Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.wahrhafter Luxus nach langer Entbehrung. Ich hatte mich schon seit vier Alle sechs Wochen besichtigten uns auf Befehl des Kaisers seine General- Am 13. Mai weckte mich der Platzadjutant Nikolajew früh Morgens; In einer Minute war ich gekleidet und wollte den Barbier nicht ab¬ wahrhafter Luxus nach langer Entbehrung. Ich hatte mich schon seit vier Alle sechs Wochen besichtigten uns auf Befehl des Kaisers seine General- Am 13. Mai weckte mich der Platzadjutant Nikolajew früh Morgens; In einer Minute war ich gekleidet und wollte den Barbier nicht ab¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0192" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/287464"/> <p xml:id="ID_503" prev="#ID_502"> wahrhafter Luxus nach langer Entbehrung. Ich hatte mich schon seit vier<lb/> Jahren der Pfeife entwöhnt, jetzt fing ich an, mit desto größerem Genuß<lb/> zu rauchen, um zugleich wo möglich die schädliche, feuchte und unreine Luft<lb/> um mich herum zu verscheuchen. Meine Frau hatte mir die Stunden der<lb/> Andacht von Zschokke übersandt; drei Bände, in denen Betrachtungen über<lb/> die Kriegsjahre von 1812, 1813 und 1814 enthalten waren, wurden von<lb/> der Censur unserer Untersuchungscommission nicht ausgeliefert. Durch die<lb/> Bekanntschaft des Onkels meiner Frau mit dem Commandanten sulln<lb/> hatte ich auch Schnupftabak und ein Dutzend Taschentücher bekommen.<lb/> Ich fragte einst den Platzadjutanten Nikolajew, ob meine Kamerad auch<lb/> Tabak, Bücher und Wäsche von ihren Verwandten bekämen? — Er ant¬<lb/> wortete: „Nur diejenigen, die in Petersburg Verwandte oder Bekannte haben"<lb/> und erzählte weiter, daß er gestern dem Obristen M. T. Mitkow ein Bündel<lb/> mit Wäsche und englischer Flanelldecke gebracht habe; als aber Mitkow er¬<lb/> fuhr, daß nicht alle von den Eingekerkerten dieser Begünstigungen theilhaft<lb/> würden, band er das Bündel wieder zusammen und erklärte, daß auch er<lb/> dieser Sachen entbehren könne. Nach langen Leiden ist'er in Verbannung<lb/> zu Krasnojarsk im Jahre 1860 gestorben.</p><lb/> <p xml:id="ID_504"> Alle sechs Wochen besichtigten uns auf Befehl des Kaisers seine General-<lb/> adjutcmten Sasonow, Strekalow und Martynow. Letzterer empfahl mich<lb/> dem ihn begleitenden Commandanten, und erinnerte daran, daß der Kaiser<lb/> mich früher ausgezeichnet habe.</p><lb/> <p xml:id="ID_505"> Am 13. Mai weckte mich der Platzadjutant Nikolajew früh Morgens;<lb/> im Corridor erscholl seine Stimme, man solle geschwind den Barbier herbei¬<lb/> schaffen. „Soll ich wieder in die Commission geführt werden?" „Nein, im<lb/> Hause des Commandanten erwartet Sie eine große Freude; Ihre Gemahlin<lb/> hat die Erlaubniß erhalten, Sie zu sprechen."</p><lb/> <p xml:id="ID_506" next="#ID_507"> In einer Minute war ich gekleidet und wollte den Barbier nicht ab¬<lb/> warten. — Wir eilten hinaus — helle brennende Sonnenstrahlen blendeten<lb/> meine Augen; eine milde, balsamische Luft stärkte mich. Vor der Gefängni߬<lb/> thür begrüßte mich wein Diener Michail; auf dem Vorhofe stand mein<lb/> Wagen, und als mein Kutscher Wassily mich erkannte, rückte er mit den<lb/> Rappen vor, fuhr im Kreise herum und zeigte mir die gute Haltung der<lb/> Pferde. — In der Kommandantur umarmte ich meine Frau, sie war in<lb/> tiefe Trauer gekleidet — meine Mutter war während meiner Gefangen¬<lb/> schaft gestorben. Ihr Aeußeres, ihre Worte, ihre Stimme erfreuten und<lb/> trösteten mich. Während unserer Zusammenkunft war der Festungscomman--<lb/> baut Generaladjutant sulln immer zugegen, daher konnte die Unterhaltung<lb/> nicht offenherzig sein, und nur Verwandtschafts - und Familienverhältnisse be¬<lb/> rühren. Durch Vermittelung des Generaladjutanten V. V. Lewaschow hatte</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0192]
wahrhafter Luxus nach langer Entbehrung. Ich hatte mich schon seit vier
Jahren der Pfeife entwöhnt, jetzt fing ich an, mit desto größerem Genuß
zu rauchen, um zugleich wo möglich die schädliche, feuchte und unreine Luft
um mich herum zu verscheuchen. Meine Frau hatte mir die Stunden der
Andacht von Zschokke übersandt; drei Bände, in denen Betrachtungen über
die Kriegsjahre von 1812, 1813 und 1814 enthalten waren, wurden von
der Censur unserer Untersuchungscommission nicht ausgeliefert. Durch die
Bekanntschaft des Onkels meiner Frau mit dem Commandanten sulln
hatte ich auch Schnupftabak und ein Dutzend Taschentücher bekommen.
Ich fragte einst den Platzadjutanten Nikolajew, ob meine Kamerad auch
Tabak, Bücher und Wäsche von ihren Verwandten bekämen? — Er ant¬
wortete: „Nur diejenigen, die in Petersburg Verwandte oder Bekannte haben"
und erzählte weiter, daß er gestern dem Obristen M. T. Mitkow ein Bündel
mit Wäsche und englischer Flanelldecke gebracht habe; als aber Mitkow er¬
fuhr, daß nicht alle von den Eingekerkerten dieser Begünstigungen theilhaft
würden, band er das Bündel wieder zusammen und erklärte, daß auch er
dieser Sachen entbehren könne. Nach langen Leiden ist'er in Verbannung
zu Krasnojarsk im Jahre 1860 gestorben.
Alle sechs Wochen besichtigten uns auf Befehl des Kaisers seine General-
adjutcmten Sasonow, Strekalow und Martynow. Letzterer empfahl mich
dem ihn begleitenden Commandanten, und erinnerte daran, daß der Kaiser
mich früher ausgezeichnet habe.
Am 13. Mai weckte mich der Platzadjutant Nikolajew früh Morgens;
im Corridor erscholl seine Stimme, man solle geschwind den Barbier herbei¬
schaffen. „Soll ich wieder in die Commission geführt werden?" „Nein, im
Hause des Commandanten erwartet Sie eine große Freude; Ihre Gemahlin
hat die Erlaubniß erhalten, Sie zu sprechen."
In einer Minute war ich gekleidet und wollte den Barbier nicht ab¬
warten. — Wir eilten hinaus — helle brennende Sonnenstrahlen blendeten
meine Augen; eine milde, balsamische Luft stärkte mich. Vor der Gefängni߬
thür begrüßte mich wein Diener Michail; auf dem Vorhofe stand mein
Wagen, und als mein Kutscher Wassily mich erkannte, rückte er mit den
Rappen vor, fuhr im Kreise herum und zeigte mir die gute Haltung der
Pferde. — In der Kommandantur umarmte ich meine Frau, sie war in
tiefe Trauer gekleidet — meine Mutter war während meiner Gefangen¬
schaft gestorben. Ihr Aeußeres, ihre Worte, ihre Stimme erfreuten und
trösteten mich. Während unserer Zusammenkunft war der Festungscomman--
baut Generaladjutant sulln immer zugegen, daher konnte die Unterhaltung
nicht offenherzig sein, und nur Verwandtschafts - und Familienverhältnisse be¬
rühren. Durch Vermittelung des Generaladjutanten V. V. Lewaschow hatte
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |