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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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so unendlich weit nachzustehen? Stimmen aus Regierungskreisen haben es
in der letzten Zeit an Andeutungen darüber nicht fehlen lassen, daß es sich ver¬
muthlich in der nächsten Zeit um neue Bewilligungen für neue Gefängnisse
handeln werde. Man spricht von der beabsichtigten Anlage eines Einzelhaft¬
gefängnisses für Frauen in Moabit und. was noch wahrscheinlicher ist, von
einer zu errichtenden Einzelhaft-Gefangenenanstalt in Schleswig-Holstein.
Für diese Provinz ist die Sache von besonderer Wichtigkeit, insofern dort
die Nothwendigkeit vorliegt ganz neue Strafanstalten aufzuführen. Die öffent¬
liche Aufmerksamkeit wendet sich der Frage zu, welches System denselben
zu Grunde gelegt werden soll und ein sachgemäßer Aufsatz in der dortigen
Landeszeitung empfahl kürzlich die Prüfung der Anwendbarkeit des irischen
Systems mit dem Hinzufügen, daß es an Haiden. die zu cultiviren und an
Entwässerungen, die vorzunehmen seien, auch bei Rendsburg und Neumünster
nicht fehle. In geschärfter Form tritt also die nun schon oft vertagte Frage
abermals vor die Landesvertretung. Dieselben Bedenken, die nun schon seit
Jahren unerledigt geblieben sind: ist die Bewilligung von Geldern für Ein¬
richtungen, denen die gesetzliche Begründung abgesprochen wird, überhaupt
statthaft -- erfordert die Vollstreckung der Einzelhaft, wie sie in Preußen
unter dem von allen Fachmännern*) für verderblich erklärten Einfluß einer
extremen religiösen Richtung üblich geworden ist. nicht die dringendste Auf¬
merksamkeit und das Einschreiten der Landesvertretung -- ist eine gründliche
Untersuchung über die anderwärts zur Geltung gebrachten Principien des
Strafvollzugs nicht als Vorfrage für die gesetzliche Regelung des Gegen¬
standes anzusehen? -- alle diese Bedenken treten aufs Neue vor die Ver¬
sammlung hin, stumme Zeugen eines von Session zu Session sich hinschleppen¬
den unfruchtbaren Schlendrians, wie er glücklicherweise auf keinem anderen
gleich wichtigen Gebiet zum zweiten Mal vorkommt.

Wie das Abgeordnetenhaus bei einem erneuerten Anlaß sich zu der
Frage des Gefängnißwesens stellen werde, bleibt unsicher; die Vermuthung
indessen, die sich aus dem bisherigen Verhalten ergibt, ist eine zu peinliche, als
daß wir sie zu wiederholen Lust haben könnten. Sollte es sich bewahrheiten. daß
die Gründung neuer Einzelhaftanstalten beabsichtigt wird, so würde es sich um



") Zu diesen Fachmännern rechnen wir den Minister des Innern allerdings nicht. -- 1864
that derselbe den sehr bemerkenswerthen und merkwürdigen Ausspruch: Ich liebe den Pietis¬
mus nicht und wenn ich glauben müßte, daß eine Anstalt den Pietismus erzöge oder auf der
Basis des Pietismus beruhte, so würde sie sich nicht mehr meiner Theilnahme und meiner
Protection zu erfreuen haben." Nun wird Niemand den Grafen von Eulenburg persönlich
Pietistischer Neigungen für verdächtig halten; aber daß es ihm gänzlich entgangen ist. in
welchem Verhältniß Herr Wiehern und dessen Einfluß auf das Gesängnißwesen zum Pietismus
stehen, dafür wissen wir keine andere Erklärung, "is daß er infolge der weiten Verzweigt¬
heit seines Ressorts in diesen Theil desselben nie einen sach. und sachkundigen Blick ge¬
worfen hat.
Grenzboten IV. 1SK8. 38

so unendlich weit nachzustehen? Stimmen aus Regierungskreisen haben es
in der letzten Zeit an Andeutungen darüber nicht fehlen lassen, daß es sich ver¬
muthlich in der nächsten Zeit um neue Bewilligungen für neue Gefängnisse
handeln werde. Man spricht von der beabsichtigten Anlage eines Einzelhaft¬
gefängnisses für Frauen in Moabit und. was noch wahrscheinlicher ist, von
einer zu errichtenden Einzelhaft-Gefangenenanstalt in Schleswig-Holstein.
Für diese Provinz ist die Sache von besonderer Wichtigkeit, insofern dort
die Nothwendigkeit vorliegt ganz neue Strafanstalten aufzuführen. Die öffent¬
liche Aufmerksamkeit wendet sich der Frage zu, welches System denselben
zu Grunde gelegt werden soll und ein sachgemäßer Aufsatz in der dortigen
Landeszeitung empfahl kürzlich die Prüfung der Anwendbarkeit des irischen
Systems mit dem Hinzufügen, daß es an Haiden. die zu cultiviren und an
Entwässerungen, die vorzunehmen seien, auch bei Rendsburg und Neumünster
nicht fehle. In geschärfter Form tritt also die nun schon oft vertagte Frage
abermals vor die Landesvertretung. Dieselben Bedenken, die nun schon seit
Jahren unerledigt geblieben sind: ist die Bewilligung von Geldern für Ein¬
richtungen, denen die gesetzliche Begründung abgesprochen wird, überhaupt
statthaft — erfordert die Vollstreckung der Einzelhaft, wie sie in Preußen
unter dem von allen Fachmännern*) für verderblich erklärten Einfluß einer
extremen religiösen Richtung üblich geworden ist. nicht die dringendste Auf¬
merksamkeit und das Einschreiten der Landesvertretung — ist eine gründliche
Untersuchung über die anderwärts zur Geltung gebrachten Principien des
Strafvollzugs nicht als Vorfrage für die gesetzliche Regelung des Gegen¬
standes anzusehen? — alle diese Bedenken treten aufs Neue vor die Ver¬
sammlung hin, stumme Zeugen eines von Session zu Session sich hinschleppen¬
den unfruchtbaren Schlendrians, wie er glücklicherweise auf keinem anderen
gleich wichtigen Gebiet zum zweiten Mal vorkommt.

Wie das Abgeordnetenhaus bei einem erneuerten Anlaß sich zu der
Frage des Gefängnißwesens stellen werde, bleibt unsicher; die Vermuthung
indessen, die sich aus dem bisherigen Verhalten ergibt, ist eine zu peinliche, als
daß wir sie zu wiederholen Lust haben könnten. Sollte es sich bewahrheiten. daß
die Gründung neuer Einzelhaftanstalten beabsichtigt wird, so würde es sich um



") Zu diesen Fachmännern rechnen wir den Minister des Innern allerdings nicht. — 1864
that derselbe den sehr bemerkenswerthen und merkwürdigen Ausspruch: Ich liebe den Pietis¬
mus nicht und wenn ich glauben müßte, daß eine Anstalt den Pietismus erzöge oder auf der
Basis des Pietismus beruhte, so würde sie sich nicht mehr meiner Theilnahme und meiner
Protection zu erfreuen haben." Nun wird Niemand den Grafen von Eulenburg persönlich
Pietistischer Neigungen für verdächtig halten; aber daß es ihm gänzlich entgangen ist. in
welchem Verhältniß Herr Wiehern und dessen Einfluß auf das Gesängnißwesen zum Pietismus
stehen, dafür wissen wir keine andere Erklärung, «is daß er infolge der weiten Verzweigt¬
heit seines Ressorts in diesen Theil desselben nie einen sach. und sachkundigen Blick ge¬
worfen hat.
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[0321] so unendlich weit nachzustehen? Stimmen aus Regierungskreisen haben es in der letzten Zeit an Andeutungen darüber nicht fehlen lassen, daß es sich ver¬ muthlich in der nächsten Zeit um neue Bewilligungen für neue Gefängnisse handeln werde. Man spricht von der beabsichtigten Anlage eines Einzelhaft¬ gefängnisses für Frauen in Moabit und. was noch wahrscheinlicher ist, von einer zu errichtenden Einzelhaft-Gefangenenanstalt in Schleswig-Holstein. Für diese Provinz ist die Sache von besonderer Wichtigkeit, insofern dort die Nothwendigkeit vorliegt ganz neue Strafanstalten aufzuführen. Die öffent¬ liche Aufmerksamkeit wendet sich der Frage zu, welches System denselben zu Grunde gelegt werden soll und ein sachgemäßer Aufsatz in der dortigen Landeszeitung empfahl kürzlich die Prüfung der Anwendbarkeit des irischen Systems mit dem Hinzufügen, daß es an Haiden. die zu cultiviren und an Entwässerungen, die vorzunehmen seien, auch bei Rendsburg und Neumünster nicht fehle. In geschärfter Form tritt also die nun schon oft vertagte Frage abermals vor die Landesvertretung. Dieselben Bedenken, die nun schon seit Jahren unerledigt geblieben sind: ist die Bewilligung von Geldern für Ein¬ richtungen, denen die gesetzliche Begründung abgesprochen wird, überhaupt statthaft — erfordert die Vollstreckung der Einzelhaft, wie sie in Preußen unter dem von allen Fachmännern*) für verderblich erklärten Einfluß einer extremen religiösen Richtung üblich geworden ist. nicht die dringendste Auf¬ merksamkeit und das Einschreiten der Landesvertretung — ist eine gründliche Untersuchung über die anderwärts zur Geltung gebrachten Principien des Strafvollzugs nicht als Vorfrage für die gesetzliche Regelung des Gegen¬ standes anzusehen? — alle diese Bedenken treten aufs Neue vor die Ver¬ sammlung hin, stumme Zeugen eines von Session zu Session sich hinschleppen¬ den unfruchtbaren Schlendrians, wie er glücklicherweise auf keinem anderen gleich wichtigen Gebiet zum zweiten Mal vorkommt. Wie das Abgeordnetenhaus bei einem erneuerten Anlaß sich zu der Frage des Gefängnißwesens stellen werde, bleibt unsicher; die Vermuthung indessen, die sich aus dem bisherigen Verhalten ergibt, ist eine zu peinliche, als daß wir sie zu wiederholen Lust haben könnten. Sollte es sich bewahrheiten. daß die Gründung neuer Einzelhaftanstalten beabsichtigt wird, so würde es sich um ") Zu diesen Fachmännern rechnen wir den Minister des Innern allerdings nicht. — 1864 that derselbe den sehr bemerkenswerthen und merkwürdigen Ausspruch: Ich liebe den Pietis¬ mus nicht und wenn ich glauben müßte, daß eine Anstalt den Pietismus erzöge oder auf der Basis des Pietismus beruhte, so würde sie sich nicht mehr meiner Theilnahme und meiner Protection zu erfreuen haben." Nun wird Niemand den Grafen von Eulenburg persönlich Pietistischer Neigungen für verdächtig halten; aber daß es ihm gänzlich entgangen ist. in welchem Verhältniß Herr Wiehern und dessen Einfluß auf das Gesängnißwesen zum Pietismus stehen, dafür wissen wir keine andere Erklärung, «is daß er infolge der weiten Verzweigt¬ heit seines Ressorts in diesen Theil desselben nie einen sach. und sachkundigen Blick ge¬ worfen hat. Grenzboten IV. 1SK8. 38

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/321>, abgerufen am 05.02.2025.