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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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den Feldzug ohne festen Plan und uneinig in sich begonnen und demzufolge
eine Niederlage nach der andern erlitten.

Am 18. März brachte der Schatzkanzler nun endlich die Bill ein, welche
der Ausgangspunkt der Reform ward. In Städten sollte Jeder wahlberech¬
tigt sein, der ein Haus zwei Jahre bewohnt hat und seine Gemeindesteuern
selbst bezahlt, ebenso 1) wer 20 Shilling directe Steuern zahlt (falls derselbe
schon wahlberechtigt als Haushalter ist, erhält er eine doppelte Stimme), 2)
wer 50 Pfd. Sterl. in Sparcassen oder Fonds hat und 3) wer gewisse
wissenschaftliche Prüfungen bestanden. Auf diese Weise behauptete Disraeli
würde die Zahl der Wahlberechtigten in Städten um 237,000 und in den
Grafschaften, wo die Qualification von 30 auf 20 Pfd. Sterl. herabgesetzt
werden sollte, um 300,000 vermehrt werden. Dies beruhte nun wie Glad-
stone ihm sofort bewies auf ganz falsch gruppirten Zahlen, er hatte einfach
angenommen, daß Jeder, der nicht eompouvä Kouselwlcler sei, d. h. nicht wie
oben erwähnt seine Gemeindeabgaben durch den Eigenthümer in der Miethe ent¬
richte, sie selbst bezahle, während es eine Menge von Leuten gibt, die ein
Haus oder eine Hütte bewohnen und- aus Armuth gar keine Abgaben be¬
zahlen oder selbst Unterstützung erhalten; statt 237.000, meinte Gladstone,
würden nur 147,000 neuberechtigt werden, bei genauerer Rechnung ergaben
sich nur 118.000.

Als noch ungerechter aber wies der Führer der Opposition das Ver¬
fahren gegen die eompounä KouseKoläers nach, deren ganze Classe durch das
Prinzip der Regierungsbill, welches persönliche Steuerzahlung verlangte, aus¬
geschlossen werde, zu der aber gerade die intelligentesten Arbeiter gehörten.
Dazu komme, daß dies Prinzip an verschiedenen Orten ganz verschieden
wirken müsse, denn in manchen Städten wie z. B. Sheffield kenne man das
System des eoMpouncling gar nicht, in andern z. B. Brighton sei es all¬
gemein, dort würde also fast jeder Haushalter, wenn er auch nur 1 Shilling
Abgaben zahle, Wähler werden, hier würde die Wählerschaft durch die Bill
um vierzehn Köpfe erweitert werden. Ja die Ungleichheit gehe so weit, daß
in derselben Stadt ein Kirchspiel jene Abschlagszahlung eingeführt, das andere
nicht; so würden von jwei Leuten, die in ganz gleichen Verhältnissen in der¬
selben Straße wohnten, der eine Wähler werden, der andere nicht. Außer¬
dem werde dies System der Bestechung Thor und Thür öffnen, denn die
Candidaten würden durch Agenten die Gemeindesteuern für die Wähler be¬
zahlen -- ein Verfahren, das leicht so gehandhabt werden könne, daß es
sich jeder gesetzlichen Verfolgung entziehe -- und die ganze Wählerrolle werde
abhängig von den Gemeindebeamten, welche die Steuern einsammelten.
Schließlich führte Gladstone aus, daß die ganze Methode die Wahlberechtigung
auf die Gemeindeabschätzung (rating) zu gründen eine falsche sei, sie besitze


den Feldzug ohne festen Plan und uneinig in sich begonnen und demzufolge
eine Niederlage nach der andern erlitten.

Am 18. März brachte der Schatzkanzler nun endlich die Bill ein, welche
der Ausgangspunkt der Reform ward. In Städten sollte Jeder wahlberech¬
tigt sein, der ein Haus zwei Jahre bewohnt hat und seine Gemeindesteuern
selbst bezahlt, ebenso 1) wer 20 Shilling directe Steuern zahlt (falls derselbe
schon wahlberechtigt als Haushalter ist, erhält er eine doppelte Stimme), 2)
wer 50 Pfd. Sterl. in Sparcassen oder Fonds hat und 3) wer gewisse
wissenschaftliche Prüfungen bestanden. Auf diese Weise behauptete Disraeli
würde die Zahl der Wahlberechtigten in Städten um 237,000 und in den
Grafschaften, wo die Qualification von 30 auf 20 Pfd. Sterl. herabgesetzt
werden sollte, um 300,000 vermehrt werden. Dies beruhte nun wie Glad-
stone ihm sofort bewies auf ganz falsch gruppirten Zahlen, er hatte einfach
angenommen, daß Jeder, der nicht eompouvä Kouselwlcler sei, d. h. nicht wie
oben erwähnt seine Gemeindeabgaben durch den Eigenthümer in der Miethe ent¬
richte, sie selbst bezahle, während es eine Menge von Leuten gibt, die ein
Haus oder eine Hütte bewohnen und- aus Armuth gar keine Abgaben be¬
zahlen oder selbst Unterstützung erhalten; statt 237.000, meinte Gladstone,
würden nur 147,000 neuberechtigt werden, bei genauerer Rechnung ergaben
sich nur 118.000.

Als noch ungerechter aber wies der Führer der Opposition das Ver¬
fahren gegen die eompounä KouseKoläers nach, deren ganze Classe durch das
Prinzip der Regierungsbill, welches persönliche Steuerzahlung verlangte, aus¬
geschlossen werde, zu der aber gerade die intelligentesten Arbeiter gehörten.
Dazu komme, daß dies Prinzip an verschiedenen Orten ganz verschieden
wirken müsse, denn in manchen Städten wie z. B. Sheffield kenne man das
System des eoMpouncling gar nicht, in andern z. B. Brighton sei es all¬
gemein, dort würde also fast jeder Haushalter, wenn er auch nur 1 Shilling
Abgaben zahle, Wähler werden, hier würde die Wählerschaft durch die Bill
um vierzehn Köpfe erweitert werden. Ja die Ungleichheit gehe so weit, daß
in derselben Stadt ein Kirchspiel jene Abschlagszahlung eingeführt, das andere
nicht; so würden von jwei Leuten, die in ganz gleichen Verhältnissen in der¬
selben Straße wohnten, der eine Wähler werden, der andere nicht. Außer¬
dem werde dies System der Bestechung Thor und Thür öffnen, denn die
Candidaten würden durch Agenten die Gemeindesteuern für die Wähler be¬
zahlen — ein Verfahren, das leicht so gehandhabt werden könne, daß es
sich jeder gesetzlichen Verfolgung entziehe — und die ganze Wählerrolle werde
abhängig von den Gemeindebeamten, welche die Steuern einsammelten.
Schließlich führte Gladstone aus, daß die ganze Methode die Wahlberechtigung
auf die Gemeindeabschätzung (rating) zu gründen eine falsche sei, sie besitze


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/226>, abgerufen am 05.02.2025.