt. Diese Legion, von denen die Mehrzahl als Müssiggänger ange¬ sehen werden darf, zu lichten war gewiß nothwendig; gleichwohl fragt es sich, ob so große Gefahr im Verzüge war, daß man nicht bis zum Zusam¬ mentritt der Cortes warten konnte, denn es ist zu berücksichtigen, daß die Regierung mit diesen raschen Maßregeln den mächtigen Clerus gegen sich aufgebracht hat, was sich bei den allgemeinen Wahlen deutlich genug zeigen wird. Außerdem ist es zweifelhaft ob das spanische Volk für die proclamirte volle Glaubensfreiheit reif ist; uns würde es gar nicht wundern, wenn die Cortes sich sehr viel katholischer zeigten als die provisorische Negierung. Wahrscheinlich ist es auch diese Hoffnung, welche das auffallend wohlwollende Verhalten der Curie zur Revolution erklärt: der Nuntius gibt sich den An- schein garnicht zu bemerken, daß der Papst in der Person Jsabella's seine er¬ gebenste Stütze verloren, und verkehrt freundlich mit Serrano und Prim. Da man aber nicht wohl annehmen kann, daß der Papst sich über Nacht zur Toleranz und Glaubensfreiheit bekehrt hat, so wird man daraus geführt, daß Rom sich durch diese Haltung seinen Einfluß sichern will und den rich¬ tigen Instinct hat. daß mit je mehr Ueberstürzung die jetzigen Machthaber vorgehen, desto sicherer die Reaction folgen muß. Auch gegen die französische Republik von 1848 nahm Pius IX. eine ähnlich wohlwollende Stellung und aus ähnlichen Gründen. Neben den Priestern kommt für die Zukunft Spaniens vor Allem die 43'

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/365>, abgerufen am 05.02.2025.