Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

Bild:
<< vorherige Seite

die Umstände durchaus verschieden von denjenigen in Spanien; in Schweden
wie in Belgien handelte es sich nicht um eine gänzliche Umwälzung; bei Ber-
nadotte's Thronbesteigung, welche langsam vorbereitet war, blieben Verfassung
und innere Zustände ganz unverändert, gerade wie bei Wilhelm III. in Eng¬
land, und an die Stelle des abenteuernden Gustav trat ein kluger Politiker
und berühmter General. Belgien hatte allerdings die ernste Probe nicht nur
eines Wechsels der Dynastie, sondern auch der Losreißung von Holland und
eines längeren Interregnums durchzumachen. Aber es hatte auch große Vor¬
theile: es war innerlich wohl geordnet, seine Revolution wurde von Anfang
an durch Frankreich und England begünstigt und geleitet, die Bewegung fand
fähige Führer und einen Monarchen, der sich als roi Komme ä'6ta,t bewährte.
Von alledem sehen wir in Spanien Nichts, dagegen vollständig zerüttete
Finanzen, ein von Priestern geleitetes, in der Cultur tiefstehendes Volk, einen
cvrrumpirten Beamtenstand, eine viel zu große Armee, ehrgeizige Generale
und nirgends eine ernsthafte fürstliche Candidatur. Man hört sogar kaum
von Bewerbern um den Thron sprechen und wenn es deren überhaupt gibt, so
gleichen sie jedenfalls den Whistspielern, welche ihr Geschick darin suchen, nicht
selbst auszuspielen, sondern auf die Bewegungen und Fehler des Gegners
zu warten. Die provisorische Regierung spricht sich für das Princip der de¬
mokratischen Monarchie, der bekannten roznuts sur ig, sui-lacs sgalö Mira-
beau's aus, aber eine Monarchie ohne Monarchen ist ein Messer ohne Klinge
an dem der Stiel fehlt; so kann es denn auch nicht Wunder nehmen, daß,
da das Volk keine Persönlichkeit sieht, welche den Thron einzunehmen berufen
sein könnte, die Republik immer mehr Anhänger gewinnt. Während nun
die provisorische Regierung da, wo sie führen sollte, stille sitzt, hat sie auf fast
allen andern Gebieten schweres gewagt und der Entscheidung der National¬
vertretung vorgegriffen.

Daß sie leere Kassen und ein Deficit von mehr als 40 Mill. Thlr. für
das laufende Jahr fand, war allerdings nicht ihre Schuld und Geld mußte
geschafft werden; aber um die Staatsmaschine bis zum Zusammentritt der
Cortes in Gang zu erhalten, war doch gewiß nicht ein Anlehen von 140
Millionen Thaler nothwendig; die Volksvertretung allein hat ein Recht An¬
lehen von solchem Betrag zu poliren. Der Erfolg ist denn auch sehr zweifel¬
haft, bis zum 15. Nov. waren noch nicht 7 Millionen Thaler unterzeichnet,
trotzdem daß man Staatsgüter als Pfand geboten; die Capitalien wissen
eben was von dem Credit eines Landes zu halten ist, welches überhaupt ge¬
nöthigt ist specielle Sicherheiten zu bieten. Und welche Aussichten geben spa¬
nische Papiere? Bis jetzt betrug die consolidirte Schuld 1300 Millionen Thlr.,
daneben eine schwebende Schuld von 140 Millionen Thlrn., außerdem waren
bis 1865 für 540 Millionen Thlr. Nationalgüter verkauft, welche fast ganz


die Umstände durchaus verschieden von denjenigen in Spanien; in Schweden
wie in Belgien handelte es sich nicht um eine gänzliche Umwälzung; bei Ber-
nadotte's Thronbesteigung, welche langsam vorbereitet war, blieben Verfassung
und innere Zustände ganz unverändert, gerade wie bei Wilhelm III. in Eng¬
land, und an die Stelle des abenteuernden Gustav trat ein kluger Politiker
und berühmter General. Belgien hatte allerdings die ernste Probe nicht nur
eines Wechsels der Dynastie, sondern auch der Losreißung von Holland und
eines längeren Interregnums durchzumachen. Aber es hatte auch große Vor¬
theile: es war innerlich wohl geordnet, seine Revolution wurde von Anfang
an durch Frankreich und England begünstigt und geleitet, die Bewegung fand
fähige Führer und einen Monarchen, der sich als roi Komme ä'6ta,t bewährte.
Von alledem sehen wir in Spanien Nichts, dagegen vollständig zerüttete
Finanzen, ein von Priestern geleitetes, in der Cultur tiefstehendes Volk, einen
cvrrumpirten Beamtenstand, eine viel zu große Armee, ehrgeizige Generale
und nirgends eine ernsthafte fürstliche Candidatur. Man hört sogar kaum
von Bewerbern um den Thron sprechen und wenn es deren überhaupt gibt, so
gleichen sie jedenfalls den Whistspielern, welche ihr Geschick darin suchen, nicht
selbst auszuspielen, sondern auf die Bewegungen und Fehler des Gegners
zu warten. Die provisorische Regierung spricht sich für das Princip der de¬
mokratischen Monarchie, der bekannten roznuts sur ig, sui-lacs sgalö Mira-
beau's aus, aber eine Monarchie ohne Monarchen ist ein Messer ohne Klinge
an dem der Stiel fehlt; so kann es denn auch nicht Wunder nehmen, daß,
da das Volk keine Persönlichkeit sieht, welche den Thron einzunehmen berufen
sein könnte, die Republik immer mehr Anhänger gewinnt. Während nun
die provisorische Regierung da, wo sie führen sollte, stille sitzt, hat sie auf fast
allen andern Gebieten schweres gewagt und der Entscheidung der National¬
vertretung vorgegriffen.

Daß sie leere Kassen und ein Deficit von mehr als 40 Mill. Thlr. für
das laufende Jahr fand, war allerdings nicht ihre Schuld und Geld mußte
geschafft werden; aber um die Staatsmaschine bis zum Zusammentritt der
Cortes in Gang zu erhalten, war doch gewiß nicht ein Anlehen von 140
Millionen Thaler nothwendig; die Volksvertretung allein hat ein Recht An¬
lehen von solchem Betrag zu poliren. Der Erfolg ist denn auch sehr zweifel¬
haft, bis zum 15. Nov. waren noch nicht 7 Millionen Thaler unterzeichnet,
trotzdem daß man Staatsgüter als Pfand geboten; die Capitalien wissen
eben was von dem Credit eines Landes zu halten ist, welches überhaupt ge¬
nöthigt ist specielle Sicherheiten zu bieten. Und welche Aussichten geben spa¬
nische Papiere? Bis jetzt betrug die consolidirte Schuld 1300 Millionen Thlr.,
daneben eine schwebende Schuld von 140 Millionen Thlrn., außerdem waren
bis 1865 für 540 Millionen Thlr. Nationalgüter verkauft, welche fast ganz


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0364" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/287636"/>
          <p xml:id="ID_924" prev="#ID_923"> die Umstände durchaus verschieden von denjenigen in Spanien; in Schweden<lb/>
wie in Belgien handelte es sich nicht um eine gänzliche Umwälzung; bei Ber-<lb/>
nadotte's Thronbesteigung, welche langsam vorbereitet war, blieben Verfassung<lb/>
und innere Zustände ganz unverändert, gerade wie bei Wilhelm III. in Eng¬<lb/>
land, und an die Stelle des abenteuernden Gustav trat ein kluger Politiker<lb/>
und berühmter General. Belgien hatte allerdings die ernste Probe nicht nur<lb/>
eines Wechsels der Dynastie, sondern auch der Losreißung von Holland und<lb/>
eines längeren Interregnums durchzumachen. Aber es hatte auch große Vor¬<lb/>
theile: es war innerlich wohl geordnet, seine Revolution wurde von Anfang<lb/>
an durch Frankreich und England begünstigt und geleitet, die Bewegung fand<lb/>
fähige Führer und einen Monarchen, der sich als roi Komme ä'6ta,t bewährte.<lb/>
Von alledem sehen wir in Spanien Nichts, dagegen vollständig zerüttete<lb/>
Finanzen, ein von Priestern geleitetes, in der Cultur tiefstehendes Volk, einen<lb/>
cvrrumpirten Beamtenstand, eine viel zu große Armee, ehrgeizige Generale<lb/>
und nirgends eine ernsthafte fürstliche Candidatur. Man hört sogar kaum<lb/>
von Bewerbern um den Thron sprechen und wenn es deren überhaupt gibt, so<lb/>
gleichen sie jedenfalls den Whistspielern, welche ihr Geschick darin suchen, nicht<lb/>
selbst auszuspielen, sondern auf die Bewegungen und Fehler des Gegners<lb/>
zu warten. Die provisorische Regierung spricht sich für das Princip der de¬<lb/>
mokratischen Monarchie, der bekannten roznuts sur ig, sui-lacs sgalö Mira-<lb/>
beau's aus, aber eine Monarchie ohne Monarchen ist ein Messer ohne Klinge<lb/>
an dem der Stiel fehlt; so kann es denn auch nicht Wunder nehmen, daß,<lb/>
da das Volk keine Persönlichkeit sieht, welche den Thron einzunehmen berufen<lb/>
sein könnte, die Republik immer mehr Anhänger gewinnt. Während nun<lb/>
die provisorische Regierung da, wo sie führen sollte, stille sitzt, hat sie auf fast<lb/>
allen andern Gebieten schweres gewagt und der Entscheidung der National¬<lb/>
vertretung vorgegriffen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_925" next="#ID_926"> Daß sie leere Kassen und ein Deficit von mehr als 40 Mill. Thlr. für<lb/>
das laufende Jahr fand, war allerdings nicht ihre Schuld und Geld mußte<lb/>
geschafft werden; aber um die Staatsmaschine bis zum Zusammentritt der<lb/>
Cortes in Gang zu erhalten, war doch gewiß nicht ein Anlehen von 140<lb/>
Millionen Thaler nothwendig; die Volksvertretung allein hat ein Recht An¬<lb/>
lehen von solchem Betrag zu poliren. Der Erfolg ist denn auch sehr zweifel¬<lb/>
haft, bis zum 15. Nov. waren noch nicht 7 Millionen Thaler unterzeichnet,<lb/>
trotzdem daß man Staatsgüter als Pfand geboten; die Capitalien wissen<lb/>
eben was von dem Credit eines Landes zu halten ist, welches überhaupt ge¬<lb/>
nöthigt ist specielle Sicherheiten zu bieten. Und welche Aussichten geben spa¬<lb/>
nische Papiere? Bis jetzt betrug die consolidirte Schuld 1300 Millionen Thlr.,<lb/>
daneben eine schwebende Schuld von 140 Millionen Thlrn., außerdem waren<lb/>
bis 1865 für 540 Millionen Thlr. Nationalgüter verkauft, welche fast ganz</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0364] die Umstände durchaus verschieden von denjenigen in Spanien; in Schweden wie in Belgien handelte es sich nicht um eine gänzliche Umwälzung; bei Ber- nadotte's Thronbesteigung, welche langsam vorbereitet war, blieben Verfassung und innere Zustände ganz unverändert, gerade wie bei Wilhelm III. in Eng¬ land, und an die Stelle des abenteuernden Gustav trat ein kluger Politiker und berühmter General. Belgien hatte allerdings die ernste Probe nicht nur eines Wechsels der Dynastie, sondern auch der Losreißung von Holland und eines längeren Interregnums durchzumachen. Aber es hatte auch große Vor¬ theile: es war innerlich wohl geordnet, seine Revolution wurde von Anfang an durch Frankreich und England begünstigt und geleitet, die Bewegung fand fähige Führer und einen Monarchen, der sich als roi Komme ä'6ta,t bewährte. Von alledem sehen wir in Spanien Nichts, dagegen vollständig zerüttete Finanzen, ein von Priestern geleitetes, in der Cultur tiefstehendes Volk, einen cvrrumpirten Beamtenstand, eine viel zu große Armee, ehrgeizige Generale und nirgends eine ernsthafte fürstliche Candidatur. Man hört sogar kaum von Bewerbern um den Thron sprechen und wenn es deren überhaupt gibt, so gleichen sie jedenfalls den Whistspielern, welche ihr Geschick darin suchen, nicht selbst auszuspielen, sondern auf die Bewegungen und Fehler des Gegners zu warten. Die provisorische Regierung spricht sich für das Princip der de¬ mokratischen Monarchie, der bekannten roznuts sur ig, sui-lacs sgalö Mira- beau's aus, aber eine Monarchie ohne Monarchen ist ein Messer ohne Klinge an dem der Stiel fehlt; so kann es denn auch nicht Wunder nehmen, daß, da das Volk keine Persönlichkeit sieht, welche den Thron einzunehmen berufen sein könnte, die Republik immer mehr Anhänger gewinnt. Während nun die provisorische Regierung da, wo sie führen sollte, stille sitzt, hat sie auf fast allen andern Gebieten schweres gewagt und der Entscheidung der National¬ vertretung vorgegriffen. Daß sie leere Kassen und ein Deficit von mehr als 40 Mill. Thlr. für das laufende Jahr fand, war allerdings nicht ihre Schuld und Geld mußte geschafft werden; aber um die Staatsmaschine bis zum Zusammentritt der Cortes in Gang zu erhalten, war doch gewiß nicht ein Anlehen von 140 Millionen Thaler nothwendig; die Volksvertretung allein hat ein Recht An¬ lehen von solchem Betrag zu poliren. Der Erfolg ist denn auch sehr zweifel¬ haft, bis zum 15. Nov. waren noch nicht 7 Millionen Thaler unterzeichnet, trotzdem daß man Staatsgüter als Pfand geboten; die Capitalien wissen eben was von dem Credit eines Landes zu halten ist, welches überhaupt ge¬ nöthigt ist specielle Sicherheiten zu bieten. Und welche Aussichten geben spa¬ nische Papiere? Bis jetzt betrug die consolidirte Schuld 1300 Millionen Thlr., daneben eine schwebende Schuld von 140 Millionen Thlrn., außerdem waren bis 1865 für 540 Millionen Thlr. Nationalgüter verkauft, welche fast ganz

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/364
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/364>, abgerufen am 05.02.2025.