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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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leiden kann: so fehlten eigentlich alle Kräfte zum Widerstand und die Revo¬
lution siegte fast ohne Blutvergießen.

Aber wenn Jsabella keine Sympathie verdient, so wird man auch zu denen,
welche sie vertrieben, wenig Zutrauen haben können. Unter diesen Generälen,
von denen so manche ohne irgendwelche militärische Verdienste Marschälle
wurden, ist kein einziger, der das Vertrauen des Landes hat, sie haben sich
unter einander bekämpft, verfolgt, verbannt, je nach den Conjuncturen des
Augenblickes, sie haben für einen Augenblick gemeinsame Sache gemacht, aber
sie werden der Welt nicht lange Zeit das Schauspiel der Einigkeit bieten.
Die Bevölkerung ist deshalb auch im Ganzen passiv, alle Welt hielt die
Dynastie für unverbesserlich und ihren Sturz für nothwendig, aber Niemand
sieht jetzt ab, woher eine bessere Negierung kommen soll. Wäre ein Prätendent
an die Spitze des Aufstandes getreten und die Nation wäre ihm gefolgt,
so hätte man ein Haupt, nun aber ist eine absolute Leere, Alles ist mög¬
lich und darin liegt die ungeheure Gefahr für das Land. Die Proclamation
der provisorischen Regierung läßt außerdem befürchten, daß keine der Thor¬
heiten, zu denen der Jubel über den Fall eines verhaßten Regiments ein
politisch nicht vollständig reifes Volk verleitet, unterlassen werden wird und die
Nation dürfte noch zu ihrem Schaden lernen, daß es weit leichter ist, eine
schlechte Regierung zu stürzen, als eine bessere zu gründen. Wie es heißt, soll
das Volk über seine Zukunft durch das nicht mehr ungewöhnliche Mittel
einer allgemeinen Abstimmung entscheiden. Es liegt indessen auf der Hand,
daß dies wenig mehr als eine Form sein wird und alles darauf ankommt,
was von Denen, die an der Spitze der provisorischen Negierung und der
Armee stehen, zur Abstimmung gestellt wird. Die vorliegenden Möglichkeiten
sind 1) die Berufung des Herzogs von Montpensier; 2) die Erwählung des
Königs von Portugal; 3) die irgend eines anderen Fürsten; 4) die Republik.

Für Montpensier spricht die ehrenwerthe Haltung, welche er der Wirth¬
schaft Jsabella's gegenüber bewahrt, aber gegen ihn der Entschluß, der fast
allgemein zu sein scheint: "fort mit den Bourbonen". Man hat eben zu schlechte
Erfahrungen mit ihnen gemacht; außerdem dürften die Führer wohl Anstand
nehmen, den einzigen Candidaten vorzuschieben, welcher bei Napoleon persona.
ingratissima sein würde. Für den König von Portugal spricht die Idee der
iberischen Union, gegen ihn, daß es den spanischen Stolz verletzen würde, von
einem Portugiesen beherrscht zu werden; auch ist es fraglich, ob Portugal einer
solchen Vereinigung beider Kronen, wenn sie auch bloße Personalunion wie
die schwedisch-norwegische bliebe, günstig wäre. Irgend ein anderer Prinz,
wie der Herzog von Aosta, ließe sich wohl finden, aber freilich haben Neapel,
Griechenland und die Donaufürstenthümer hinlänglich gezeigt, wozu diese im-
portirten Fürsten, die im Lande keine Wurzel haben, führen. Es bliebe end-


leiden kann: so fehlten eigentlich alle Kräfte zum Widerstand und die Revo¬
lution siegte fast ohne Blutvergießen.

Aber wenn Jsabella keine Sympathie verdient, so wird man auch zu denen,
welche sie vertrieben, wenig Zutrauen haben können. Unter diesen Generälen,
von denen so manche ohne irgendwelche militärische Verdienste Marschälle
wurden, ist kein einziger, der das Vertrauen des Landes hat, sie haben sich
unter einander bekämpft, verfolgt, verbannt, je nach den Conjuncturen des
Augenblickes, sie haben für einen Augenblick gemeinsame Sache gemacht, aber
sie werden der Welt nicht lange Zeit das Schauspiel der Einigkeit bieten.
Die Bevölkerung ist deshalb auch im Ganzen passiv, alle Welt hielt die
Dynastie für unverbesserlich und ihren Sturz für nothwendig, aber Niemand
sieht jetzt ab, woher eine bessere Negierung kommen soll. Wäre ein Prätendent
an die Spitze des Aufstandes getreten und die Nation wäre ihm gefolgt,
so hätte man ein Haupt, nun aber ist eine absolute Leere, Alles ist mög¬
lich und darin liegt die ungeheure Gefahr für das Land. Die Proclamation
der provisorischen Regierung läßt außerdem befürchten, daß keine der Thor¬
heiten, zu denen der Jubel über den Fall eines verhaßten Regiments ein
politisch nicht vollständig reifes Volk verleitet, unterlassen werden wird und die
Nation dürfte noch zu ihrem Schaden lernen, daß es weit leichter ist, eine
schlechte Regierung zu stürzen, als eine bessere zu gründen. Wie es heißt, soll
das Volk über seine Zukunft durch das nicht mehr ungewöhnliche Mittel
einer allgemeinen Abstimmung entscheiden. Es liegt indessen auf der Hand,
daß dies wenig mehr als eine Form sein wird und alles darauf ankommt,
was von Denen, die an der Spitze der provisorischen Negierung und der
Armee stehen, zur Abstimmung gestellt wird. Die vorliegenden Möglichkeiten
sind 1) die Berufung des Herzogs von Montpensier; 2) die Erwählung des
Königs von Portugal; 3) die irgend eines anderen Fürsten; 4) die Republik.

Für Montpensier spricht die ehrenwerthe Haltung, welche er der Wirth¬
schaft Jsabella's gegenüber bewahrt, aber gegen ihn der Entschluß, der fast
allgemein zu sein scheint: „fort mit den Bourbonen". Man hat eben zu schlechte
Erfahrungen mit ihnen gemacht; außerdem dürften die Führer wohl Anstand
nehmen, den einzigen Candidaten vorzuschieben, welcher bei Napoleon persona.
ingratissima sein würde. Für den König von Portugal spricht die Idee der
iberischen Union, gegen ihn, daß es den spanischen Stolz verletzen würde, von
einem Portugiesen beherrscht zu werden; auch ist es fraglich, ob Portugal einer
solchen Vereinigung beider Kronen, wenn sie auch bloße Personalunion wie
die schwedisch-norwegische bliebe, günstig wäre. Irgend ein anderer Prinz,
wie der Herzog von Aosta, ließe sich wohl finden, aber freilich haben Neapel,
Griechenland und die Donaufürstenthümer hinlänglich gezeigt, wozu diese im-
portirten Fürsten, die im Lande keine Wurzel haben, führen. Es bliebe end-


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[0108] leiden kann: so fehlten eigentlich alle Kräfte zum Widerstand und die Revo¬ lution siegte fast ohne Blutvergießen. Aber wenn Jsabella keine Sympathie verdient, so wird man auch zu denen, welche sie vertrieben, wenig Zutrauen haben können. Unter diesen Generälen, von denen so manche ohne irgendwelche militärische Verdienste Marschälle wurden, ist kein einziger, der das Vertrauen des Landes hat, sie haben sich unter einander bekämpft, verfolgt, verbannt, je nach den Conjuncturen des Augenblickes, sie haben für einen Augenblick gemeinsame Sache gemacht, aber sie werden der Welt nicht lange Zeit das Schauspiel der Einigkeit bieten. Die Bevölkerung ist deshalb auch im Ganzen passiv, alle Welt hielt die Dynastie für unverbesserlich und ihren Sturz für nothwendig, aber Niemand sieht jetzt ab, woher eine bessere Negierung kommen soll. Wäre ein Prätendent an die Spitze des Aufstandes getreten und die Nation wäre ihm gefolgt, so hätte man ein Haupt, nun aber ist eine absolute Leere, Alles ist mög¬ lich und darin liegt die ungeheure Gefahr für das Land. Die Proclamation der provisorischen Regierung läßt außerdem befürchten, daß keine der Thor¬ heiten, zu denen der Jubel über den Fall eines verhaßten Regiments ein politisch nicht vollständig reifes Volk verleitet, unterlassen werden wird und die Nation dürfte noch zu ihrem Schaden lernen, daß es weit leichter ist, eine schlechte Regierung zu stürzen, als eine bessere zu gründen. Wie es heißt, soll das Volk über seine Zukunft durch das nicht mehr ungewöhnliche Mittel einer allgemeinen Abstimmung entscheiden. Es liegt indessen auf der Hand, daß dies wenig mehr als eine Form sein wird und alles darauf ankommt, was von Denen, die an der Spitze der provisorischen Negierung und der Armee stehen, zur Abstimmung gestellt wird. Die vorliegenden Möglichkeiten sind 1) die Berufung des Herzogs von Montpensier; 2) die Erwählung des Königs von Portugal; 3) die irgend eines anderen Fürsten; 4) die Republik. Für Montpensier spricht die ehrenwerthe Haltung, welche er der Wirth¬ schaft Jsabella's gegenüber bewahrt, aber gegen ihn der Entschluß, der fast allgemein zu sein scheint: „fort mit den Bourbonen". Man hat eben zu schlechte Erfahrungen mit ihnen gemacht; außerdem dürften die Führer wohl Anstand nehmen, den einzigen Candidaten vorzuschieben, welcher bei Napoleon persona. ingratissima sein würde. Für den König von Portugal spricht die Idee der iberischen Union, gegen ihn, daß es den spanischen Stolz verletzen würde, von einem Portugiesen beherrscht zu werden; auch ist es fraglich, ob Portugal einer solchen Vereinigung beider Kronen, wenn sie auch bloße Personalunion wie die schwedisch-norwegische bliebe, günstig wäre. Irgend ein anderer Prinz, wie der Herzog von Aosta, ließe sich wohl finden, aber freilich haben Neapel, Griechenland und die Donaufürstenthümer hinlänglich gezeigt, wozu diese im- portirten Fürsten, die im Lande keine Wurzel haben, führen. Es bliebe end-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/108>, abgerufen am 05.02.2025.