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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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danken an seine Befreiung beschäftigt; auch wir dachten an die Möglichkeit
einer Befreiung für uns und die unschuldig leidenden Damen : derselbe Gedanke
beschäftigte noch Andere außerhalb unseres Gefängnisses. In den Bergwerken
von Nertschinsk, wo anfangs acht meiner Kameraden mitgearbeitet hatten, waren
noch Einige von den Officieren des meuterischen Tschernigow'schen Regimentes
geblieben, die nicht mit uns zugleich gerichtet, sondern durch ein besonderes
Kriegsgericht verurtheilt worden waren. Unter ihnen befanden sich der Baron
Solowjew, Bystritzky, Massalewsky und ein gewisser Suchanow. Der Letztere,
der kurz vor seiner Verurtheilung in ein Husarenregiment übergeführt war,
entschloß sich, die vielen Tausende in Nertschinsk internirter Zwangsarbeiter
aufzuwiegeln, uns mit ihrer Hilfe aus Tschita zu befreien und sich über das
Weitere mit uns zu verständigen. Die Mehrzahl der Zwangsarbeiter hatte ein¬
gewilligt; es war verabredet, die Wachen in der Nacht zu entwaffnen und
am folgenden Morgen aufzubrechen, als am Vorabend ein Verräther die
Verschwörung entdeckte und Suchanow und die Hauptführer in Ketten in
ein Gefängniß geworfen wurden. Die Sache wurde sogleich nach Peters¬
burg berichtet und Suchanow sammt zehn Hauptführern zum Tode ver¬
urtheilt. In der Nacht vor Vollziehung des Urtheils hatte Suchanow sich an
dem Ofen seines Gefängnisses aufgehängt; die Uebrigen wurden erschossen.
Solowjew, Bystritzky und Masalewsky wurden zu uns nach Tschita ver¬
setzt um ähnlichen Versuchen vorzubeugen. In Tschita wurden wir von
einer Compagnie Infanterie und von fünfzig sibirischen Kosaken bewacht.
Mehere von uns waren fleißig mit Befreiungsgedanken und Vorbereitungen
zur Flucht beschäftigt, andere aber sahen die Unmöglichkeit eines solchen
Unternehmens ein und wiesen dieselbe nach. Mit der Wache hätte man zurecht
kommen können; die Soldaten waren uns ergeben, sie hätten freiwillig oder
gezwungen ihre Gewehre gestreckt; aus dem Gefängnisse, aus dem Thor hätten
wir entweichen können, aber was sollte dann geschehen? -- Wir hätten südlich
nach China flüchten und so die Grenze erreichen können, aber die Chinesen wür¬
den uns ausgeliefert haben. An der Grenze wären überdies fünfzig Kosaken
hinreichend gewesen, um uns Tag und Nacht zu verfolgen, keinen Augenblick
Nuhe zu geben und uns dadurch in einigen Wochen aufzureiben. -- Ein
anderer Weg führte südöstlich zu den Ufern des Amur; wir hätten in einer Bucht
dieses Flusses ein Fahrzeug bauen, auf dem Flusse in den großen Ocean
segeln und nach Amerika gehen können. Wie aber sollten wir an das Ufer
des Amur gelangen? die Burjätischen. Nomaden, hätten uns nicht geholfen;
sogar nach Erreichung des Amur wären wir immer noch weit vom Ocean
entfernt gewesen und die Verfolger hätten unsere Flotille leicht vernichten
können. -- Ein dritter Weg ging nach Westen; 4000 Werst waren es allein
bis zur Grenze des europäischen Rußlands; bei einer solchen Entfernung


danken an seine Befreiung beschäftigt; auch wir dachten an die Möglichkeit
einer Befreiung für uns und die unschuldig leidenden Damen : derselbe Gedanke
beschäftigte noch Andere außerhalb unseres Gefängnisses. In den Bergwerken
von Nertschinsk, wo anfangs acht meiner Kameraden mitgearbeitet hatten, waren
noch Einige von den Officieren des meuterischen Tschernigow'schen Regimentes
geblieben, die nicht mit uns zugleich gerichtet, sondern durch ein besonderes
Kriegsgericht verurtheilt worden waren. Unter ihnen befanden sich der Baron
Solowjew, Bystritzky, Massalewsky und ein gewisser Suchanow. Der Letztere,
der kurz vor seiner Verurtheilung in ein Husarenregiment übergeführt war,
entschloß sich, die vielen Tausende in Nertschinsk internirter Zwangsarbeiter
aufzuwiegeln, uns mit ihrer Hilfe aus Tschita zu befreien und sich über das
Weitere mit uns zu verständigen. Die Mehrzahl der Zwangsarbeiter hatte ein¬
gewilligt; es war verabredet, die Wachen in der Nacht zu entwaffnen und
am folgenden Morgen aufzubrechen, als am Vorabend ein Verräther die
Verschwörung entdeckte und Suchanow und die Hauptführer in Ketten in
ein Gefängniß geworfen wurden. Die Sache wurde sogleich nach Peters¬
burg berichtet und Suchanow sammt zehn Hauptführern zum Tode ver¬
urtheilt. In der Nacht vor Vollziehung des Urtheils hatte Suchanow sich an
dem Ofen seines Gefängnisses aufgehängt; die Uebrigen wurden erschossen.
Solowjew, Bystritzky und Masalewsky wurden zu uns nach Tschita ver¬
setzt um ähnlichen Versuchen vorzubeugen. In Tschita wurden wir von
einer Compagnie Infanterie und von fünfzig sibirischen Kosaken bewacht.
Mehere von uns waren fleißig mit Befreiungsgedanken und Vorbereitungen
zur Flucht beschäftigt, andere aber sahen die Unmöglichkeit eines solchen
Unternehmens ein und wiesen dieselbe nach. Mit der Wache hätte man zurecht
kommen können; die Soldaten waren uns ergeben, sie hätten freiwillig oder
gezwungen ihre Gewehre gestreckt; aus dem Gefängnisse, aus dem Thor hätten
wir entweichen können, aber was sollte dann geschehen? — Wir hätten südlich
nach China flüchten und so die Grenze erreichen können, aber die Chinesen wür¬
den uns ausgeliefert haben. An der Grenze wären überdies fünfzig Kosaken
hinreichend gewesen, um uns Tag und Nacht zu verfolgen, keinen Augenblick
Nuhe zu geben und uns dadurch in einigen Wochen aufzureiben. — Ein
anderer Weg führte südöstlich zu den Ufern des Amur; wir hätten in einer Bucht
dieses Flusses ein Fahrzeug bauen, auf dem Flusse in den großen Ocean
segeln und nach Amerika gehen können. Wie aber sollten wir an das Ufer
des Amur gelangen? die Burjätischen. Nomaden, hätten uns nicht geholfen;
sogar nach Erreichung des Amur wären wir immer noch weit vom Ocean
entfernt gewesen und die Verfolger hätten unsere Flotille leicht vernichten
können. — Ein dritter Weg ging nach Westen; 4000 Werst waren es allein
bis zur Grenze des europäischen Rußlands; bei einer solchen Entfernung


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[0335] danken an seine Befreiung beschäftigt; auch wir dachten an die Möglichkeit einer Befreiung für uns und die unschuldig leidenden Damen : derselbe Gedanke beschäftigte noch Andere außerhalb unseres Gefängnisses. In den Bergwerken von Nertschinsk, wo anfangs acht meiner Kameraden mitgearbeitet hatten, waren noch Einige von den Officieren des meuterischen Tschernigow'schen Regimentes geblieben, die nicht mit uns zugleich gerichtet, sondern durch ein besonderes Kriegsgericht verurtheilt worden waren. Unter ihnen befanden sich der Baron Solowjew, Bystritzky, Massalewsky und ein gewisser Suchanow. Der Letztere, der kurz vor seiner Verurtheilung in ein Husarenregiment übergeführt war, entschloß sich, die vielen Tausende in Nertschinsk internirter Zwangsarbeiter aufzuwiegeln, uns mit ihrer Hilfe aus Tschita zu befreien und sich über das Weitere mit uns zu verständigen. Die Mehrzahl der Zwangsarbeiter hatte ein¬ gewilligt; es war verabredet, die Wachen in der Nacht zu entwaffnen und am folgenden Morgen aufzubrechen, als am Vorabend ein Verräther die Verschwörung entdeckte und Suchanow und die Hauptführer in Ketten in ein Gefängniß geworfen wurden. Die Sache wurde sogleich nach Peters¬ burg berichtet und Suchanow sammt zehn Hauptführern zum Tode ver¬ urtheilt. In der Nacht vor Vollziehung des Urtheils hatte Suchanow sich an dem Ofen seines Gefängnisses aufgehängt; die Uebrigen wurden erschossen. Solowjew, Bystritzky und Masalewsky wurden zu uns nach Tschita ver¬ setzt um ähnlichen Versuchen vorzubeugen. In Tschita wurden wir von einer Compagnie Infanterie und von fünfzig sibirischen Kosaken bewacht. Mehere von uns waren fleißig mit Befreiungsgedanken und Vorbereitungen zur Flucht beschäftigt, andere aber sahen die Unmöglichkeit eines solchen Unternehmens ein und wiesen dieselbe nach. Mit der Wache hätte man zurecht kommen können; die Soldaten waren uns ergeben, sie hätten freiwillig oder gezwungen ihre Gewehre gestreckt; aus dem Gefängnisse, aus dem Thor hätten wir entweichen können, aber was sollte dann geschehen? — Wir hätten südlich nach China flüchten und so die Grenze erreichen können, aber die Chinesen wür¬ den uns ausgeliefert haben. An der Grenze wären überdies fünfzig Kosaken hinreichend gewesen, um uns Tag und Nacht zu verfolgen, keinen Augenblick Nuhe zu geben und uns dadurch in einigen Wochen aufzureiben. — Ein anderer Weg führte südöstlich zu den Ufern des Amur; wir hätten in einer Bucht dieses Flusses ein Fahrzeug bauen, auf dem Flusse in den großen Ocean segeln und nach Amerika gehen können. Wie aber sollten wir an das Ufer des Amur gelangen? die Burjätischen. Nomaden, hätten uns nicht geholfen; sogar nach Erreichung des Amur wären wir immer noch weit vom Ocean entfernt gewesen und die Verfolger hätten unsere Flotille leicht vernichten können. — Ein dritter Weg ging nach Westen; 4000 Werst waren es allein bis zur Grenze des europäischen Rußlands; bei einer solchen Entfernung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/335>, abgerufen am 05.02.2025.