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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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Interesse brauchen und deshalb nicht Führern aus über ihnen stehenden Kreisen
gelehrig folgen, sondern nach Leitern aus ihrer Mitte suchen; und welcher
Art dieselben sein werden, darauf mag man einen Schluß machen aus der
Wahl der Vorsteher ihrer l'raäö vnions. Es wird freilich gesagt, die Zu¬
sammensetzung des Unterhauses werde ziemlich dieselbe bleiben, die politische
Verfassung eines Landes hänge immer von der socialen ab und so lange nur
wohlhabende Leute im Parlament sitzen könnten, so lange seien keine Radi-
calen zu befürchten. Es mag das für den Augenblick wahr sein; auch wir
glauben nicht, daß sich das nächste oder zweite Parlament sehr von dem bis¬
herigen in seiner Zusammensetzung unterscheiden wird; die Vertreter der
Schule, welche sich um Mill und Fawcett sammelt, werden nicht zahlreich
werden und sich an Gladstone anlehnen müssen, wofern sie sich nicht auf
bloßes Protestiren und Verneinen beschränken wollen, und ebensowenig werden
viele Vertreter der Arbeiter gewählt werden. Aber weitgreifende Verände¬
rungen in der Verfassung eines Landes pflegen selbst in unserm Zeitalter
des Dampfes sich nicht rasch zu vollziehen. Es mögen dieselben Personen
im Parlament sitzen, sie werden doch in einem anderen Geiste arbeiten, weil
sie andere Wählerschaften vertreten. Allerdings hängt die politische Ver¬
fassung von der socialen ab; aber eben weil England noch heute in socialer Be¬
ziehung keineswegs demokratisch ist, war es so unverantwortlich ohne jede Noth
als Parteimanöver den untern Classen das politische Uebergewicht zu geben.
Die Arbeiter sind auch nicht so kurzsichtig nicht zu bemerken, daß der eigent-
liche Grund der Herrschaft der höheren Classen nicht im Parlament, sondern
in den conservativen Grundlagen der englischen Gesellschaft liegt; aber eben
deshalb werden sie ihre Agitation gegen dieselben wenden, um vor allem den
großen Grundbesitz, welcher der Aristokratie Einfluß gibt' zu brechen; äußerte
doch einer der Radicalen offen gegen uns: "'We "Kali nsver Zst g, Zooä
Lovei-klimmt, unless >V6 Zee riet ok tdese infernal larZs estatss." Wenn
aber erst die Substitutionen abgeschafft und für den Grundbesitz die Prin¬
cipien des Code Napoleon eingeführt sind, dann kann das Oberhaus auch
nicht mehr bestehen, dann fallen die Elemente, welche in England jene wun-
derbare Vereinigung von Ordnung und Freiheit erhielten, um die es von
Völkern wie von Staatsmännern beneidet ward.

So weit ist es nun freilich noch nicht: noch leben in der Nation zu viel
gesunde Grundsätze als daß man nicht auf eine kräftige Reaction hoffen
dürfte, wenn die radicale Partei zu rasch Sturm gegen die englischen Institu¬
tionen laufen wollte; es könnte sich sonst der Fall von 1837 wiederholen, wo
fünf Jahre nach der entscheidendsten Niederlage der Tories Sir Robert Peel
an der Spitze einer geschlossenen conservativen Majorität stand. Sehr viel
hängt von Gladstone's Verhalten ab, der aller Voraussicht nach bald nach


Interesse brauchen und deshalb nicht Führern aus über ihnen stehenden Kreisen
gelehrig folgen, sondern nach Leitern aus ihrer Mitte suchen; und welcher
Art dieselben sein werden, darauf mag man einen Schluß machen aus der
Wahl der Vorsteher ihrer l'raäö vnions. Es wird freilich gesagt, die Zu¬
sammensetzung des Unterhauses werde ziemlich dieselbe bleiben, die politische
Verfassung eines Landes hänge immer von der socialen ab und so lange nur
wohlhabende Leute im Parlament sitzen könnten, so lange seien keine Radi-
calen zu befürchten. Es mag das für den Augenblick wahr sein; auch wir
glauben nicht, daß sich das nächste oder zweite Parlament sehr von dem bis¬
herigen in seiner Zusammensetzung unterscheiden wird; die Vertreter der
Schule, welche sich um Mill und Fawcett sammelt, werden nicht zahlreich
werden und sich an Gladstone anlehnen müssen, wofern sie sich nicht auf
bloßes Protestiren und Verneinen beschränken wollen, und ebensowenig werden
viele Vertreter der Arbeiter gewählt werden. Aber weitgreifende Verände¬
rungen in der Verfassung eines Landes pflegen selbst in unserm Zeitalter
des Dampfes sich nicht rasch zu vollziehen. Es mögen dieselben Personen
im Parlament sitzen, sie werden doch in einem anderen Geiste arbeiten, weil
sie andere Wählerschaften vertreten. Allerdings hängt die politische Ver¬
fassung von der socialen ab; aber eben weil England noch heute in socialer Be¬
ziehung keineswegs demokratisch ist, war es so unverantwortlich ohne jede Noth
als Parteimanöver den untern Classen das politische Uebergewicht zu geben.
Die Arbeiter sind auch nicht so kurzsichtig nicht zu bemerken, daß der eigent-
liche Grund der Herrschaft der höheren Classen nicht im Parlament, sondern
in den conservativen Grundlagen der englischen Gesellschaft liegt; aber eben
deshalb werden sie ihre Agitation gegen dieselben wenden, um vor allem den
großen Grundbesitz, welcher der Aristokratie Einfluß gibt' zu brechen; äußerte
doch einer der Radicalen offen gegen uns: „'We »Kali nsver Zst g, Zooä
Lovei-klimmt, unless >V6 Zee riet ok tdese infernal larZs estatss." Wenn
aber erst die Substitutionen abgeschafft und für den Grundbesitz die Prin¬
cipien des Code Napoleon eingeführt sind, dann kann das Oberhaus auch
nicht mehr bestehen, dann fallen die Elemente, welche in England jene wun-
derbare Vereinigung von Ordnung und Freiheit erhielten, um die es von
Völkern wie von Staatsmännern beneidet ward.

So weit ist es nun freilich noch nicht: noch leben in der Nation zu viel
gesunde Grundsätze als daß man nicht auf eine kräftige Reaction hoffen
dürfte, wenn die radicale Partei zu rasch Sturm gegen die englischen Institu¬
tionen laufen wollte; es könnte sich sonst der Fall von 1837 wiederholen, wo
fünf Jahre nach der entscheidendsten Niederlage der Tories Sir Robert Peel
an der Spitze einer geschlossenen conservativen Majorität stand. Sehr viel
hängt von Gladstone's Verhalten ab, der aller Voraussicht nach bald nach


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[0361] Interesse brauchen und deshalb nicht Führern aus über ihnen stehenden Kreisen gelehrig folgen, sondern nach Leitern aus ihrer Mitte suchen; und welcher Art dieselben sein werden, darauf mag man einen Schluß machen aus der Wahl der Vorsteher ihrer l'raäö vnions. Es wird freilich gesagt, die Zu¬ sammensetzung des Unterhauses werde ziemlich dieselbe bleiben, die politische Verfassung eines Landes hänge immer von der socialen ab und so lange nur wohlhabende Leute im Parlament sitzen könnten, so lange seien keine Radi- calen zu befürchten. Es mag das für den Augenblick wahr sein; auch wir glauben nicht, daß sich das nächste oder zweite Parlament sehr von dem bis¬ herigen in seiner Zusammensetzung unterscheiden wird; die Vertreter der Schule, welche sich um Mill und Fawcett sammelt, werden nicht zahlreich werden und sich an Gladstone anlehnen müssen, wofern sie sich nicht auf bloßes Protestiren und Verneinen beschränken wollen, und ebensowenig werden viele Vertreter der Arbeiter gewählt werden. Aber weitgreifende Verände¬ rungen in der Verfassung eines Landes pflegen selbst in unserm Zeitalter des Dampfes sich nicht rasch zu vollziehen. Es mögen dieselben Personen im Parlament sitzen, sie werden doch in einem anderen Geiste arbeiten, weil sie andere Wählerschaften vertreten. Allerdings hängt die politische Ver¬ fassung von der socialen ab; aber eben weil England noch heute in socialer Be¬ ziehung keineswegs demokratisch ist, war es so unverantwortlich ohne jede Noth als Parteimanöver den untern Classen das politische Uebergewicht zu geben. Die Arbeiter sind auch nicht so kurzsichtig nicht zu bemerken, daß der eigent- liche Grund der Herrschaft der höheren Classen nicht im Parlament, sondern in den conservativen Grundlagen der englischen Gesellschaft liegt; aber eben deshalb werden sie ihre Agitation gegen dieselben wenden, um vor allem den großen Grundbesitz, welcher der Aristokratie Einfluß gibt' zu brechen; äußerte doch einer der Radicalen offen gegen uns: „'We »Kali nsver Zst g, Zooä Lovei-klimmt, unless >V6 Zee riet ok tdese infernal larZs estatss." Wenn aber erst die Substitutionen abgeschafft und für den Grundbesitz die Prin¬ cipien des Code Napoleon eingeführt sind, dann kann das Oberhaus auch nicht mehr bestehen, dann fallen die Elemente, welche in England jene wun- derbare Vereinigung von Ordnung und Freiheit erhielten, um die es von Völkern wie von Staatsmännern beneidet ward. So weit ist es nun freilich noch nicht: noch leben in der Nation zu viel gesunde Grundsätze als daß man nicht auf eine kräftige Reaction hoffen dürfte, wenn die radicale Partei zu rasch Sturm gegen die englischen Institu¬ tionen laufen wollte; es könnte sich sonst der Fall von 1837 wiederholen, wo fünf Jahre nach der entscheidendsten Niederlage der Tories Sir Robert Peel an der Spitze einer geschlossenen conservativen Majorität stand. Sehr viel hängt von Gladstone's Verhalten ab, der aller Voraussicht nach bald nach

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/361>, abgerufen am 05.02.2025.