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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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In Wahrheit ist in keinem Lande der Versuch, eine Nationalität neu zu be¬
leben, so sehr mit dem Fluch der Lächerlichkeit behaftet gewesen. Bereits in
der Zeit, wo die Agitation einen vorwiegend literarischen Charakter hatte,
wurden die Alterthümler des Landes der Wissenschaft durch wiederholte Fäl¬
schungen lästig, welche die altczechische Literatur vervollständigen sollten. Der
czechischen Jugend mußte ein deutscher Schneider in Prag das National-
costüm erfinden; ungeschickt wurde aus andern Slavensprachen der heimische
Wortschatz ergänzt, zuweilen von Solchen, welche selbst der czechischen Sprache
nicht vollkommen mächtig waren; ohne Wahl wurde zu nationalen Demon¬
strationen benutzt, was sich irgend darbot: der heilige Wenzel und Huß,
Ziska und Libussa, die katholische Kirche und das Theater, die böhmische
Krone und die Taboriten. Das Gebahren der Agitationen war ein Ge¬
misch von Trotz und Schwäche, den Pöbel des Landes und der Stadt zu
Straßencrawallen aufregen und Deutsche insultiren, schien zuweilen der ein¬
zige Zweck; dazu kam ein würdeloses Anlehnen an andere Slavenvölker von
größerer Kraft, heute an die Serben, morgen an die Russen, und ebenso
an andere politische Parteien, an die östreichische Reaction und an die Ul¬
tramontanen. Die größten nationalen Acte waren theatralisch arrangirte
Feste, bei denen kleinstädtische Selbstgefälligkeit und ein geschmackloser
Aufwand von Phrasen auch die löbliche Veranlassung verunstaltete. Und
diese Agitation wurde um so peinlicher, da ihr letzter Grund nicht vernünf¬
tige nationale Forderungen, sondern Widerwille gegen die deutschen Lands¬
leute war, welche sich im Besitz der Intelligenz und des Capitals befanden, zuwei¬
len freilich auch Haß gegen den Bureaukratismus der Regierung. Aber auch
der reale Hintergrund des czechischen Nationalismus, soweit ein solcher über¬
haupt hinter dem Lärm der Volksversammlungen und der kleinen Zeitungen
zu finden ist, widerspricht nicht nur den Lebensinteressen des östreichischen
Staates und in zweiter Linie denen der deutschen Nation, sondern ebenso sehr
dem Vortheil des gesammten civilisirten Europas. Denn wenn den Czechen
gelänge, was unmöglich ist, das Deutschthum aus Böhmen, Mähren und
Oestreichisch-Schlesien zu tilgen und dort einen neuen Chrobatenstaat auf den
Trümmern deutscher Cultur zu gründen, so wäre das ein Culturschaden für
ganz Europa und ein Rückfall in barbarische Zustände, welchen das gemein¬
same Interesse Aller verbietet. Es wäre gleichbedeutend mit einem Fort¬
schritt Rußlands bis an den Main, und weder wir Deutschen noch irgend
eine der Westmächte könnte für diese Verminderung des europäischen Wohl- '
Standes und der Bildung sich dadurch entschädigt fühlen, daß die Czechen
selbst in der kläglichsten Weise von ihren stammverwandten Freunden unter¬
drückt und mit Sibirien zu einem Staatskörper vereinigt werden würden.

Bevor hier über die neusten Vorgänge in Böhmen die jedem Deutschen


In Wahrheit ist in keinem Lande der Versuch, eine Nationalität neu zu be¬
leben, so sehr mit dem Fluch der Lächerlichkeit behaftet gewesen. Bereits in
der Zeit, wo die Agitation einen vorwiegend literarischen Charakter hatte,
wurden die Alterthümler des Landes der Wissenschaft durch wiederholte Fäl¬
schungen lästig, welche die altczechische Literatur vervollständigen sollten. Der
czechischen Jugend mußte ein deutscher Schneider in Prag das National-
costüm erfinden; ungeschickt wurde aus andern Slavensprachen der heimische
Wortschatz ergänzt, zuweilen von Solchen, welche selbst der czechischen Sprache
nicht vollkommen mächtig waren; ohne Wahl wurde zu nationalen Demon¬
strationen benutzt, was sich irgend darbot: der heilige Wenzel und Huß,
Ziska und Libussa, die katholische Kirche und das Theater, die böhmische
Krone und die Taboriten. Das Gebahren der Agitationen war ein Ge¬
misch von Trotz und Schwäche, den Pöbel des Landes und der Stadt zu
Straßencrawallen aufregen und Deutsche insultiren, schien zuweilen der ein¬
zige Zweck; dazu kam ein würdeloses Anlehnen an andere Slavenvölker von
größerer Kraft, heute an die Serben, morgen an die Russen, und ebenso
an andere politische Parteien, an die östreichische Reaction und an die Ul¬
tramontanen. Die größten nationalen Acte waren theatralisch arrangirte
Feste, bei denen kleinstädtische Selbstgefälligkeit und ein geschmackloser
Aufwand von Phrasen auch die löbliche Veranlassung verunstaltete. Und
diese Agitation wurde um so peinlicher, da ihr letzter Grund nicht vernünf¬
tige nationale Forderungen, sondern Widerwille gegen die deutschen Lands¬
leute war, welche sich im Besitz der Intelligenz und des Capitals befanden, zuwei¬
len freilich auch Haß gegen den Bureaukratismus der Regierung. Aber auch
der reale Hintergrund des czechischen Nationalismus, soweit ein solcher über¬
haupt hinter dem Lärm der Volksversammlungen und der kleinen Zeitungen
zu finden ist, widerspricht nicht nur den Lebensinteressen des östreichischen
Staates und in zweiter Linie denen der deutschen Nation, sondern ebenso sehr
dem Vortheil des gesammten civilisirten Europas. Denn wenn den Czechen
gelänge, was unmöglich ist, das Deutschthum aus Böhmen, Mähren und
Oestreichisch-Schlesien zu tilgen und dort einen neuen Chrobatenstaat auf den
Trümmern deutscher Cultur zu gründen, so wäre das ein Culturschaden für
ganz Europa und ein Rückfall in barbarische Zustände, welchen das gemein¬
same Interesse Aller verbietet. Es wäre gleichbedeutend mit einem Fort¬
schritt Rußlands bis an den Main, und weder wir Deutschen noch irgend
eine der Westmächte könnte für diese Verminderung des europäischen Wohl- '
Standes und der Bildung sich dadurch entschädigt fühlen, daß die Czechen
selbst in der kläglichsten Weise von ihren stammverwandten Freunden unter¬
drückt und mit Sibirien zu einem Staatskörper vereinigt werden würden.

Bevor hier über die neusten Vorgänge in Böhmen die jedem Deutschen


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[0142] In Wahrheit ist in keinem Lande der Versuch, eine Nationalität neu zu be¬ leben, so sehr mit dem Fluch der Lächerlichkeit behaftet gewesen. Bereits in der Zeit, wo die Agitation einen vorwiegend literarischen Charakter hatte, wurden die Alterthümler des Landes der Wissenschaft durch wiederholte Fäl¬ schungen lästig, welche die altczechische Literatur vervollständigen sollten. Der czechischen Jugend mußte ein deutscher Schneider in Prag das National- costüm erfinden; ungeschickt wurde aus andern Slavensprachen der heimische Wortschatz ergänzt, zuweilen von Solchen, welche selbst der czechischen Sprache nicht vollkommen mächtig waren; ohne Wahl wurde zu nationalen Demon¬ strationen benutzt, was sich irgend darbot: der heilige Wenzel und Huß, Ziska und Libussa, die katholische Kirche und das Theater, die böhmische Krone und die Taboriten. Das Gebahren der Agitationen war ein Ge¬ misch von Trotz und Schwäche, den Pöbel des Landes und der Stadt zu Straßencrawallen aufregen und Deutsche insultiren, schien zuweilen der ein¬ zige Zweck; dazu kam ein würdeloses Anlehnen an andere Slavenvölker von größerer Kraft, heute an die Serben, morgen an die Russen, und ebenso an andere politische Parteien, an die östreichische Reaction und an die Ul¬ tramontanen. Die größten nationalen Acte waren theatralisch arrangirte Feste, bei denen kleinstädtische Selbstgefälligkeit und ein geschmackloser Aufwand von Phrasen auch die löbliche Veranlassung verunstaltete. Und diese Agitation wurde um so peinlicher, da ihr letzter Grund nicht vernünf¬ tige nationale Forderungen, sondern Widerwille gegen die deutschen Lands¬ leute war, welche sich im Besitz der Intelligenz und des Capitals befanden, zuwei¬ len freilich auch Haß gegen den Bureaukratismus der Regierung. Aber auch der reale Hintergrund des czechischen Nationalismus, soweit ein solcher über¬ haupt hinter dem Lärm der Volksversammlungen und der kleinen Zeitungen zu finden ist, widerspricht nicht nur den Lebensinteressen des östreichischen Staates und in zweiter Linie denen der deutschen Nation, sondern ebenso sehr dem Vortheil des gesammten civilisirten Europas. Denn wenn den Czechen gelänge, was unmöglich ist, das Deutschthum aus Böhmen, Mähren und Oestreichisch-Schlesien zu tilgen und dort einen neuen Chrobatenstaat auf den Trümmern deutscher Cultur zu gründen, so wäre das ein Culturschaden für ganz Europa und ein Rückfall in barbarische Zustände, welchen das gemein¬ same Interesse Aller verbietet. Es wäre gleichbedeutend mit einem Fort¬ schritt Rußlands bis an den Main, und weder wir Deutschen noch irgend eine der Westmächte könnte für diese Verminderung des europäischen Wohl- ' Standes und der Bildung sich dadurch entschädigt fühlen, daß die Czechen selbst in der kläglichsten Weise von ihren stammverwandten Freunden unter¬ drückt und mit Sibirien zu einem Staatskörper vereinigt werden würden. Bevor hier über die neusten Vorgänge in Böhmen die jedem Deutschen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/142>, abgerufen am 05.02.2025.