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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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N. P. Repin; er bat mich, augenblicklich zu ihm zu kommen. Es war spät.
Ich fand ihn allein auf und nieder gehend, mit der Uhr in der Hand. Mit
kurzen Worten theilte er mir mit, der längst beabsichtigte Aufstand stehe vor
der Thür, eine geeignete Gelegenheit zum Handeln sei gekommen, um nötigen¬
falls innerer Zwietracht oder gar einem Bürgerkrieg vorzubeugen. Reden
und Betrachtungen führten nicht zum Ziele, man bedürfe einer materiellen
Kraft, brauchte wenigstens einige Bataillone und Kanonen. Er wünschte
meine Mitwirkung zur Erhebung unseres ersten Bataillons, was ich rund ab¬
schlug, da ich in demselben nur einen Zug befehligte; man konnte aus die
Bereitwilligkeit der jüngeren Offiziere rechnen, aber nicht auf die der Com¬
pagnie-Commandeure. Ein Versuch blieb immerhin möglich und konnte um so
leichter gelingen, als man behauptete, daß der Obrist A. F. Moller mit sei¬
nem zweiten Bataillon Theil nehmen werde. -- Denselben Abend begab ich
mich mit Repin zu Conrad RrMjew; er wohnte in dem Hause der ameri¬
kanischen Compagnie bei der blauen Brücke. Wir fanden ihn allein mit
einem Buche; wegen Halsschmerzen hatte er sich mit einem großen Tuche
umwickelt. In seinen Blicken, in seinen Gesichtszügen sah man seine Be¬
geisterung sür die große Sache; sein Reden war deutlich und überzeugend,
er wies nach, daß die, bevorstehende neue Huldigung die Soldaten in Ver¬
wirrung stürzen werde und mit leichter Mühe zum Zweck eines System¬
wechsels ausgebeutet werden könne. Bald darauf kamen Bestusbeff und
Tschepin-Rostowsky. Nach Besprechung verschiedener Vorschläge trennten wir
uns, um bei erster Gelegenheit wieder eine Berathung zu halten.

Am 11. December fand ich bei Repin zu meiner großen Unzufriedenheit
sechszehn junge Offiziere unseres Regiments, welche über die Tagesereignisse rai-
sonnirten und' zum Theil in das Geheimniß der Unternehmung eingeweiht
waren. Es gelang mir den Wirth in ein Seitenzimmer abzurufen, wo ich
ihm das Unpassende einer so vorzeitigen Einweihung von Neulingen vorstellte.
Er erwiderte, daß man im Moment des Handelns auf die Zuverlässigkeit der
Anwesenden werde rechnen können. --

Die Jugend läßt sich so leicht begeistern, sie kennt keine Hindernisse,
keine Unmöglichkeiten; je größer die Schwierigkeit, die Gefahr, desto größer
der Thatendurst. -- Unter allen Anwesenden befand sich kein einziges Mit¬
glied der geheimen Gesellschaft außer dem Wirth selbst, und doch boten alle
zu dem bevorstehenden Unternehmen bereitwillig die Hand.

Am 12. December wohnte ich einer Berathschlagung beim Fürsten E. P. Obo-
lensky bei, an welcher die in Petersburg anwesenden Häupter der Verschwö¬
rung Theil nahmen. Man besprach sich über die vorhandenen Mittel und die
bevorstehende Unternehmung. Der Oberbefehl über die bewaffnete Macht
war dem Fürsten Trubetzkoy anvertraut, sür den Fall daß nicht aus Moskau


N. P. Repin; er bat mich, augenblicklich zu ihm zu kommen. Es war spät.
Ich fand ihn allein auf und nieder gehend, mit der Uhr in der Hand. Mit
kurzen Worten theilte er mir mit, der längst beabsichtigte Aufstand stehe vor
der Thür, eine geeignete Gelegenheit zum Handeln sei gekommen, um nötigen¬
falls innerer Zwietracht oder gar einem Bürgerkrieg vorzubeugen. Reden
und Betrachtungen führten nicht zum Ziele, man bedürfe einer materiellen
Kraft, brauchte wenigstens einige Bataillone und Kanonen. Er wünschte
meine Mitwirkung zur Erhebung unseres ersten Bataillons, was ich rund ab¬
schlug, da ich in demselben nur einen Zug befehligte; man konnte aus die
Bereitwilligkeit der jüngeren Offiziere rechnen, aber nicht auf die der Com¬
pagnie-Commandeure. Ein Versuch blieb immerhin möglich und konnte um so
leichter gelingen, als man behauptete, daß der Obrist A. F. Moller mit sei¬
nem zweiten Bataillon Theil nehmen werde. — Denselben Abend begab ich
mich mit Repin zu Conrad RrMjew; er wohnte in dem Hause der ameri¬
kanischen Compagnie bei der blauen Brücke. Wir fanden ihn allein mit
einem Buche; wegen Halsschmerzen hatte er sich mit einem großen Tuche
umwickelt. In seinen Blicken, in seinen Gesichtszügen sah man seine Be¬
geisterung sür die große Sache; sein Reden war deutlich und überzeugend,
er wies nach, daß die, bevorstehende neue Huldigung die Soldaten in Ver¬
wirrung stürzen werde und mit leichter Mühe zum Zweck eines System¬
wechsels ausgebeutet werden könne. Bald darauf kamen Bestusbeff und
Tschepin-Rostowsky. Nach Besprechung verschiedener Vorschläge trennten wir
uns, um bei erster Gelegenheit wieder eine Berathung zu halten.

Am 11. December fand ich bei Repin zu meiner großen Unzufriedenheit
sechszehn junge Offiziere unseres Regiments, welche über die Tagesereignisse rai-
sonnirten und' zum Theil in das Geheimniß der Unternehmung eingeweiht
waren. Es gelang mir den Wirth in ein Seitenzimmer abzurufen, wo ich
ihm das Unpassende einer so vorzeitigen Einweihung von Neulingen vorstellte.
Er erwiderte, daß man im Moment des Handelns auf die Zuverlässigkeit der
Anwesenden werde rechnen können. —

Die Jugend läßt sich so leicht begeistern, sie kennt keine Hindernisse,
keine Unmöglichkeiten; je größer die Schwierigkeit, die Gefahr, desto größer
der Thatendurst. — Unter allen Anwesenden befand sich kein einziges Mit¬
glied der geheimen Gesellschaft außer dem Wirth selbst, und doch boten alle
zu dem bevorstehenden Unternehmen bereitwillig die Hand.

Am 12. December wohnte ich einer Berathschlagung beim Fürsten E. P. Obo-
lensky bei, an welcher die in Petersburg anwesenden Häupter der Verschwö¬
rung Theil nahmen. Man besprach sich über die vorhandenen Mittel und die
bevorstehende Unternehmung. Der Oberbefehl über die bewaffnete Macht
war dem Fürsten Trubetzkoy anvertraut, sür den Fall daß nicht aus Moskau


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/118>, abgerufen am 05.02.2025.