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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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liebe Meinung mit geringeren Zugeständnissen zu befriedigen gewesen wäre. Aus
solchen Gründen opponirte auch unzweifelhaft Sir Robert Peel der Bill, obwohl
er jene herausfordernde Erklärung des Herzogs von Wellington entschieden
getadelt und sich wohl gehütet hatte, jede Reform abzulehnen; er bekämpfte
die Maßregel, weil sie unter dem Einfluß des revolutionären Geistes stehe,
welcher aus Frankreich wehe; wenn das englische Volk von seiner augenblick¬
lichen Aufregung wieder zu sich komme, werde es den Ministern vorwerfen,
die Verfassung umgestürzt zu haben, unter der das Land groß geworden sei.
"Ich werde" sagte er, "diese Bill bekämpfen, weil ich sie verhängnißvoll für
unsere glückliche gemischte Regierungsform halte, verhängnißvoll für das Haus
der Lords, verhängnißvoll für jenen Geist der Mäßigung, welcher England
das Vertrauen der Welt erworben hat, verhängnißvoll für die Regierungs¬
weise, welche, indem sie Eigenthum und Freiheit der Individuen mit Nach¬
druck schirmt, doch der Staatsgewalt eine Kraft verliehen, welche jeder
andern Zeit und jedem andern Lande unbekannt geblieben ist."

Richtiges war in dieser Kritik; aber an den Tones rächte sich jetzt der Starr¬
sinn, der jede Reform abgewiesen hatte, als es noch Zeit war; auch jetzt
war ihre Taktik falsch, indem sie nicht einzelne zu weit gehende Clauseln be¬
kämpften, sondern mit Leidenschaft die Verwerfung der ganzen Bill ver¬
fochten. Peel selbst scheint die UnHaltbarkeit eines solchen Verfahrens ge¬
fühlt zu haben, denn als schließlich, nachdem Neuwahlen dem Ministerium
eine große Majorität gegeben, die Bill im Oberhause gefallen war und
Lord Grey seine Entlassung eingereicht, weigerte er sich, als Premier an die
Spitze eines Toryministeriums zu treten. Er sah ein, daß die Reform eine
Nothwendigkeit geworden war und daß er selbst eine ähnliche Maßregel vor¬
schlagen müßte, wie die, welche er im Princip bekämpft, und zog es daher
vor, seinen Gegnern die Durchführung zu überlassen. So übernahm Grey
wieder den Posten des Premiers, nachdem er die Ermächtigung vom König
erhalten, den Widerstand der Lords eventuell durch einen Pairsschub zu
brechen. Es ist bekannt, daß es dazu nicht kam, da sich auf den Wunsch des
Königs eine hinlängliche Anzahl von Lords der Abstimmung enthielt, und
so ward die Bill Gesetz. Das wesentlichste Verdienst um ihr Zustandekommen
hat Earl Grey; er allein war im Stande, den redlichen aber zögernden König
festzuhalten und den feindlichen Einflüssen des Hofes und der Tories die
Spitze zu bieten*); er theilte schwerlich die Ansichten der begeisterten Refor¬
mer wie Macaulay, er berief sich in der großen Rede, mit welcher er die
Maßregel im Oberhause einführte, einzig auf ihre Nothwendigkeit: die Lage



*) rkk Reform ^<-t, 1832. IKs eorresxolläölleö ok tho lato Lark Sre? mtU Jus
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1832. Läiteä b? llöllr? Karl Kre?. In wo volaweg, I^MÜM, llobu Nurru,?.

liebe Meinung mit geringeren Zugeständnissen zu befriedigen gewesen wäre. Aus
solchen Gründen opponirte auch unzweifelhaft Sir Robert Peel der Bill, obwohl
er jene herausfordernde Erklärung des Herzogs von Wellington entschieden
getadelt und sich wohl gehütet hatte, jede Reform abzulehnen; er bekämpfte
die Maßregel, weil sie unter dem Einfluß des revolutionären Geistes stehe,
welcher aus Frankreich wehe; wenn das englische Volk von seiner augenblick¬
lichen Aufregung wieder zu sich komme, werde es den Ministern vorwerfen,
die Verfassung umgestürzt zu haben, unter der das Land groß geworden sei.
„Ich werde" sagte er, „diese Bill bekämpfen, weil ich sie verhängnißvoll für
unsere glückliche gemischte Regierungsform halte, verhängnißvoll für das Haus
der Lords, verhängnißvoll für jenen Geist der Mäßigung, welcher England
das Vertrauen der Welt erworben hat, verhängnißvoll für die Regierungs¬
weise, welche, indem sie Eigenthum und Freiheit der Individuen mit Nach¬
druck schirmt, doch der Staatsgewalt eine Kraft verliehen, welche jeder
andern Zeit und jedem andern Lande unbekannt geblieben ist."

Richtiges war in dieser Kritik; aber an den Tones rächte sich jetzt der Starr¬
sinn, der jede Reform abgewiesen hatte, als es noch Zeit war; auch jetzt
war ihre Taktik falsch, indem sie nicht einzelne zu weit gehende Clauseln be¬
kämpften, sondern mit Leidenschaft die Verwerfung der ganzen Bill ver¬
fochten. Peel selbst scheint die UnHaltbarkeit eines solchen Verfahrens ge¬
fühlt zu haben, denn als schließlich, nachdem Neuwahlen dem Ministerium
eine große Majorität gegeben, die Bill im Oberhause gefallen war und
Lord Grey seine Entlassung eingereicht, weigerte er sich, als Premier an die
Spitze eines Toryministeriums zu treten. Er sah ein, daß die Reform eine
Nothwendigkeit geworden war und daß er selbst eine ähnliche Maßregel vor¬
schlagen müßte, wie die, welche er im Princip bekämpft, und zog es daher
vor, seinen Gegnern die Durchführung zu überlassen. So übernahm Grey
wieder den Posten des Premiers, nachdem er die Ermächtigung vom König
erhalten, den Widerstand der Lords eventuell durch einen Pairsschub zu
brechen. Es ist bekannt, daß es dazu nicht kam, da sich auf den Wunsch des
Königs eine hinlängliche Anzahl von Lords der Abstimmung enthielt, und
so ward die Bill Gesetz. Das wesentlichste Verdienst um ihr Zustandekommen
hat Earl Grey; er allein war im Stande, den redlichen aber zögernden König
festzuhalten und den feindlichen Einflüssen des Hofes und der Tories die
Spitze zu bieten*); er theilte schwerlich die Ansichten der begeisterten Refor¬
mer wie Macaulay, er berief sich in der großen Rede, mit welcher er die
Maßregel im Oberhause einführte, einzig auf ihre Nothwendigkeit: die Lage



*) rkk Reform ^<-t, 1832. IKs eorresxolläölleö ok tho lato Lark Sre? mtU Jus
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/101>, abgerufen am 05.02.2025.