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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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liegenden Falle nicht nur innerhalb der Schranken der Verfassung geblieben,
sondern auch das politisch allein rathsame gewesen. Möglich, daß es dem
Grafen zu Eulenburg wesentlich nur darum zu thun gewesen, den Landtag zu
umgehen und geheimräthlichen Wünschen nach möglichster Vermeidung aller Be¬
rührungen mit der Volksvertretung Rechnung zu tragen: materiell ist sein Ver¬
fahren das richtige gewesen und die formelle Anfechtbarkeit desselben scheint
uns zur Zeit noch nicht nachgewiesen, auch schwer nachweisbar zu sein.
Eine richtige Auslegung dessen, was nach § 4K der preußischen Ver¬
fassung unter "zur Ausführung nothwendigen Verordnungen" zu ver¬
stehen ist, dürfte zufolge der knappen Fassung des betreffenden K kaum
anders als an der Hand der bisherigen preußischen Praxis möglich sein;
und daß diese zu widerspruchsvoll ist, um eine über allen Zweifel erhabene
Interpretation zuzulassen, wird kaum zweifelhaft sein. Uns genügt die
Ueberzeugung, daß das von der Regierung eingeschlagene Verfahren mit
der Verfassung in Einklang gebracht werden kann, zu dem Verzicht aus
alle weiteren Auseinandersetzungen über den Rechtspunkt; eine entgegen¬
stehende Bestimmung der Verfassung würde von uns nicht anders als mit
lebhaftem Bedauern angesehen worden sein -- denn durch eine solche würde
nicht nur jede gedeihliche Entwickelung der Selbstverwaltung erschwert, son¬
dern zugleich die Möglichkeit ausgesprochen worden sein, den neuen Provinzen
Preußens die Behandlung zu Theil werden zulassen, welche zu einer glück¬
lichen Lösung dessen, was von deutscher Frage übriggeblieben, unumgänglich
nothwendig erscheint. -- Soll die Gewöhnung an Selbstverwaltung sich in
dem Volke wirklich befestigen, so wird nämlich vor Allem nothwendig sein,
daß den einzelnen landschaftlichen Gruppen, in welche dasselbe zerfällt, die
Möglichkeit geboten werde, diese Selbstverwaltung nach ihren speciellen
Wünschen, Bedürfnissen und Gewohnheiten zu regeln. Die Mannigfaltigkeit
der Verhältnisse, welche in den verschiedenen Theilen der Monarchie obwaltet,
macht den Verzicht auf eine Uniformität in den bezüglichen Einrichtungen
von vorn herein zur nothwendigen Vorbedingung. Jene "Einheit der Gesetz¬
gebung" welche ein Theil unserer Presse bereits dadurch gefährdet glaubt, daß
den hannoverschen Provincialständen das Recht eingeräumt worden, sich mit dem
Minister des Innern über das Statut ihrer Provincialverwaltung zu verstän¬
digen, ist unserer Meinung nach mit den Forderungen, welche an eine wirk¬
lich lebendige Selbstverwaltung zu stellen sind, unvereinbar. Für den han¬
noverschen Provinciallandtag kam es in erster Reihe darauf an. sich mit der
neuen Organisation möglichst eng an die thatsächlichen Verhältnisse, oder
richtiger gesagt, an die Anschauungen anzuschließen, welche in Hannover über
dieselben herrschend sind. Nicht das beste und theoretisch richtigste System
der Selbstverwaltung sollte geschaffen werden, sondern ein solches, für dessen


liegenden Falle nicht nur innerhalb der Schranken der Verfassung geblieben,
sondern auch das politisch allein rathsame gewesen. Möglich, daß es dem
Grafen zu Eulenburg wesentlich nur darum zu thun gewesen, den Landtag zu
umgehen und geheimräthlichen Wünschen nach möglichster Vermeidung aller Be¬
rührungen mit der Volksvertretung Rechnung zu tragen: materiell ist sein Ver¬
fahren das richtige gewesen und die formelle Anfechtbarkeit desselben scheint
uns zur Zeit noch nicht nachgewiesen, auch schwer nachweisbar zu sein.
Eine richtige Auslegung dessen, was nach § 4K der preußischen Ver¬
fassung unter „zur Ausführung nothwendigen Verordnungen" zu ver¬
stehen ist, dürfte zufolge der knappen Fassung des betreffenden K kaum
anders als an der Hand der bisherigen preußischen Praxis möglich sein;
und daß diese zu widerspruchsvoll ist, um eine über allen Zweifel erhabene
Interpretation zuzulassen, wird kaum zweifelhaft sein. Uns genügt die
Ueberzeugung, daß das von der Regierung eingeschlagene Verfahren mit
der Verfassung in Einklang gebracht werden kann, zu dem Verzicht aus
alle weiteren Auseinandersetzungen über den Rechtspunkt; eine entgegen¬
stehende Bestimmung der Verfassung würde von uns nicht anders als mit
lebhaftem Bedauern angesehen worden sein — denn durch eine solche würde
nicht nur jede gedeihliche Entwickelung der Selbstverwaltung erschwert, son¬
dern zugleich die Möglichkeit ausgesprochen worden sein, den neuen Provinzen
Preußens die Behandlung zu Theil werden zulassen, welche zu einer glück¬
lichen Lösung dessen, was von deutscher Frage übriggeblieben, unumgänglich
nothwendig erscheint. — Soll die Gewöhnung an Selbstverwaltung sich in
dem Volke wirklich befestigen, so wird nämlich vor Allem nothwendig sein,
daß den einzelnen landschaftlichen Gruppen, in welche dasselbe zerfällt, die
Möglichkeit geboten werde, diese Selbstverwaltung nach ihren speciellen
Wünschen, Bedürfnissen und Gewohnheiten zu regeln. Die Mannigfaltigkeit
der Verhältnisse, welche in den verschiedenen Theilen der Monarchie obwaltet,
macht den Verzicht auf eine Uniformität in den bezüglichen Einrichtungen
von vorn herein zur nothwendigen Vorbedingung. Jene „Einheit der Gesetz¬
gebung" welche ein Theil unserer Presse bereits dadurch gefährdet glaubt, daß
den hannoverschen Provincialständen das Recht eingeräumt worden, sich mit dem
Minister des Innern über das Statut ihrer Provincialverwaltung zu verstän¬
digen, ist unserer Meinung nach mit den Forderungen, welche an eine wirk¬
lich lebendige Selbstverwaltung zu stellen sind, unvereinbar. Für den han¬
noverschen Provinciallandtag kam es in erster Reihe darauf an. sich mit der
neuen Organisation möglichst eng an die thatsächlichen Verhältnisse, oder
richtiger gesagt, an die Anschauungen anzuschließen, welche in Hannover über
dieselben herrschend sind. Nicht das beste und theoretisch richtigste System
der Selbstverwaltung sollte geschaffen werden, sondern ein solches, für dessen


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[0308] liegenden Falle nicht nur innerhalb der Schranken der Verfassung geblieben, sondern auch das politisch allein rathsame gewesen. Möglich, daß es dem Grafen zu Eulenburg wesentlich nur darum zu thun gewesen, den Landtag zu umgehen und geheimräthlichen Wünschen nach möglichster Vermeidung aller Be¬ rührungen mit der Volksvertretung Rechnung zu tragen: materiell ist sein Ver¬ fahren das richtige gewesen und die formelle Anfechtbarkeit desselben scheint uns zur Zeit noch nicht nachgewiesen, auch schwer nachweisbar zu sein. Eine richtige Auslegung dessen, was nach § 4K der preußischen Ver¬ fassung unter „zur Ausführung nothwendigen Verordnungen" zu ver¬ stehen ist, dürfte zufolge der knappen Fassung des betreffenden K kaum anders als an der Hand der bisherigen preußischen Praxis möglich sein; und daß diese zu widerspruchsvoll ist, um eine über allen Zweifel erhabene Interpretation zuzulassen, wird kaum zweifelhaft sein. Uns genügt die Ueberzeugung, daß das von der Regierung eingeschlagene Verfahren mit der Verfassung in Einklang gebracht werden kann, zu dem Verzicht aus alle weiteren Auseinandersetzungen über den Rechtspunkt; eine entgegen¬ stehende Bestimmung der Verfassung würde von uns nicht anders als mit lebhaftem Bedauern angesehen worden sein — denn durch eine solche würde nicht nur jede gedeihliche Entwickelung der Selbstverwaltung erschwert, son¬ dern zugleich die Möglichkeit ausgesprochen worden sein, den neuen Provinzen Preußens die Behandlung zu Theil werden zulassen, welche zu einer glück¬ lichen Lösung dessen, was von deutscher Frage übriggeblieben, unumgänglich nothwendig erscheint. — Soll die Gewöhnung an Selbstverwaltung sich in dem Volke wirklich befestigen, so wird nämlich vor Allem nothwendig sein, daß den einzelnen landschaftlichen Gruppen, in welche dasselbe zerfällt, die Möglichkeit geboten werde, diese Selbstverwaltung nach ihren speciellen Wünschen, Bedürfnissen und Gewohnheiten zu regeln. Die Mannigfaltigkeit der Verhältnisse, welche in den verschiedenen Theilen der Monarchie obwaltet, macht den Verzicht auf eine Uniformität in den bezüglichen Einrichtungen von vorn herein zur nothwendigen Vorbedingung. Jene „Einheit der Gesetz¬ gebung" welche ein Theil unserer Presse bereits dadurch gefährdet glaubt, daß den hannoverschen Provincialständen das Recht eingeräumt worden, sich mit dem Minister des Innern über das Statut ihrer Provincialverwaltung zu verstän¬ digen, ist unserer Meinung nach mit den Forderungen, welche an eine wirk¬ lich lebendige Selbstverwaltung zu stellen sind, unvereinbar. Für den han¬ noverschen Provinciallandtag kam es in erster Reihe darauf an. sich mit der neuen Organisation möglichst eng an die thatsächlichen Verhältnisse, oder richtiger gesagt, an die Anschauungen anzuschließen, welche in Hannover über dieselben herrschend sind. Nicht das beste und theoretisch richtigste System der Selbstverwaltung sollte geschaffen werden, sondern ein solches, für dessen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/308>, abgerufen am 06.02.2025.