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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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bleibt nur, wie er und seine Genossen überhaupt in ein Wagstück verflochten
wurden, dessen unglücklicher Ausgang von Hause aus ziemlich zweifellos ge¬
wesen war. '

Nach der zweiten Einnahme von Paris hatten russische und preußische
Besatzungstruppen Jahre lang in Frankreich gestanden. Während das
preußische Offizierscorps, dessen Glieder zum Adel gehörten, von tiefgewurzelten
Franzosenhaß, zuweilen auch von lebhafter Abneigung gegen die französischen
Revolutionsideen durchdrungen war und nur den Wunsch nährte, in die Hei¬
math und die alten Verhältnisse zurückkehren zu können, hatten auf die Russen
die Jahre des Aufenthalts auf französischer Erde in durchaus anderer Weise
gewirkt. Für den jungen russischen Adel namentlich der Garderegimenter war
der französisch-deutsche Feldzug mit dem Eintritt in eine Culturwelt identisch
gewesen, von der bis dazu nur Einzelne nähere Kunde gehabt hatten. Unter
einem milderen Himmel, inmitten neuer Verhältnisse, welche das Gepräge einer
höheren Cultur trugen, unter dem Einfluß sanfterer Sitten und humanerer
Lebensanschauungen gewannen die Offiziere Rußlands neue Gesichtspunkte
für die Beurtheilung der Zustände des Heimathlandes. Den jungen Män¬
nern, welche den größten Theil ihres Lebens in der Eintönigkeit entfernter
russischer Provinzialstädte oder im bacchantischen Taumel der Petersburger
Feste verbracht hatten, ging am blühenden Strand der Loire und Garonne
eine neue schönere Welt auf, deren Zauber sie sich mit Entzücken Hingaben. Die
Muße eines bloßen Besatzungsdienstes, die großen Entfernungen, durch welche
die einzelnen Truppenabtheilungen von einander getrennt waren, verstatteten
eine Freiheit der Bewegung, wie man sie bisher kaum geahnt hatte. Die
politischen Parteikämpfe, welche Frankreich erfüllten, fanden an den jungen
Fremdlingen aufmerksame und gelehrige Zuschauer. Gerade die tüchtigeren
und strebsameren Elemente der russischen Garde sogen die Ideen von Bür-
gerthum, Freiheit und Verfassungsrecht mit Begeisterung ein und vertieften
sich mit Leidenschaft und Bewunderung in das Leben des Volks, zu dessen
Bekämpfung sie aus dem fernen Osten herangezogen waren. In mehr wie
einer Brust lebte der Gedanke, ob es denn nicht möglich sein werde, die
ferne Heimath der gleichen Wohlthaten theilhaft zu machen und mit der warmen
Begeisterung der Jugend setzte man über die tiefe Kluft hinweg, welche
zwischen den russischen und den französischen Bildungsvoraussetzungen lag.
Als die Jahre des Aufenthalts in Frankreich vorüber waren, zog die Blüthe
des Offiziercorps der Garde mit der Absicht nach Hause, Frankreich nach
Nußland zu importiren. Es bildeten sich zunächst in der Mehrzahl der
besseren Regimenter Freimaurerlogen von rein politischer Färbung; als diese
aufgelöst und verboten wurden, fanden ihre Glieder sich in geheimen Gesell¬
schaften zusammen, die unter den Namen "Bund des Nordens", "Bund des


Grenzboten IV. 18KS. 22

bleibt nur, wie er und seine Genossen überhaupt in ein Wagstück verflochten
wurden, dessen unglücklicher Ausgang von Hause aus ziemlich zweifellos ge¬
wesen war. '

Nach der zweiten Einnahme von Paris hatten russische und preußische
Besatzungstruppen Jahre lang in Frankreich gestanden. Während das
preußische Offizierscorps, dessen Glieder zum Adel gehörten, von tiefgewurzelten
Franzosenhaß, zuweilen auch von lebhafter Abneigung gegen die französischen
Revolutionsideen durchdrungen war und nur den Wunsch nährte, in die Hei¬
math und die alten Verhältnisse zurückkehren zu können, hatten auf die Russen
die Jahre des Aufenthalts auf französischer Erde in durchaus anderer Weise
gewirkt. Für den jungen russischen Adel namentlich der Garderegimenter war
der französisch-deutsche Feldzug mit dem Eintritt in eine Culturwelt identisch
gewesen, von der bis dazu nur Einzelne nähere Kunde gehabt hatten. Unter
einem milderen Himmel, inmitten neuer Verhältnisse, welche das Gepräge einer
höheren Cultur trugen, unter dem Einfluß sanfterer Sitten und humanerer
Lebensanschauungen gewannen die Offiziere Rußlands neue Gesichtspunkte
für die Beurtheilung der Zustände des Heimathlandes. Den jungen Män¬
nern, welche den größten Theil ihres Lebens in der Eintönigkeit entfernter
russischer Provinzialstädte oder im bacchantischen Taumel der Petersburger
Feste verbracht hatten, ging am blühenden Strand der Loire und Garonne
eine neue schönere Welt auf, deren Zauber sie sich mit Entzücken Hingaben. Die
Muße eines bloßen Besatzungsdienstes, die großen Entfernungen, durch welche
die einzelnen Truppenabtheilungen von einander getrennt waren, verstatteten
eine Freiheit der Bewegung, wie man sie bisher kaum geahnt hatte. Die
politischen Parteikämpfe, welche Frankreich erfüllten, fanden an den jungen
Fremdlingen aufmerksame und gelehrige Zuschauer. Gerade die tüchtigeren
und strebsameren Elemente der russischen Garde sogen die Ideen von Bür-
gerthum, Freiheit und Verfassungsrecht mit Begeisterung ein und vertieften
sich mit Leidenschaft und Bewunderung in das Leben des Volks, zu dessen
Bekämpfung sie aus dem fernen Osten herangezogen waren. In mehr wie
einer Brust lebte der Gedanke, ob es denn nicht möglich sein werde, die
ferne Heimath der gleichen Wohlthaten theilhaft zu machen und mit der warmen
Begeisterung der Jugend setzte man über die tiefe Kluft hinweg, welche
zwischen den russischen und den französischen Bildungsvoraussetzungen lag.
Als die Jahre des Aufenthalts in Frankreich vorüber waren, zog die Blüthe
des Offiziercorps der Garde mit der Absicht nach Hause, Frankreich nach
Nußland zu importiren. Es bildeten sich zunächst in der Mehrzahl der
besseren Regimenter Freimaurerlogen von rein politischer Färbung; als diese
aufgelöst und verboten wurden, fanden ihre Glieder sich in geheimen Gesell¬
schaften zusammen, die unter den Namen „Bund des Nordens", „Bund des


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[0187] bleibt nur, wie er und seine Genossen überhaupt in ein Wagstück verflochten wurden, dessen unglücklicher Ausgang von Hause aus ziemlich zweifellos ge¬ wesen war. ' Nach der zweiten Einnahme von Paris hatten russische und preußische Besatzungstruppen Jahre lang in Frankreich gestanden. Während das preußische Offizierscorps, dessen Glieder zum Adel gehörten, von tiefgewurzelten Franzosenhaß, zuweilen auch von lebhafter Abneigung gegen die französischen Revolutionsideen durchdrungen war und nur den Wunsch nährte, in die Hei¬ math und die alten Verhältnisse zurückkehren zu können, hatten auf die Russen die Jahre des Aufenthalts auf französischer Erde in durchaus anderer Weise gewirkt. Für den jungen russischen Adel namentlich der Garderegimenter war der französisch-deutsche Feldzug mit dem Eintritt in eine Culturwelt identisch gewesen, von der bis dazu nur Einzelne nähere Kunde gehabt hatten. Unter einem milderen Himmel, inmitten neuer Verhältnisse, welche das Gepräge einer höheren Cultur trugen, unter dem Einfluß sanfterer Sitten und humanerer Lebensanschauungen gewannen die Offiziere Rußlands neue Gesichtspunkte für die Beurtheilung der Zustände des Heimathlandes. Den jungen Män¬ nern, welche den größten Theil ihres Lebens in der Eintönigkeit entfernter russischer Provinzialstädte oder im bacchantischen Taumel der Petersburger Feste verbracht hatten, ging am blühenden Strand der Loire und Garonne eine neue schönere Welt auf, deren Zauber sie sich mit Entzücken Hingaben. Die Muße eines bloßen Besatzungsdienstes, die großen Entfernungen, durch welche die einzelnen Truppenabtheilungen von einander getrennt waren, verstatteten eine Freiheit der Bewegung, wie man sie bisher kaum geahnt hatte. Die politischen Parteikämpfe, welche Frankreich erfüllten, fanden an den jungen Fremdlingen aufmerksame und gelehrige Zuschauer. Gerade die tüchtigeren und strebsameren Elemente der russischen Garde sogen die Ideen von Bür- gerthum, Freiheit und Verfassungsrecht mit Begeisterung ein und vertieften sich mit Leidenschaft und Bewunderung in das Leben des Volks, zu dessen Bekämpfung sie aus dem fernen Osten herangezogen waren. In mehr wie einer Brust lebte der Gedanke, ob es denn nicht möglich sein werde, die ferne Heimath der gleichen Wohlthaten theilhaft zu machen und mit der warmen Begeisterung der Jugend setzte man über die tiefe Kluft hinweg, welche zwischen den russischen und den französischen Bildungsvoraussetzungen lag. Als die Jahre des Aufenthalts in Frankreich vorüber waren, zog die Blüthe des Offiziercorps der Garde mit der Absicht nach Hause, Frankreich nach Nußland zu importiren. Es bildeten sich zunächst in der Mehrzahl der besseren Regimenter Freimaurerlogen von rein politischer Färbung; als diese aufgelöst und verboten wurden, fanden ihre Glieder sich in geheimen Gesell¬ schaften zusammen, die unter den Namen „Bund des Nordens", „Bund des Grenzboten IV. 18KS. 22

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/187>, abgerufen am 05.02.2025.