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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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die Ursache liegen? Giebt es doch für die Naturproduction, wenigstens den
menschlichen Bedürfnissen gegenüber, gar keine Grenze! Im Gegentheil, je
dichter die Bevölkerung, um so günstiger die Vorbedingungen gesteigerter
Naturproduction. Und so überall die Möglichkeit des Wachsthums der
menschlichen Gesellschaft bis ins Unenendliche. Wie in dieser natürlichen Ent¬
wickelung keine Uebervölkerung, so ist auch keine Ueberproduction der mensch¬
lichen Arbeit denkbar. Der Werth der Dinge bestimmt sich nach den Hinder¬
nissen, die behufs Erlangung der durchaus unentgeltlichen Gaben der Natur
überwunden werden müssen. Je leichter im stetigen Fortschreiten die Hinder¬
nisse zu besiegen, um so tiefer sinkt der Werth der Dinge, um so höher steigt
der Werth des Menschen. Darum muß die Lage der Menschheit sich bis ins
Unabsehbare verbessern."

Wie aber kommt es, daß wir diese Gestaltung der menschlichen Dinge
bisher nirgends in voller Wirklichkeit wahrnehmen? Die Schuld daranträgt
einzig und allein -- der Handel. Handel ist das Gegentheil vom Verkehr,
Handel erstrebt Centralisation, bewirkt Armuth, Entvölkerung, Sclaverei,
Tod. Sein untrennbarer Genosse ist der Krieg. Das lehrt uns die ganze
Geschichte. Von ihr könnte man "mit vollkommener Wahrheit sagen^ sie sei
wenig mehr als ein Verzeichniß der Bemühungen der Minderheit, die Mehr¬
heit zu besteuern, selbst aber der Besteuerung zu entgehen" (S. 39). In der
modernen Welt ist es England, welches das "händlerische" Princip handhabt
und zwar in der ruchlosesten Weise. Sein Streben ist die allgemeine Unter¬
jochung unter seine Handelsmacht, die Vernichtung des Verkehrs in allen
Ländern der Welt; überall, wo es zur Herrschaft gelangt. Elend und Ver¬
derben die Folge. Um Englands Gewissen von dieser Schuld zu reinigen,
erfand Ricardo seine Theorie von dem abwärts strebenden Gange der Boden¬
cultur und Malthus sein berüchtigtes Populationsgesetz. Es sollte als Natur¬
nothwendigkeit nachgewiesen werden, daß die große Masse auf ewig zur Scla¬
verei, zum Elend, ja theilweise zum Untergange verdammt blieb. Das ist
der Ausgangspunkt der modernen Volkswirthschaftslehre, so entstand die
"traurige Wissenschaft", welche am Menschen allein die Eigenschaften in Er¬
wägung zieht, "die ihm gemein sind mit dem Pferde und dem Ochsen."
Das ist das Resultat der Freihandelspolitik! Bedarf es weiterer Beweise,
daß nur das Schutzsystem die einzige Rettung ist?

Wieviel von Carey's Angriffen gegen das englische System auf Rech¬
nung des Nationalhasses zu setzen sei, haben wir nicht zu untersuchen. Uns
liegt die Frage vor: hat Carey die Theorien Ricardo's und Malthus' in
der That umgestoßen? und wir antworten darauf entschieden mit Nein.
Angenommen, es sei die ursprüngliche Ansiedelung in der That allenthalben
auf dem ärmeren Boden erfolgt. -- was beweist das gegen Ricardo?


die Ursache liegen? Giebt es doch für die Naturproduction, wenigstens den
menschlichen Bedürfnissen gegenüber, gar keine Grenze! Im Gegentheil, je
dichter die Bevölkerung, um so günstiger die Vorbedingungen gesteigerter
Naturproduction. Und so überall die Möglichkeit des Wachsthums der
menschlichen Gesellschaft bis ins Unenendliche. Wie in dieser natürlichen Ent¬
wickelung keine Uebervölkerung, so ist auch keine Ueberproduction der mensch¬
lichen Arbeit denkbar. Der Werth der Dinge bestimmt sich nach den Hinder¬
nissen, die behufs Erlangung der durchaus unentgeltlichen Gaben der Natur
überwunden werden müssen. Je leichter im stetigen Fortschreiten die Hinder¬
nisse zu besiegen, um so tiefer sinkt der Werth der Dinge, um so höher steigt
der Werth des Menschen. Darum muß die Lage der Menschheit sich bis ins
Unabsehbare verbessern."

Wie aber kommt es, daß wir diese Gestaltung der menschlichen Dinge
bisher nirgends in voller Wirklichkeit wahrnehmen? Die Schuld daranträgt
einzig und allein — der Handel. Handel ist das Gegentheil vom Verkehr,
Handel erstrebt Centralisation, bewirkt Armuth, Entvölkerung, Sclaverei,
Tod. Sein untrennbarer Genosse ist der Krieg. Das lehrt uns die ganze
Geschichte. Von ihr könnte man „mit vollkommener Wahrheit sagen^ sie sei
wenig mehr als ein Verzeichniß der Bemühungen der Minderheit, die Mehr¬
heit zu besteuern, selbst aber der Besteuerung zu entgehen" (S. 39). In der
modernen Welt ist es England, welches das „händlerische" Princip handhabt
und zwar in der ruchlosesten Weise. Sein Streben ist die allgemeine Unter¬
jochung unter seine Handelsmacht, die Vernichtung des Verkehrs in allen
Ländern der Welt; überall, wo es zur Herrschaft gelangt. Elend und Ver¬
derben die Folge. Um Englands Gewissen von dieser Schuld zu reinigen,
erfand Ricardo seine Theorie von dem abwärts strebenden Gange der Boden¬
cultur und Malthus sein berüchtigtes Populationsgesetz. Es sollte als Natur¬
nothwendigkeit nachgewiesen werden, daß die große Masse auf ewig zur Scla¬
verei, zum Elend, ja theilweise zum Untergange verdammt blieb. Das ist
der Ausgangspunkt der modernen Volkswirthschaftslehre, so entstand die
„traurige Wissenschaft", welche am Menschen allein die Eigenschaften in Er¬
wägung zieht, „die ihm gemein sind mit dem Pferde und dem Ochsen."
Das ist das Resultat der Freihandelspolitik! Bedarf es weiterer Beweise,
daß nur das Schutzsystem die einzige Rettung ist?

Wieviel von Carey's Angriffen gegen das englische System auf Rech¬
nung des Nationalhasses zu setzen sei, haben wir nicht zu untersuchen. Uns
liegt die Frage vor: hat Carey die Theorien Ricardo's und Malthus' in
der That umgestoßen? und wir antworten darauf entschieden mit Nein.
Angenommen, es sei die ursprüngliche Ansiedelung in der That allenthalben
auf dem ärmeren Boden erfolgt. — was beweist das gegen Ricardo?


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[0076] die Ursache liegen? Giebt es doch für die Naturproduction, wenigstens den menschlichen Bedürfnissen gegenüber, gar keine Grenze! Im Gegentheil, je dichter die Bevölkerung, um so günstiger die Vorbedingungen gesteigerter Naturproduction. Und so überall die Möglichkeit des Wachsthums der menschlichen Gesellschaft bis ins Unenendliche. Wie in dieser natürlichen Ent¬ wickelung keine Uebervölkerung, so ist auch keine Ueberproduction der mensch¬ lichen Arbeit denkbar. Der Werth der Dinge bestimmt sich nach den Hinder¬ nissen, die behufs Erlangung der durchaus unentgeltlichen Gaben der Natur überwunden werden müssen. Je leichter im stetigen Fortschreiten die Hinder¬ nisse zu besiegen, um so tiefer sinkt der Werth der Dinge, um so höher steigt der Werth des Menschen. Darum muß die Lage der Menschheit sich bis ins Unabsehbare verbessern." Wie aber kommt es, daß wir diese Gestaltung der menschlichen Dinge bisher nirgends in voller Wirklichkeit wahrnehmen? Die Schuld daranträgt einzig und allein — der Handel. Handel ist das Gegentheil vom Verkehr, Handel erstrebt Centralisation, bewirkt Armuth, Entvölkerung, Sclaverei, Tod. Sein untrennbarer Genosse ist der Krieg. Das lehrt uns die ganze Geschichte. Von ihr könnte man „mit vollkommener Wahrheit sagen^ sie sei wenig mehr als ein Verzeichniß der Bemühungen der Minderheit, die Mehr¬ heit zu besteuern, selbst aber der Besteuerung zu entgehen" (S. 39). In der modernen Welt ist es England, welches das „händlerische" Princip handhabt und zwar in der ruchlosesten Weise. Sein Streben ist die allgemeine Unter¬ jochung unter seine Handelsmacht, die Vernichtung des Verkehrs in allen Ländern der Welt; überall, wo es zur Herrschaft gelangt. Elend und Ver¬ derben die Folge. Um Englands Gewissen von dieser Schuld zu reinigen, erfand Ricardo seine Theorie von dem abwärts strebenden Gange der Boden¬ cultur und Malthus sein berüchtigtes Populationsgesetz. Es sollte als Natur¬ nothwendigkeit nachgewiesen werden, daß die große Masse auf ewig zur Scla¬ verei, zum Elend, ja theilweise zum Untergange verdammt blieb. Das ist der Ausgangspunkt der modernen Volkswirthschaftslehre, so entstand die „traurige Wissenschaft", welche am Menschen allein die Eigenschaften in Er¬ wägung zieht, „die ihm gemein sind mit dem Pferde und dem Ochsen." Das ist das Resultat der Freihandelspolitik! Bedarf es weiterer Beweise, daß nur das Schutzsystem die einzige Rettung ist? Wieviel von Carey's Angriffen gegen das englische System auf Rech¬ nung des Nationalhasses zu setzen sei, haben wir nicht zu untersuchen. Uns liegt die Frage vor: hat Carey die Theorien Ricardo's und Malthus' in der That umgestoßen? und wir antworten darauf entschieden mit Nein. Angenommen, es sei die ursprüngliche Ansiedelung in der That allenthalben auf dem ärmeren Boden erfolgt. — was beweist das gegen Ricardo?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/76>, abgerufen am 26.08.2024.