Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

Bild:
<< vorherige Seite

lehr verspreche er sich keinen Vortheil; statt einer Hand wollten dann zwei
an dem Frachtgut verdienen, und während das Publieum jetzt auf die Eisen¬
bahntarife durch die Generalversammlungen, bei den Staatsbahnen durch die
Landtage wenigstens einigen Einfluß ausübe, würden sich dann Consortien
von Spediteuren bilden, welche allen Segen der Concurrenz illusorisch mach¬
ten -- vorausgesetzt daß man überhaupt die Eisenbahnen zwingen könne sich
einen solchen Eingriff gefallen zu lassen. Zur Unterstützung seines gegen
übermäßige Disparitäten gerichteten Antrags bezieht Redner sich auf folgen¬
des in der That drastische Beispiel. Ein Mannheimer Haus hat 100 Ctr.
Kaffee von Amsterdam bezogen und verkauft sie weiter nach Wien. Um nun
den billigsten Transport zu wählen, muß es sie nach Amsterdam zurück
und von da nach Wien dirigiren; auf diese Weise werden gegenüber der
directen Fracht nach Wien noch 24 Kreuzer erspart! Unter solchen Unbillig-
keiten müsse der Zwischenhandel zu Grunde gehen. Der Handelstag solle
wenigstens die öffentliche Meinung aufklären. Den Einpfennigtarif empfiehlt
Redner als das dem jetzigen Bedürfniß Entsprechende. Dagegen warnt
Stephan-Königsberg eindringlich, nicht wieder den in Frankfurt a. M.
eingeschlagenen Weg zu betreten: "Eisenbahn-Verwaltungen und Regierungen
haben,sich an die dortigen Beschlüsse über die Fracht-Disparitäten schlechter¬
dings nicht gekehrt und selbst die Presse hat sie schließlich nur verurtheilt."

Aus dem sonstigen Inhalt der Debatte mag noch ein Beispiel für das
willkürliche Verfahren der Eisenbahn-Verwaltungen hier Platz finden, welches
sehr o or-Leipzig zur Begründung eines von der dortigen Handelskammer
gestellten, die Lieferfristen betreffenden Antrags mittheilte. Für den Be¬
ginn der Lieferfrist ist nach dem Vereins-Güter-Reglement die Abstempelung
des Frachtbriefes maßgebend. Um nun mit der Lieferfrist nicht in Collision
zu kommen, läßt die Verwaltung einfach den Frachtbrief nicht eher abstem¬
peln, als bis es ihr bequem ist das Gut abzusenden. In dem fraglichen
Falle war das Gut am 18. Februar zur Beförderung ausgegeben und erst
am 7. März an dem nur wenige Meilen entfernten Bestimmungsorte ange¬
kommen. Die Ztägige Lieferzeit war trotzdem bestens gewahrt: der Fracht¬
brief war erst am 5. März abgestempelt!

Der Antrag Leipzig wurde vom Refer enden im Schlußvortrag acceptirt.
Dagegen konnte er sich mit den Moll'schen Anträgen durchaus nicht befreunden
und übte an dessen Einwendungen gegen die Unterscheidung zwischen Fahrverkehr
und Frachtverkehr eine scharfe Antikritik. "Der geehrte Redner" sagte er, "meint
daß die Frachten vertheuert werden, wenn die Arbeit zwischen den Bahnverwal¬
tungen und den Spediteuren getheilt wird. Diese Befürchtung klingt eigenthüm¬
lich im Munde Jemandes, der für die Interessen des Zwischenhandels platirt.


lehr verspreche er sich keinen Vortheil; statt einer Hand wollten dann zwei
an dem Frachtgut verdienen, und während das Publieum jetzt auf die Eisen¬
bahntarife durch die Generalversammlungen, bei den Staatsbahnen durch die
Landtage wenigstens einigen Einfluß ausübe, würden sich dann Consortien
von Spediteuren bilden, welche allen Segen der Concurrenz illusorisch mach¬
ten — vorausgesetzt daß man überhaupt die Eisenbahnen zwingen könne sich
einen solchen Eingriff gefallen zu lassen. Zur Unterstützung seines gegen
übermäßige Disparitäten gerichteten Antrags bezieht Redner sich auf folgen¬
des in der That drastische Beispiel. Ein Mannheimer Haus hat 100 Ctr.
Kaffee von Amsterdam bezogen und verkauft sie weiter nach Wien. Um nun
den billigsten Transport zu wählen, muß es sie nach Amsterdam zurück
und von da nach Wien dirigiren; auf diese Weise werden gegenüber der
directen Fracht nach Wien noch 24 Kreuzer erspart! Unter solchen Unbillig-
keiten müsse der Zwischenhandel zu Grunde gehen. Der Handelstag solle
wenigstens die öffentliche Meinung aufklären. Den Einpfennigtarif empfiehlt
Redner als das dem jetzigen Bedürfniß Entsprechende. Dagegen warnt
Stephan-Königsberg eindringlich, nicht wieder den in Frankfurt a. M.
eingeschlagenen Weg zu betreten: „Eisenbahn-Verwaltungen und Regierungen
haben,sich an die dortigen Beschlüsse über die Fracht-Disparitäten schlechter¬
dings nicht gekehrt und selbst die Presse hat sie schließlich nur verurtheilt."

Aus dem sonstigen Inhalt der Debatte mag noch ein Beispiel für das
willkürliche Verfahren der Eisenbahn-Verwaltungen hier Platz finden, welches
sehr o or-Leipzig zur Begründung eines von der dortigen Handelskammer
gestellten, die Lieferfristen betreffenden Antrags mittheilte. Für den Be¬
ginn der Lieferfrist ist nach dem Vereins-Güter-Reglement die Abstempelung
des Frachtbriefes maßgebend. Um nun mit der Lieferfrist nicht in Collision
zu kommen, läßt die Verwaltung einfach den Frachtbrief nicht eher abstem¬
peln, als bis es ihr bequem ist das Gut abzusenden. In dem fraglichen
Falle war das Gut am 18. Februar zur Beförderung ausgegeben und erst
am 7. März an dem nur wenige Meilen entfernten Bestimmungsorte ange¬
kommen. Die Ztägige Lieferzeit war trotzdem bestens gewahrt: der Fracht¬
brief war erst am 5. März abgestempelt!

Der Antrag Leipzig wurde vom Refer enden im Schlußvortrag acceptirt.
Dagegen konnte er sich mit den Moll'schen Anträgen durchaus nicht befreunden
und übte an dessen Einwendungen gegen die Unterscheidung zwischen Fahrverkehr
und Frachtverkehr eine scharfe Antikritik. „Der geehrte Redner" sagte er, „meint
daß die Frachten vertheuert werden, wenn die Arbeit zwischen den Bahnverwal¬
tungen und den Spediteuren getheilt wird. Diese Befürchtung klingt eigenthüm¬
lich im Munde Jemandes, der für die Interessen des Zwischenhandels platirt.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0251" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/287523"/>
            <p xml:id="ID_645" prev="#ID_644"> lehr verspreche er sich keinen Vortheil; statt einer Hand wollten dann zwei<lb/>
an dem Frachtgut verdienen, und während das Publieum jetzt auf die Eisen¬<lb/>
bahntarife durch die Generalversammlungen, bei den Staatsbahnen durch die<lb/>
Landtage wenigstens einigen Einfluß ausübe, würden sich dann Consortien<lb/>
von Spediteuren bilden, welche allen Segen der Concurrenz illusorisch mach¬<lb/>
ten &#x2014; vorausgesetzt daß man überhaupt die Eisenbahnen zwingen könne sich<lb/>
einen solchen Eingriff gefallen zu lassen. Zur Unterstützung seines gegen<lb/>
übermäßige Disparitäten gerichteten Antrags bezieht Redner sich auf folgen¬<lb/>
des in der That drastische Beispiel. Ein Mannheimer Haus hat 100 Ctr.<lb/>
Kaffee von Amsterdam bezogen und verkauft sie weiter nach Wien. Um nun<lb/>
den billigsten Transport zu wählen, muß es sie nach Amsterdam zurück<lb/>
und von da nach Wien dirigiren; auf diese Weise werden gegenüber der<lb/>
directen Fracht nach Wien noch 24 Kreuzer erspart! Unter solchen Unbillig-<lb/>
keiten müsse der Zwischenhandel zu Grunde gehen. Der Handelstag solle<lb/>
wenigstens die öffentliche Meinung aufklären. Den Einpfennigtarif empfiehlt<lb/>
Redner als das dem jetzigen Bedürfniß Entsprechende. Dagegen warnt<lb/>
Stephan-Königsberg eindringlich, nicht wieder den in Frankfurt a. M.<lb/>
eingeschlagenen Weg zu betreten: &#x201E;Eisenbahn-Verwaltungen und Regierungen<lb/>
haben,sich an die dortigen Beschlüsse über die Fracht-Disparitäten schlechter¬<lb/>
dings nicht gekehrt und selbst die Presse hat sie schließlich nur verurtheilt."</p><lb/>
            <p xml:id="ID_646"> Aus dem sonstigen Inhalt der Debatte mag noch ein Beispiel für das<lb/>
willkürliche Verfahren der Eisenbahn-Verwaltungen hier Platz finden, welches<lb/>
sehr o or-Leipzig zur Begründung eines von der dortigen Handelskammer<lb/>
gestellten, die Lieferfristen betreffenden Antrags mittheilte. Für den Be¬<lb/>
ginn der Lieferfrist ist nach dem Vereins-Güter-Reglement die Abstempelung<lb/>
des Frachtbriefes maßgebend. Um nun mit der Lieferfrist nicht in Collision<lb/>
zu kommen, läßt die Verwaltung einfach den Frachtbrief nicht eher abstem¬<lb/>
peln, als bis es ihr bequem ist das Gut abzusenden. In dem fraglichen<lb/>
Falle war das Gut am 18. Februar zur Beförderung ausgegeben und erst<lb/>
am 7. März an dem nur wenige Meilen entfernten Bestimmungsorte ange¬<lb/>
kommen. Die Ztägige Lieferzeit war trotzdem bestens gewahrt: der Fracht¬<lb/>
brief war erst am 5. März abgestempelt!</p><lb/>
            <p xml:id="ID_647" next="#ID_648"> Der Antrag Leipzig wurde vom Refer enden im Schlußvortrag acceptirt.<lb/>
Dagegen konnte er sich mit den Moll'schen Anträgen durchaus nicht befreunden<lb/>
und übte an dessen Einwendungen gegen die Unterscheidung zwischen Fahrverkehr<lb/>
und Frachtverkehr eine scharfe Antikritik. &#x201E;Der geehrte Redner" sagte er, &#x201E;meint<lb/>
daß die Frachten vertheuert werden, wenn die Arbeit zwischen den Bahnverwal¬<lb/>
tungen und den Spediteuren getheilt wird. Diese Befürchtung klingt eigenthüm¬<lb/>
lich im Munde Jemandes, der für die Interessen des Zwischenhandels platirt.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0251] lehr verspreche er sich keinen Vortheil; statt einer Hand wollten dann zwei an dem Frachtgut verdienen, und während das Publieum jetzt auf die Eisen¬ bahntarife durch die Generalversammlungen, bei den Staatsbahnen durch die Landtage wenigstens einigen Einfluß ausübe, würden sich dann Consortien von Spediteuren bilden, welche allen Segen der Concurrenz illusorisch mach¬ ten — vorausgesetzt daß man überhaupt die Eisenbahnen zwingen könne sich einen solchen Eingriff gefallen zu lassen. Zur Unterstützung seines gegen übermäßige Disparitäten gerichteten Antrags bezieht Redner sich auf folgen¬ des in der That drastische Beispiel. Ein Mannheimer Haus hat 100 Ctr. Kaffee von Amsterdam bezogen und verkauft sie weiter nach Wien. Um nun den billigsten Transport zu wählen, muß es sie nach Amsterdam zurück und von da nach Wien dirigiren; auf diese Weise werden gegenüber der directen Fracht nach Wien noch 24 Kreuzer erspart! Unter solchen Unbillig- keiten müsse der Zwischenhandel zu Grunde gehen. Der Handelstag solle wenigstens die öffentliche Meinung aufklären. Den Einpfennigtarif empfiehlt Redner als das dem jetzigen Bedürfniß Entsprechende. Dagegen warnt Stephan-Königsberg eindringlich, nicht wieder den in Frankfurt a. M. eingeschlagenen Weg zu betreten: „Eisenbahn-Verwaltungen und Regierungen haben,sich an die dortigen Beschlüsse über die Fracht-Disparitäten schlechter¬ dings nicht gekehrt und selbst die Presse hat sie schließlich nur verurtheilt." Aus dem sonstigen Inhalt der Debatte mag noch ein Beispiel für das willkürliche Verfahren der Eisenbahn-Verwaltungen hier Platz finden, welches sehr o or-Leipzig zur Begründung eines von der dortigen Handelskammer gestellten, die Lieferfristen betreffenden Antrags mittheilte. Für den Be¬ ginn der Lieferfrist ist nach dem Vereins-Güter-Reglement die Abstempelung des Frachtbriefes maßgebend. Um nun mit der Lieferfrist nicht in Collision zu kommen, läßt die Verwaltung einfach den Frachtbrief nicht eher abstem¬ peln, als bis es ihr bequem ist das Gut abzusenden. In dem fraglichen Falle war das Gut am 18. Februar zur Beförderung ausgegeben und erst am 7. März an dem nur wenige Meilen entfernten Bestimmungsorte ange¬ kommen. Die Ztägige Lieferzeit war trotzdem bestens gewahrt: der Fracht¬ brief war erst am 5. März abgestempelt! Der Antrag Leipzig wurde vom Refer enden im Schlußvortrag acceptirt. Dagegen konnte er sich mit den Moll'schen Anträgen durchaus nicht befreunden und übte an dessen Einwendungen gegen die Unterscheidung zwischen Fahrverkehr und Frachtverkehr eine scharfe Antikritik. „Der geehrte Redner" sagte er, „meint daß die Frachten vertheuert werden, wenn die Arbeit zwischen den Bahnverwal¬ tungen und den Spediteuren getheilt wird. Diese Befürchtung klingt eigenthüm¬ lich im Munde Jemandes, der für die Interessen des Zwischenhandels platirt.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/251
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/251>, abgerufen am 05.02.2025.