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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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armen, ehe der Platzadjutant eintrat und mich zum Commandanten führte.
An der Treppe der Kommandantur standen fünf Schlitten. Gleich nach mir
wurden N. P. Repin, M. N. Glebow und M. K. Küchelbecker in die
Commandantur geführt. Wir umarmten einander; mit Ersterem hatte ich
zusammen gedient, mit den Letzteren am Erecutionstage Bekanntschaft gemacht.
Wir hatten unsere eigene warme Kleidung. In demselben Zimmer standen
der Platzmajor, zwei Platzadjutanten, ein Feldjäger und an dem Ofen gelehnt
der wohlbekannte Doctor im schwarzen Frack; aus dem Kaminsims sah ich
Arzneigläser. Nikolajew sagte mir. der Doctor wäre bei jeder Abfertigung
gegenwärtig, um im Falle einer Ohnmacht oder eines Krankheitsfalles Hilfe
zu leisten. Für uns blieb er Zuschauer. Unsere kurze Unterhaltung wurde
durch den Eintritt des Commandanten sulln unterbrochen; ihm folgte ein
Feuerwerker, der die beiden Ecken seines Mantels geheimnißvoll in den
Händen zusammenhielt. -- Der Commandant zeigte uns an. daß er uns
auf allerhöchsten Befehl nach Sibirien abzufertigen habe und zwar in Ketten;
bei diesem letzten Worte ließ der Feuerwerker die Enden seines Mantels
fallen und auf die Diele klirrten die für uns bestimmten Fesseln. Der Com¬
mandant entfernte sich. -- Die Reifen um die Fußknöchel wurden zusammen¬
geklappt, mit Schlössern zugeschlossen und die Schlüssel dem Feldjäger, der
uns geleiten sollte, gegeben. Wir traten hinaus; es wa" etwas schwer die
Treppen hinunter zu steigen; ich hielt mich an dem Geländer fest, einer von
meinen Kameraden stolperte und wäre beinahe gefallen. Da brachte uns
der Platzmajor rothe Schnüre, die früher zum Zusammenbinden von Feder¬
posen gedient hatten. Ein Ende der Schnur wurde an einem Ring befestigt,
der die eisernen Stäbe und Glieder der Fesseln vereinigte, das andere Ende
derselben mit den aufgehobenen Eisen an den Gurt gebunden; so konnten
wir uns rascher bewegen und Schritte von etwa einer halben Elle Länge
machen. Dienstfertige Gensdarmen kamen uns bei der Treppe entgegen, setzten
uns einzeln in die Schlitten, und so fing unsere 6,600 Werst (944 deutsche
Meilen) weite Reise an. --

Unser Weg war vom Monde und von funkelnden Sternen hell erleuch¬
tet. In kurzem Trabe fuhren wir über die Newa; mein Blick war auf
Wassily-Ostrow gewandt; ich wußte, daß meine Frau jetzt für mich betete. 11
u^'a rien ac plus doa,u clans 1ö monäs hus Is eiol et le sentimont
an ävvoir äans is coeur ä<z 1'iwmme, hatte sie meinem Vater einmal gesagt.
-- Beim Marmorpalais erreichten wir das andere Newaufer, lenkten in die'
Liteinaja ein, in die Osfiziersstrasze, zur Newsly'schen Perspective, dann am
Alerander-Newsky-Kloster vorüber zum Schlüsselburg'schen Thor. Nur wenige
Häuser waren noch erleuchtet, die Straßen waren öde; man hörte nur das
Anrufen der Straßenwächter, die mit ihren Hellebarden auf- und nieder-


armen, ehe der Platzadjutant eintrat und mich zum Commandanten führte.
An der Treppe der Kommandantur standen fünf Schlitten. Gleich nach mir
wurden N. P. Repin, M. N. Glebow und M. K. Küchelbecker in die
Commandantur geführt. Wir umarmten einander; mit Ersterem hatte ich
zusammen gedient, mit den Letzteren am Erecutionstage Bekanntschaft gemacht.
Wir hatten unsere eigene warme Kleidung. In demselben Zimmer standen
der Platzmajor, zwei Platzadjutanten, ein Feldjäger und an dem Ofen gelehnt
der wohlbekannte Doctor im schwarzen Frack; aus dem Kaminsims sah ich
Arzneigläser. Nikolajew sagte mir. der Doctor wäre bei jeder Abfertigung
gegenwärtig, um im Falle einer Ohnmacht oder eines Krankheitsfalles Hilfe
zu leisten. Für uns blieb er Zuschauer. Unsere kurze Unterhaltung wurde
durch den Eintritt des Commandanten sulln unterbrochen; ihm folgte ein
Feuerwerker, der die beiden Ecken seines Mantels geheimnißvoll in den
Händen zusammenhielt. — Der Commandant zeigte uns an. daß er uns
auf allerhöchsten Befehl nach Sibirien abzufertigen habe und zwar in Ketten;
bei diesem letzten Worte ließ der Feuerwerker die Enden seines Mantels
fallen und auf die Diele klirrten die für uns bestimmten Fesseln. Der Com¬
mandant entfernte sich. — Die Reifen um die Fußknöchel wurden zusammen¬
geklappt, mit Schlössern zugeschlossen und die Schlüssel dem Feldjäger, der
uns geleiten sollte, gegeben. Wir traten hinaus; es wa» etwas schwer die
Treppen hinunter zu steigen; ich hielt mich an dem Geländer fest, einer von
meinen Kameraden stolperte und wäre beinahe gefallen. Da brachte uns
der Platzmajor rothe Schnüre, die früher zum Zusammenbinden von Feder¬
posen gedient hatten. Ein Ende der Schnur wurde an einem Ring befestigt,
der die eisernen Stäbe und Glieder der Fesseln vereinigte, das andere Ende
derselben mit den aufgehobenen Eisen an den Gurt gebunden; so konnten
wir uns rascher bewegen und Schritte von etwa einer halben Elle Länge
machen. Dienstfertige Gensdarmen kamen uns bei der Treppe entgegen, setzten
uns einzeln in die Schlitten, und so fing unsere 6,600 Werst (944 deutsche
Meilen) weite Reise an. —

Unser Weg war vom Monde und von funkelnden Sternen hell erleuch¬
tet. In kurzem Trabe fuhren wir über die Newa; mein Blick war auf
Wassily-Ostrow gewandt; ich wußte, daß meine Frau jetzt für mich betete. 11
u^'a rien ac plus doa,u clans 1ö monäs hus Is eiol et le sentimont
an ävvoir äans is coeur ä<z 1'iwmme, hatte sie meinem Vater einmal gesagt.
— Beim Marmorpalais erreichten wir das andere Newaufer, lenkten in die'
Liteinaja ein, in die Osfiziersstrasze, zur Newsly'schen Perspective, dann am
Alerander-Newsky-Kloster vorüber zum Schlüsselburg'schen Thor. Nur wenige
Häuser waren noch erleuchtet, die Straßen waren öde; man hörte nur das
Anrufen der Straßenwächter, die mit ihren Hellebarden auf- und nieder-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/276>, abgerufen am 06.02.2025.