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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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Dann fragte er weiter: "Seit wann gehören Sie zur geheimen Gesell¬
schaft und wer hat Sie aufgenommen?"

"Ich bin nie Mitglied irgend einer geheimen Gesellschaft gewesen."

"Vielleicht meinen Sie, daß es dazu besonderer Gebräuche oder Cere¬
monien, Zeichen und Bedingungen bedürfte, wie in der Brüderschaft der
Freimaurer; wenn Sie nur das Ziel der Gesellschaft gekannt haben, so sind
Sie Glied derselben gewesen."

"Ich habe schon die Ehre gehabt Ew. Excellenz zu bemerken, daß mich
Niemand in die geheime Gesellschaft aufgenommen hat, und daß ich mich
auf alle wirklichen Mitglieder derselben berufe, ohne die Abhörung vor
Zeugen oder eine Konfrontation zu scheuen."

Hier wurde ich von S. A. Kutusow unterbrochen: "Sie haben doch
Rylejew gekannt?" -- "Ich kenne ihn und bin mit ihm im ersten Kadetten¬
corps zusammen erzogen worden."

"Haben Sie nicht auch Obolensky gekannt?"

"Ich kenne ihn sehr gut, ich habe mit ihm zusammen gedient, er war
der älteste Adjutant des Garde-Jnsanteriecorps, -- wie sollte ich ihn da
nicht kennen?"

"Was brauchen wir weiter für Beweise?" bemerkte Kutusow in seiner
läppischen Weise.

Ich schwieg, obgleich es mir leicht gewesen wäre, ihm zu sagen, daß
auch er den Fürsten Obolensky gekannt habe, folglich auch Mitglied der Ge¬
sellschaft gewesen sei.

Der Präses Tschernischew kündigte mir an, daß ich morgen schriftliche
Fragen aus der Commission erhalten, und auf jede Frage schriftlich nach
Punkten zu antworten haben würde. Vor Beendigung des Verhörs sagte
noch der Obrist Adlerberg: "Man beschuldigt Sie, mit Ihrem Degen den
zweiten Scharfschützen von der rechten Flanke niederstoßen gewollt zu haben,
weil er viele seiner Cameraden überredete, dem Carabinierzuge zu folgen."

"Meine Soldaten, Herr Obrist, haben wenn sie in Reih und Glied
standen, nie gesprochen; Einer von ihnen, ich weiß Nicht ob es der zweite oder
der dritte von der Flanke war, wollte vorwärts rücken, dem hielt ich meinen
Degen vor und bedrohte damit Jeden, der sich ohne meinen Befehl rühren
würde."

Die Bemerkung des Obristen Adlerberg zeigte mir genugsam, daß man
die kleinsten Umstände meines Verhaltens denunctrt hatte. Der Brigade¬
commandeur und noch Einer, der Ursache hatte, meine Aussagen zu fürch¬
ten, hatten das gethan. Ich hoffe, daß sie jetzt beruhigt sind.

Damit war das erste Verhör geschlossen. Der Präsident klingelte, der
Platzmajor verband mir die Augen und führte mich fort- Mein Gesicht war


Dann fragte er weiter: „Seit wann gehören Sie zur geheimen Gesell¬
schaft und wer hat Sie aufgenommen?"

„Ich bin nie Mitglied irgend einer geheimen Gesellschaft gewesen."

„Vielleicht meinen Sie, daß es dazu besonderer Gebräuche oder Cere¬
monien, Zeichen und Bedingungen bedürfte, wie in der Brüderschaft der
Freimaurer; wenn Sie nur das Ziel der Gesellschaft gekannt haben, so sind
Sie Glied derselben gewesen."

„Ich habe schon die Ehre gehabt Ew. Excellenz zu bemerken, daß mich
Niemand in die geheime Gesellschaft aufgenommen hat, und daß ich mich
auf alle wirklichen Mitglieder derselben berufe, ohne die Abhörung vor
Zeugen oder eine Konfrontation zu scheuen."

Hier wurde ich von S. A. Kutusow unterbrochen: „Sie haben doch
Rylejew gekannt?" — „Ich kenne ihn und bin mit ihm im ersten Kadetten¬
corps zusammen erzogen worden."

„Haben Sie nicht auch Obolensky gekannt?"

„Ich kenne ihn sehr gut, ich habe mit ihm zusammen gedient, er war
der älteste Adjutant des Garde-Jnsanteriecorps, — wie sollte ich ihn da
nicht kennen?"

„Was brauchen wir weiter für Beweise?" bemerkte Kutusow in seiner
läppischen Weise.

Ich schwieg, obgleich es mir leicht gewesen wäre, ihm zu sagen, daß
auch er den Fürsten Obolensky gekannt habe, folglich auch Mitglied der Ge¬
sellschaft gewesen sei.

Der Präses Tschernischew kündigte mir an, daß ich morgen schriftliche
Fragen aus der Commission erhalten, und auf jede Frage schriftlich nach
Punkten zu antworten haben würde. Vor Beendigung des Verhörs sagte
noch der Obrist Adlerberg: „Man beschuldigt Sie, mit Ihrem Degen den
zweiten Scharfschützen von der rechten Flanke niederstoßen gewollt zu haben,
weil er viele seiner Cameraden überredete, dem Carabinierzuge zu folgen."

„Meine Soldaten, Herr Obrist, haben wenn sie in Reih und Glied
standen, nie gesprochen; Einer von ihnen, ich weiß Nicht ob es der zweite oder
der dritte von der Flanke war, wollte vorwärts rücken, dem hielt ich meinen
Degen vor und bedrohte damit Jeden, der sich ohne meinen Befehl rühren
würde."

Die Bemerkung des Obristen Adlerberg zeigte mir genugsam, daß man
die kleinsten Umstände meines Verhaltens denunctrt hatte. Der Brigade¬
commandeur und noch Einer, der Ursache hatte, meine Aussagen zu fürch¬
ten, hatten das gethan. Ich hoffe, daß sie jetzt beruhigt sind.

Damit war das erste Verhör geschlossen. Der Präsident klingelte, der
Platzmajor verband mir die Augen und führte mich fort- Mein Gesicht war


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[0160] Dann fragte er weiter: „Seit wann gehören Sie zur geheimen Gesell¬ schaft und wer hat Sie aufgenommen?" „Ich bin nie Mitglied irgend einer geheimen Gesellschaft gewesen." „Vielleicht meinen Sie, daß es dazu besonderer Gebräuche oder Cere¬ monien, Zeichen und Bedingungen bedürfte, wie in der Brüderschaft der Freimaurer; wenn Sie nur das Ziel der Gesellschaft gekannt haben, so sind Sie Glied derselben gewesen." „Ich habe schon die Ehre gehabt Ew. Excellenz zu bemerken, daß mich Niemand in die geheime Gesellschaft aufgenommen hat, und daß ich mich auf alle wirklichen Mitglieder derselben berufe, ohne die Abhörung vor Zeugen oder eine Konfrontation zu scheuen." Hier wurde ich von S. A. Kutusow unterbrochen: „Sie haben doch Rylejew gekannt?" — „Ich kenne ihn und bin mit ihm im ersten Kadetten¬ corps zusammen erzogen worden." „Haben Sie nicht auch Obolensky gekannt?" „Ich kenne ihn sehr gut, ich habe mit ihm zusammen gedient, er war der älteste Adjutant des Garde-Jnsanteriecorps, — wie sollte ich ihn da nicht kennen?" „Was brauchen wir weiter für Beweise?" bemerkte Kutusow in seiner läppischen Weise. Ich schwieg, obgleich es mir leicht gewesen wäre, ihm zu sagen, daß auch er den Fürsten Obolensky gekannt habe, folglich auch Mitglied der Ge¬ sellschaft gewesen sei. Der Präses Tschernischew kündigte mir an, daß ich morgen schriftliche Fragen aus der Commission erhalten, und auf jede Frage schriftlich nach Punkten zu antworten haben würde. Vor Beendigung des Verhörs sagte noch der Obrist Adlerberg: „Man beschuldigt Sie, mit Ihrem Degen den zweiten Scharfschützen von der rechten Flanke niederstoßen gewollt zu haben, weil er viele seiner Cameraden überredete, dem Carabinierzuge zu folgen." „Meine Soldaten, Herr Obrist, haben wenn sie in Reih und Glied standen, nie gesprochen; Einer von ihnen, ich weiß Nicht ob es der zweite oder der dritte von der Flanke war, wollte vorwärts rücken, dem hielt ich meinen Degen vor und bedrohte damit Jeden, der sich ohne meinen Befehl rühren würde." Die Bemerkung des Obristen Adlerberg zeigte mir genugsam, daß man die kleinsten Umstände meines Verhaltens denunctrt hatte. Der Brigade¬ commandeur und noch Einer, der Ursache hatte, meine Aussagen zu fürch¬ ten, hatten das gethan. Ich hoffe, daß sie jetzt beruhigt sind. Damit war das erste Verhör geschlossen. Der Präsident klingelte, der Platzmajor verband mir die Augen und führte mich fort- Mein Gesicht war

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/160>, abgerufen am 05.02.2025.