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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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teurergeschichten, während er für die Novelle in "Werther's Leiden" bereits eine
höhere Kunstform fand.

Ein umfangreicher Essay, dem Leser der Grenzboten neu, "die hellenische
Kunst", führt in eine Reihe von Artikeln ein, welche wohl als Musterstücke
einer populären Behandlung wissenschaftlicher Untersuchungen gelten dürfen.
Diese Aufsätze "die Restitution verlorener Kunstwerke für die Kunstgeschichte",
"die alte Kunst und die Mode", "die Polychromie der alten Sculptur", "der
Apoll von Belvedere". "höfische Kunst und Poesie unter Augustus" und
"die griechischen bemalten Vasen" sind so geordnet, daß sie einander ergän¬
zend fast ein zusammenhängendes Ganzes bilden. Der Weg wird gezeigt, auf
welchem allmälig dem Gelehrten und Künstler verständlich wurde, daß die
erhaltenen antiken Statuen, an denen sich seit der Renaissance die modernen
Anschauungen von der Schönheit und dem Adel antiker Kunst gebildet hat¬
ten, keineswegs aus der großen Zeit hellenischer Kunst stammen, sondern daß
gerade die traditionell berühmtesten Statuen, wie Apoll von Belvedere, Laokoon,
Niobidengruppe, nur Nachbildungen aus römischer Zeit sind, mit mehr oder
weniger Geist und formaler Fertigkeit, aber Arbeiten einer Zeit, in welcher die beste
schöpferische Kraft bereits lange geschwunden war. Nur einzelne Sculpturen, fast
sämmtlich Ueberreste antiken Tempelschmucks, die besterhaltenen Reliefe davon,
geben Anschauungen von der Kunst des Phidias und der Blüthenzeit antiker
Kunst. Seitdem ist es eine der lohnendsten Aufgaben der Archäologie, in dem er¬
haltenen Vorrath von Antiken die Nachbildungen der Werke großer hellenischer
Künstler zu erkennen, aus den Copien und entlehnten Motiven eine Vorstellung
von den verlorenen Originalen zu erhalten. Der Weg, aus welchem dies geschieht
und die Hülse, welche erhaltene Gemmen und Vasenbilder dabei gewähren, sind
durch eine Anzahl wohlgewählter Beispiele erläutert. Noch eine andere, nicht
weniger radicale Wandlung in der Beurtheilung antiken Kunstgefühls hat
sich in der neuesten Zeit vollzogen. Lange hat sich unsere Empfindung gegen die
Thatsache gesträubt, für die es doch unwiderlegliche Ueberlieferungen gab,
daß die Statuen der hellenischen Zeit, sogar die aus edlem Marmor, mit
Farben bemalt waren. Auch über den Stand dieser Frage wird dem
Leser ausführlicher Bericht gegeben, er wird von liebgewordener Aus¬
fassung scheiden müssen und seine Phantasie daran gewöhnen, daß die Hel¬
lenen bei Darstellung des Nackten, des Antlitzes wie der Glieder, gerade
das glänzende Weiß des feinkörnigen Marmors, das uns als höchster
Reiz desselben erscheint, für roh hielten, und dem bearbeiteten Stein für
diese Theile einen warmen Farbenton imprägnirten. welcher das krystallinische
Gefüge nicht deckte, und daß sie ferner Haare und Augen und nicht weniger
Rüstung und Gewand mit einer Malerei versahen, bei welcher Farbenwahl
und Ausführung sehr sorgfältig und kunstvoll war und als würdige Aus-


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teurergeschichten, während er für die Novelle in „Werther's Leiden" bereits eine
höhere Kunstform fand.

Ein umfangreicher Essay, dem Leser der Grenzboten neu, „die hellenische
Kunst", führt in eine Reihe von Artikeln ein, welche wohl als Musterstücke
einer populären Behandlung wissenschaftlicher Untersuchungen gelten dürfen.
Diese Aufsätze „die Restitution verlorener Kunstwerke für die Kunstgeschichte",
„die alte Kunst und die Mode", „die Polychromie der alten Sculptur", „der
Apoll von Belvedere". „höfische Kunst und Poesie unter Augustus" und
„die griechischen bemalten Vasen" sind so geordnet, daß sie einander ergän¬
zend fast ein zusammenhängendes Ganzes bilden. Der Weg wird gezeigt, auf
welchem allmälig dem Gelehrten und Künstler verständlich wurde, daß die
erhaltenen antiken Statuen, an denen sich seit der Renaissance die modernen
Anschauungen von der Schönheit und dem Adel antiker Kunst gebildet hat¬
ten, keineswegs aus der großen Zeit hellenischer Kunst stammen, sondern daß
gerade die traditionell berühmtesten Statuen, wie Apoll von Belvedere, Laokoon,
Niobidengruppe, nur Nachbildungen aus römischer Zeit sind, mit mehr oder
weniger Geist und formaler Fertigkeit, aber Arbeiten einer Zeit, in welcher die beste
schöpferische Kraft bereits lange geschwunden war. Nur einzelne Sculpturen, fast
sämmtlich Ueberreste antiken Tempelschmucks, die besterhaltenen Reliefe davon,
geben Anschauungen von der Kunst des Phidias und der Blüthenzeit antiker
Kunst. Seitdem ist es eine der lohnendsten Aufgaben der Archäologie, in dem er¬
haltenen Vorrath von Antiken die Nachbildungen der Werke großer hellenischer
Künstler zu erkennen, aus den Copien und entlehnten Motiven eine Vorstellung
von den verlorenen Originalen zu erhalten. Der Weg, aus welchem dies geschieht
und die Hülse, welche erhaltene Gemmen und Vasenbilder dabei gewähren, sind
durch eine Anzahl wohlgewählter Beispiele erläutert. Noch eine andere, nicht
weniger radicale Wandlung in der Beurtheilung antiken Kunstgefühls hat
sich in der neuesten Zeit vollzogen. Lange hat sich unsere Empfindung gegen die
Thatsache gesträubt, für die es doch unwiderlegliche Ueberlieferungen gab,
daß die Statuen der hellenischen Zeit, sogar die aus edlem Marmor, mit
Farben bemalt waren. Auch über den Stand dieser Frage wird dem
Leser ausführlicher Bericht gegeben, er wird von liebgewordener Aus¬
fassung scheiden müssen und seine Phantasie daran gewöhnen, daß die Hel¬
lenen bei Darstellung des Nackten, des Antlitzes wie der Glieder, gerade
das glänzende Weiß des feinkörnigen Marmors, das uns als höchster
Reiz desselben erscheint, für roh hielten, und dem bearbeiteten Stein für
diese Theile einen warmen Farbenton imprägnirten. welcher das krystallinische
Gefüge nicht deckte, und daß sie ferner Haare und Augen und nicht weniger
Rüstung und Gewand mit einer Malerei versahen, bei welcher Farbenwahl
und Ausführung sehr sorgfältig und kunstvoll war und als würdige Aus-


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[0265] teurergeschichten, während er für die Novelle in „Werther's Leiden" bereits eine höhere Kunstform fand. Ein umfangreicher Essay, dem Leser der Grenzboten neu, „die hellenische Kunst", führt in eine Reihe von Artikeln ein, welche wohl als Musterstücke einer populären Behandlung wissenschaftlicher Untersuchungen gelten dürfen. Diese Aufsätze „die Restitution verlorener Kunstwerke für die Kunstgeschichte", „die alte Kunst und die Mode", „die Polychromie der alten Sculptur", „der Apoll von Belvedere". „höfische Kunst und Poesie unter Augustus" und „die griechischen bemalten Vasen" sind so geordnet, daß sie einander ergän¬ zend fast ein zusammenhängendes Ganzes bilden. Der Weg wird gezeigt, auf welchem allmälig dem Gelehrten und Künstler verständlich wurde, daß die erhaltenen antiken Statuen, an denen sich seit der Renaissance die modernen Anschauungen von der Schönheit und dem Adel antiker Kunst gebildet hat¬ ten, keineswegs aus der großen Zeit hellenischer Kunst stammen, sondern daß gerade die traditionell berühmtesten Statuen, wie Apoll von Belvedere, Laokoon, Niobidengruppe, nur Nachbildungen aus römischer Zeit sind, mit mehr oder weniger Geist und formaler Fertigkeit, aber Arbeiten einer Zeit, in welcher die beste schöpferische Kraft bereits lange geschwunden war. Nur einzelne Sculpturen, fast sämmtlich Ueberreste antiken Tempelschmucks, die besterhaltenen Reliefe davon, geben Anschauungen von der Kunst des Phidias und der Blüthenzeit antiker Kunst. Seitdem ist es eine der lohnendsten Aufgaben der Archäologie, in dem er¬ haltenen Vorrath von Antiken die Nachbildungen der Werke großer hellenischer Künstler zu erkennen, aus den Copien und entlehnten Motiven eine Vorstellung von den verlorenen Originalen zu erhalten. Der Weg, aus welchem dies geschieht und die Hülse, welche erhaltene Gemmen und Vasenbilder dabei gewähren, sind durch eine Anzahl wohlgewählter Beispiele erläutert. Noch eine andere, nicht weniger radicale Wandlung in der Beurtheilung antiken Kunstgefühls hat sich in der neuesten Zeit vollzogen. Lange hat sich unsere Empfindung gegen die Thatsache gesträubt, für die es doch unwiderlegliche Ueberlieferungen gab, daß die Statuen der hellenischen Zeit, sogar die aus edlem Marmor, mit Farben bemalt waren. Auch über den Stand dieser Frage wird dem Leser ausführlicher Bericht gegeben, er wird von liebgewordener Aus¬ fassung scheiden müssen und seine Phantasie daran gewöhnen, daß die Hel¬ lenen bei Darstellung des Nackten, des Antlitzes wie der Glieder, gerade das glänzende Weiß des feinkörnigen Marmors, das uns als höchster Reiz desselben erscheint, für roh hielten, und dem bearbeiteten Stein für diese Theile einen warmen Farbenton imprägnirten. welcher das krystallinische Gefüge nicht deckte, und daß sie ferner Haare und Augen und nicht weniger Rüstung und Gewand mit einer Malerei versahen, bei welcher Farbenwahl und Ausführung sehr sorgfältig und kunstvoll war und als würdige Aus- 31*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/265>, abgerufen am 05.02.2025.