Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

Bild:
<< vorherige Seite

halsbrechend erscheint der Versuch dieser Reform, auch wenn die Führer aller
liberalen Parteien zusammenstehen und es über sich gewinnen untereinander
Frieden zu halten.

Daß der Waffenstillstand bis zu ausgemachter Sache, den die Parteiführer
einander gelobt haben, von Dauer sein werde, kann aber nicht einmal gehofft
werden. An der Spitze der Regierung stehen ehrgeizige, in Militärverschwö¬
rungen und Pronunciamientos ergraute Generale, die die Süßigkeit der Macht
zu genau kennen, um auf die Ausübung derselben zu Gunsten des Vater¬
landes und der gemeinen Sache verzichten zu wollen. Dazu kommen die
Schwierigkeiten, die künftige Regierungsform durch ein Volk feststellen zu
lassen, dessen Majorität weder lesen noch schreiben kann, Aberglauben mit
Religiosität, Gehorsam gegen seine Priester mit Moralität, Zuchtlosigkeit
mit Freiheit, Bildung mit Losgebundenheit von jeder Autorität verwechselt.
Die verschiedenen Candidaturen. welche für Wiederbesetzung des erledig¬
ten Throns in Vorschlag gebracht wurden, sind in diesen Blättern wieder-
dolt und ausführlich erörtert worden -- unter den vielen ist keine, der nicht
Bedenken und Hindernisse der mannigfachsten Art entgegenstünden. Die
monarchisch-constitutionelle Partei hat dem Andringen der zahlreichen Re-
Publicaner keinen einzigen wahrhaft populären Namen entgegenzuhalten und
für eine Monarchie ohne bestimmten Monarchen Propaganda zu machen ist ein
aussichtsloses Unternehmen. Bezeichnend genug ist, daß selbst von den Gliedern
der provisorischen Regierung keines eine bestimmte Candidatur vertritt, ob¬
gleich alle für monarchisch gesinnt gelten wollen. Nicht einmal von Prim,
dem bekanntesten unter den Revolutionsmännern, steht fest, ob er für Mont-
pensier, Dom Luis oder für den Prinzen Alfred von England arbeitet; seine
im Gaulois abgegebene Erklärung, daß er selbst von allen ehrgeizigen Wün¬
schen frei sei, läßt sogar darauf schließen, daß dieser kühne Abenteurer mehr
von der Ehrsucht eines Wallenstein oder Cromwell, als von der Uneigen-
nützigkeit Washington's und Cavaignac's habe. Daß die Candidatur eines
spanischen Bürgers aber mit tödlichem Parteikampf identisch wäre, kann
Niemand zweifelhaft sein. Topete, Serrano und die übrigen Heerkönige
werden schwerlich länger tugendhaft zu bleiben vermögen, als der Graf
von Reus.

Die Frage, auf welche es zunächst ankommen wird, wird die sein, ob der
allgemeinen Volksabstimmung constituirende Cortes vorhergehen oder nicht, und
ob diese im Stande sein werden, die eigentliche Entscheidung in den Händen
zu behalten. Das phrasenreiche Manifest der provisorischen Regierung, welches
am 20. Oetober in Form eines Rundschreibens an die diplomatischen Agenten
veröffentlicht worden, spricht sich im Sinne der letzten Eventualität aus, aber
ziemlich verhüllt und ängstlich. Auch die an die provisorische Negierung ge-


24*

halsbrechend erscheint der Versuch dieser Reform, auch wenn die Führer aller
liberalen Parteien zusammenstehen und es über sich gewinnen untereinander
Frieden zu halten.

Daß der Waffenstillstand bis zu ausgemachter Sache, den die Parteiführer
einander gelobt haben, von Dauer sein werde, kann aber nicht einmal gehofft
werden. An der Spitze der Regierung stehen ehrgeizige, in Militärverschwö¬
rungen und Pronunciamientos ergraute Generale, die die Süßigkeit der Macht
zu genau kennen, um auf die Ausübung derselben zu Gunsten des Vater¬
landes und der gemeinen Sache verzichten zu wollen. Dazu kommen die
Schwierigkeiten, die künftige Regierungsform durch ein Volk feststellen zu
lassen, dessen Majorität weder lesen noch schreiben kann, Aberglauben mit
Religiosität, Gehorsam gegen seine Priester mit Moralität, Zuchtlosigkeit
mit Freiheit, Bildung mit Losgebundenheit von jeder Autorität verwechselt.
Die verschiedenen Candidaturen. welche für Wiederbesetzung des erledig¬
ten Throns in Vorschlag gebracht wurden, sind in diesen Blättern wieder-
dolt und ausführlich erörtert worden — unter den vielen ist keine, der nicht
Bedenken und Hindernisse der mannigfachsten Art entgegenstünden. Die
monarchisch-constitutionelle Partei hat dem Andringen der zahlreichen Re-
Publicaner keinen einzigen wahrhaft populären Namen entgegenzuhalten und
für eine Monarchie ohne bestimmten Monarchen Propaganda zu machen ist ein
aussichtsloses Unternehmen. Bezeichnend genug ist, daß selbst von den Gliedern
der provisorischen Regierung keines eine bestimmte Candidatur vertritt, ob¬
gleich alle für monarchisch gesinnt gelten wollen. Nicht einmal von Prim,
dem bekanntesten unter den Revolutionsmännern, steht fest, ob er für Mont-
pensier, Dom Luis oder für den Prinzen Alfred von England arbeitet; seine
im Gaulois abgegebene Erklärung, daß er selbst von allen ehrgeizigen Wün¬
schen frei sei, läßt sogar darauf schließen, daß dieser kühne Abenteurer mehr
von der Ehrsucht eines Wallenstein oder Cromwell, als von der Uneigen-
nützigkeit Washington's und Cavaignac's habe. Daß die Candidatur eines
spanischen Bürgers aber mit tödlichem Parteikampf identisch wäre, kann
Niemand zweifelhaft sein. Topete, Serrano und die übrigen Heerkönige
werden schwerlich länger tugendhaft zu bleiben vermögen, als der Graf
von Reus.

Die Frage, auf welche es zunächst ankommen wird, wird die sein, ob der
allgemeinen Volksabstimmung constituirende Cortes vorhergehen oder nicht, und
ob diese im Stande sein werden, die eigentliche Entscheidung in den Händen
zu behalten. Das phrasenreiche Manifest der provisorischen Regierung, welches
am 20. Oetober in Form eines Rundschreibens an die diplomatischen Agenten
veröffentlicht worden, spricht sich im Sinne der letzten Eventualität aus, aber
ziemlich verhüllt und ängstlich. Auch die an die provisorische Negierung ge-


24*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0205" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/287477"/>
          <p xml:id="ID_534" prev="#ID_533"> halsbrechend erscheint der Versuch dieser Reform, auch wenn die Führer aller<lb/>
liberalen Parteien zusammenstehen und es über sich gewinnen untereinander<lb/>
Frieden zu halten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_535"> Daß der Waffenstillstand bis zu ausgemachter Sache, den die Parteiführer<lb/>
einander gelobt haben, von Dauer sein werde, kann aber nicht einmal gehofft<lb/>
werden. An der Spitze der Regierung stehen ehrgeizige, in Militärverschwö¬<lb/>
rungen und Pronunciamientos ergraute Generale, die die Süßigkeit der Macht<lb/>
zu genau kennen, um auf die Ausübung derselben zu Gunsten des Vater¬<lb/>
landes und der gemeinen Sache verzichten zu wollen. Dazu kommen die<lb/>
Schwierigkeiten, die künftige Regierungsform durch ein Volk feststellen zu<lb/>
lassen, dessen Majorität weder lesen noch schreiben kann, Aberglauben mit<lb/>
Religiosität, Gehorsam gegen seine Priester mit Moralität, Zuchtlosigkeit<lb/>
mit Freiheit, Bildung mit Losgebundenheit von jeder Autorität verwechselt.<lb/>
Die verschiedenen Candidaturen. welche für Wiederbesetzung des erledig¬<lb/>
ten Throns in Vorschlag gebracht wurden, sind in diesen Blättern wieder-<lb/>
dolt und ausführlich erörtert worden &#x2014; unter den vielen ist keine, der nicht<lb/>
Bedenken und Hindernisse der mannigfachsten Art entgegenstünden. Die<lb/>
monarchisch-constitutionelle Partei hat dem Andringen der zahlreichen Re-<lb/>
Publicaner keinen einzigen wahrhaft populären Namen entgegenzuhalten und<lb/>
für eine Monarchie ohne bestimmten Monarchen Propaganda zu machen ist ein<lb/>
aussichtsloses Unternehmen. Bezeichnend genug ist, daß selbst von den Gliedern<lb/>
der provisorischen Regierung keines eine bestimmte Candidatur vertritt, ob¬<lb/>
gleich alle für monarchisch gesinnt gelten wollen. Nicht einmal von Prim,<lb/>
dem bekanntesten unter den Revolutionsmännern, steht fest, ob er für Mont-<lb/>
pensier, Dom Luis oder für den Prinzen Alfred von England arbeitet; seine<lb/>
im Gaulois abgegebene Erklärung, daß er selbst von allen ehrgeizigen Wün¬<lb/>
schen frei sei, läßt sogar darauf schließen, daß dieser kühne Abenteurer mehr<lb/>
von der Ehrsucht eines Wallenstein oder Cromwell, als von der Uneigen-<lb/>
nützigkeit Washington's und Cavaignac's habe. Daß die Candidatur eines<lb/>
spanischen Bürgers aber mit tödlichem Parteikampf identisch wäre, kann<lb/>
Niemand zweifelhaft sein. Topete, Serrano und die übrigen Heerkönige<lb/>
werden schwerlich länger tugendhaft zu bleiben vermögen, als der Graf<lb/>
von Reus.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_536" next="#ID_537"> Die Frage, auf welche es zunächst ankommen wird, wird die sein, ob der<lb/>
allgemeinen Volksabstimmung constituirende Cortes vorhergehen oder nicht, und<lb/>
ob diese im Stande sein werden, die eigentliche Entscheidung in den Händen<lb/>
zu behalten. Das phrasenreiche Manifest der provisorischen Regierung, welches<lb/>
am 20. Oetober in Form eines Rundschreibens an die diplomatischen Agenten<lb/>
veröffentlicht worden, spricht sich im Sinne der letzten Eventualität aus, aber<lb/>
ziemlich verhüllt und ängstlich. Auch die an die provisorische Negierung ge-</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 24*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0205] halsbrechend erscheint der Versuch dieser Reform, auch wenn die Führer aller liberalen Parteien zusammenstehen und es über sich gewinnen untereinander Frieden zu halten. Daß der Waffenstillstand bis zu ausgemachter Sache, den die Parteiführer einander gelobt haben, von Dauer sein werde, kann aber nicht einmal gehofft werden. An der Spitze der Regierung stehen ehrgeizige, in Militärverschwö¬ rungen und Pronunciamientos ergraute Generale, die die Süßigkeit der Macht zu genau kennen, um auf die Ausübung derselben zu Gunsten des Vater¬ landes und der gemeinen Sache verzichten zu wollen. Dazu kommen die Schwierigkeiten, die künftige Regierungsform durch ein Volk feststellen zu lassen, dessen Majorität weder lesen noch schreiben kann, Aberglauben mit Religiosität, Gehorsam gegen seine Priester mit Moralität, Zuchtlosigkeit mit Freiheit, Bildung mit Losgebundenheit von jeder Autorität verwechselt. Die verschiedenen Candidaturen. welche für Wiederbesetzung des erledig¬ ten Throns in Vorschlag gebracht wurden, sind in diesen Blättern wieder- dolt und ausführlich erörtert worden — unter den vielen ist keine, der nicht Bedenken und Hindernisse der mannigfachsten Art entgegenstünden. Die monarchisch-constitutionelle Partei hat dem Andringen der zahlreichen Re- Publicaner keinen einzigen wahrhaft populären Namen entgegenzuhalten und für eine Monarchie ohne bestimmten Monarchen Propaganda zu machen ist ein aussichtsloses Unternehmen. Bezeichnend genug ist, daß selbst von den Gliedern der provisorischen Regierung keines eine bestimmte Candidatur vertritt, ob¬ gleich alle für monarchisch gesinnt gelten wollen. Nicht einmal von Prim, dem bekanntesten unter den Revolutionsmännern, steht fest, ob er für Mont- pensier, Dom Luis oder für den Prinzen Alfred von England arbeitet; seine im Gaulois abgegebene Erklärung, daß er selbst von allen ehrgeizigen Wün¬ schen frei sei, läßt sogar darauf schließen, daß dieser kühne Abenteurer mehr von der Ehrsucht eines Wallenstein oder Cromwell, als von der Uneigen- nützigkeit Washington's und Cavaignac's habe. Daß die Candidatur eines spanischen Bürgers aber mit tödlichem Parteikampf identisch wäre, kann Niemand zweifelhaft sein. Topete, Serrano und die übrigen Heerkönige werden schwerlich länger tugendhaft zu bleiben vermögen, als der Graf von Reus. Die Frage, auf welche es zunächst ankommen wird, wird die sein, ob der allgemeinen Volksabstimmung constituirende Cortes vorhergehen oder nicht, und ob diese im Stande sein werden, die eigentliche Entscheidung in den Händen zu behalten. Das phrasenreiche Manifest der provisorischen Regierung, welches am 20. Oetober in Form eines Rundschreibens an die diplomatischen Agenten veröffentlicht worden, spricht sich im Sinne der letzten Eventualität aus, aber ziemlich verhüllt und ängstlich. Auch die an die provisorische Negierung ge- 24*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/205
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/205>, abgerufen am 11.02.2025.