Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.Sternen, die ich hier doch Niemanden zeigen kann? Möchte ich bald von hier Im Jahre 1828 gelangten noch drei Frauen zu uns nach Tschita. Wir waren anfangs in Tschita unser 82 Mann. Nach der Abferti¬ Sternen, die ich hier doch Niemanden zeigen kann? Möchte ich bald von hier Im Jahre 1828 gelangten noch drei Frauen zu uns nach Tschita. Wir waren anfangs in Tschita unser 82 Mann. Nach der Abferti¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0334" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/287606"/> <p xml:id="ID_853" prev="#ID_852"> Sternen, die ich hier doch Niemanden zeigen kann? Möchte ich bald von hier<lb/> befreit werden, aber nicht anders, als mit Ihnen zugleich!" —</p><lb/> <p xml:id="ID_854"> Im Jahre 1828 gelangten noch drei Frauen zu uns nach Tschita.<lb/> Natalie Fonwisin, geborene Opyhtin. hatte ihrem Manne wegen zweier<lb/> minderjähriger Söhne nicht sogleich folgen können. In ihrer frühesten Jugend<lb/> schon zeichnete sie sich durch Schönheit und religiösen Sinn aus; vor ihrer<lb/> Verheirathung wollte sie sich von der Welt zurückziehen und sich in ein<lb/> Kloster einschließen. Später die Verbannung und die Leiden ihres Mannes<lb/> theilend, wahrte sie sich eine unbedingte Ergebenheit in Gottes Willen,<lb/> aber ihre Nerven wurden so zerrüttet, daß sie oft mit Krankheit zu kämpfen<lb/> hatte. Zu gleicher Zeit mit ihr kam Alexcindrine Dawydow, die Gemahlin<lb/> des Husarenodristen Wassily Ljwowitsch Dawydow, nach Tschita; sie hatte<lb/> eine zahlreiche Familie verlassen und mußte vor ihrer Abreise ihre Kinder<lb/> bei Verwandten unterbringen. Eine ungewöhnliche Sanftmuth, beständiger<lb/> Gleichmuth und große Ergebung zeichneten den Charakter dieser liebens¬<lb/> würdigen Frau aus. — In demselben Jahre kam noch Mademoiselle Pau¬<lb/> line, die Braut P. A. Annenkow's, nach Tschita; die Verlobung war in 5er<lb/> Stille vollzogen, die Erlaubniß, zu ihrem Bräutigam zu reisen, öffentlich und<lb/> glänzend von dem Kaiser selbst ertheilt worden, an den die heldenmütige<lb/> Braut sich persönlich bei Gelegenheit eines großen Manövers gewandt hatte.<lb/> Der Kaiser'empfing sie zur guten Stunde mit der größten Theilnahme und gab<lb/> ihr Reisegeld, während den übrigen bereits verheirateten Frauen alle mög¬<lb/> lichen Hindernisse in den Weg gelegt worden waren. Jetzt befanden sich acht<lb/> Damen in Tschita: die Fürstinnen Catharine Trubetzkoy und Marie Wolkonsky,<lb/> Alexandrine Murawjew, Elisabeth Naryschkin, Alexandrine Jentalzow, Na¬<lb/> talie Fonwisin, Alexandrine Dawydow und Pauline Annenkow. Sie be¬<lb/> sorgten die gesammte Korrespondenz mit den Verwandten aller anwesenden<lb/> Staatsverbrecher; sie waren die Vermittlerinnen zwischen den Lebenden und<lb/> den politisch Todten. Sie selbst führten ein Leben voll Selbstverleugnung:<lb/> ihre Männer konnten sie, wie erwähnt, nur zwei Mal wöchentlich während<lb/> einer Stunde sehen, in Gegenwart eines Dejourofsiciers und einer Schild¬<lb/> wache. Dieses Verhältniß dauerte fast vier Jahre, bis zu unserer Versetzung<lb/> in ein neues Gefängniß bei der Petrowski'schen Eisensabrik.</p><lb/> <p xml:id="ID_855" next="#ID_856"> Wir waren anfangs in Tschita unser 82 Mann. Nach der Abferti¬<lb/> gung der Staatsverbrecher von der sechsten und siebenten Kategorie, die nach<lb/> Verbüßung der Strafarbeit zur Ansiedlung weggesandt worden waren, und der<lb/> Abreise Tolstoy's (nach dem Kaukasus) und Kornilowitsch's (in die Festung<lb/> von Petersburg) blieben 70 Männer und 7 Frauen in Tschita zurück; Frau<lb/> von Jentalzow war ihrem Manne im ersten Jahre ihrer Ankunft an den<lb/> Ort seiner Ansiedlung gefolgt. — Jeder Gefangene ist unaufhörlich mit Ge-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0334]
Sternen, die ich hier doch Niemanden zeigen kann? Möchte ich bald von hier
befreit werden, aber nicht anders, als mit Ihnen zugleich!" —
Im Jahre 1828 gelangten noch drei Frauen zu uns nach Tschita.
Natalie Fonwisin, geborene Opyhtin. hatte ihrem Manne wegen zweier
minderjähriger Söhne nicht sogleich folgen können. In ihrer frühesten Jugend
schon zeichnete sie sich durch Schönheit und religiösen Sinn aus; vor ihrer
Verheirathung wollte sie sich von der Welt zurückziehen und sich in ein
Kloster einschließen. Später die Verbannung und die Leiden ihres Mannes
theilend, wahrte sie sich eine unbedingte Ergebenheit in Gottes Willen,
aber ihre Nerven wurden so zerrüttet, daß sie oft mit Krankheit zu kämpfen
hatte. Zu gleicher Zeit mit ihr kam Alexcindrine Dawydow, die Gemahlin
des Husarenodristen Wassily Ljwowitsch Dawydow, nach Tschita; sie hatte
eine zahlreiche Familie verlassen und mußte vor ihrer Abreise ihre Kinder
bei Verwandten unterbringen. Eine ungewöhnliche Sanftmuth, beständiger
Gleichmuth und große Ergebung zeichneten den Charakter dieser liebens¬
würdigen Frau aus. — In demselben Jahre kam noch Mademoiselle Pau¬
line, die Braut P. A. Annenkow's, nach Tschita; die Verlobung war in 5er
Stille vollzogen, die Erlaubniß, zu ihrem Bräutigam zu reisen, öffentlich und
glänzend von dem Kaiser selbst ertheilt worden, an den die heldenmütige
Braut sich persönlich bei Gelegenheit eines großen Manövers gewandt hatte.
Der Kaiser'empfing sie zur guten Stunde mit der größten Theilnahme und gab
ihr Reisegeld, während den übrigen bereits verheirateten Frauen alle mög¬
lichen Hindernisse in den Weg gelegt worden waren. Jetzt befanden sich acht
Damen in Tschita: die Fürstinnen Catharine Trubetzkoy und Marie Wolkonsky,
Alexandrine Murawjew, Elisabeth Naryschkin, Alexandrine Jentalzow, Na¬
talie Fonwisin, Alexandrine Dawydow und Pauline Annenkow. Sie be¬
sorgten die gesammte Korrespondenz mit den Verwandten aller anwesenden
Staatsverbrecher; sie waren die Vermittlerinnen zwischen den Lebenden und
den politisch Todten. Sie selbst führten ein Leben voll Selbstverleugnung:
ihre Männer konnten sie, wie erwähnt, nur zwei Mal wöchentlich während
einer Stunde sehen, in Gegenwart eines Dejourofsiciers und einer Schild¬
wache. Dieses Verhältniß dauerte fast vier Jahre, bis zu unserer Versetzung
in ein neues Gefängniß bei der Petrowski'schen Eisensabrik.
Wir waren anfangs in Tschita unser 82 Mann. Nach der Abferti¬
gung der Staatsverbrecher von der sechsten und siebenten Kategorie, die nach
Verbüßung der Strafarbeit zur Ansiedlung weggesandt worden waren, und der
Abreise Tolstoy's (nach dem Kaukasus) und Kornilowitsch's (in die Festung
von Petersburg) blieben 70 Männer und 7 Frauen in Tschita zurück; Frau
von Jentalzow war ihrem Manne im ersten Jahre ihrer Ankunft an den
Ort seiner Ansiedlung gefolgt. — Jeder Gefangene ist unaufhörlich mit Ge-
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