Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

Bild:
<< vorherige Seite

schwierige Aufgabe, vor die sich der Biograph gestellt sieht, wenn er ein Bild
von den schriftstellerischen Erzeugnissen eines Rousseau geben soll. Die Schwie¬
rigkeit liegt hier sowohl in der einander parallel laufenden Wichtigkeit von
Form und Inhalt der Werke, als in der Verschiedenheit der von dem Autor
angebauten Gebiete, welche eine gleichmäßige Vertrautheit des Berichterstat¬
ters mit der jeweiligen Materie fast zu einer Unmöglichkeit macht. Es hilft
nichts: um ein anschauliches Bild von Rousseau's Leistungen durch eine ob¬
jective Würdigung derselben zu liefern, bedarf es einer längeren methodischen
Versenkung in die einzelnen Fächer, die er nach einander behandelt hat,
und in deren Geschichte. Der Herr Verfasser, der sich dieses Bedürfniß nicht
deutlich gemacht hat, läßt es auf den Zufall seiner größeren oder geringeren
Vertrautheit mit den von seinem Autor in die Hand genommenen Gegen¬
ständen ankommen, und so wird der Werth seiner Referate ein verschiedenar¬
tiger, je nachdem er mit Fächern, in denen er zu Hause ist, wie mit den
musikalischen und poetischen Unternehmungen Rousseau's, oder mit dessen
ästhetisch-kritischen und pädagogischen Arbeiten, von denen solches nicht gleicher¬
maßen gilt, zu thun hat. Was den gleichmäßigen Anspruch auf Berücksich¬
tigung betrifft, den Form und Inhalt der Schriften erhebt, so hat Rosenkranz
bei seinem Diderot es gut machen, "durch Auszüge aus seinen Schriften dem
Leser soviel möglich eine eigene Einschau in ihren Inhalt und zugleich eine
Vorstellung ihrer Form zu geben." Bei Rousseau's wissenschaftlichen Pro¬
duktionen ist es unmöglich, beiderlei Forderungen immer in gleicher Weise
nachzukommen. Um dem Leser etwas von seiner Form verständlich werden
zu lassen genügt es im Allgemeinen, bei dem Referat über Kleineres
den Faden des Autors einzuhalten. Bei den größeren, auch schon
bei den überhaupt systematischeren Erörterungen ist der Inhalt so fest
und compact, daß er mit Zerschlagung der Form, in der er gegeben ist, her¬
vorgehoben werden muß. Da tritt er in den Analysen, wie sie Herr Brocker¬
hoff auch von Hauptwerken geliefert har, nicht gehörig hervor. Bei einem
bahnbrechenden, Neues ausstellenden, Neues anregenden Geist, wie Rousseau,
ist es mit Auszügen und angeknüpften Sonderbemerkungen nicht gethan;
so bekommt man nur. Gedankenbüschel, aber nichts Einheitliches in die Hand.
Vielmehr müssen die vom Autor oft versteckten leitenden Instanzen aufgesucht,
die Folgerungen und Ergebnisse unter ihren Einheitspunkt gerückt, die etwai¬
gen vereinzelten Abweichungen vom Princip, um dieses im Ganzen durchleuch¬
ten zu lassen, gebührend zurückgestellt, die Hauptmomente concentrirt, die
Nebendinge ihnen untergeordnet oder ganz übergangen werden. Wir denken
nicht daran, hier die Arbeit des Herrn Verfassers nach der genannten Richtung
ergänzen zu wollen. Aber darauf machen wir aufmerksam, daß das von
uns vorgeschlagene Zurückgehen auf die grundlegenden Sätze das oft eran-


schwierige Aufgabe, vor die sich der Biograph gestellt sieht, wenn er ein Bild
von den schriftstellerischen Erzeugnissen eines Rousseau geben soll. Die Schwie¬
rigkeit liegt hier sowohl in der einander parallel laufenden Wichtigkeit von
Form und Inhalt der Werke, als in der Verschiedenheit der von dem Autor
angebauten Gebiete, welche eine gleichmäßige Vertrautheit des Berichterstat¬
ters mit der jeweiligen Materie fast zu einer Unmöglichkeit macht. Es hilft
nichts: um ein anschauliches Bild von Rousseau's Leistungen durch eine ob¬
jective Würdigung derselben zu liefern, bedarf es einer längeren methodischen
Versenkung in die einzelnen Fächer, die er nach einander behandelt hat,
und in deren Geschichte. Der Herr Verfasser, der sich dieses Bedürfniß nicht
deutlich gemacht hat, läßt es auf den Zufall seiner größeren oder geringeren
Vertrautheit mit den von seinem Autor in die Hand genommenen Gegen¬
ständen ankommen, und so wird der Werth seiner Referate ein verschiedenar¬
tiger, je nachdem er mit Fächern, in denen er zu Hause ist, wie mit den
musikalischen und poetischen Unternehmungen Rousseau's, oder mit dessen
ästhetisch-kritischen und pädagogischen Arbeiten, von denen solches nicht gleicher¬
maßen gilt, zu thun hat. Was den gleichmäßigen Anspruch auf Berücksich¬
tigung betrifft, den Form und Inhalt der Schriften erhebt, so hat Rosenkranz
bei seinem Diderot es gut machen, „durch Auszüge aus seinen Schriften dem
Leser soviel möglich eine eigene Einschau in ihren Inhalt und zugleich eine
Vorstellung ihrer Form zu geben." Bei Rousseau's wissenschaftlichen Pro¬
duktionen ist es unmöglich, beiderlei Forderungen immer in gleicher Weise
nachzukommen. Um dem Leser etwas von seiner Form verständlich werden
zu lassen genügt es im Allgemeinen, bei dem Referat über Kleineres
den Faden des Autors einzuhalten. Bei den größeren, auch schon
bei den überhaupt systematischeren Erörterungen ist der Inhalt so fest
und compact, daß er mit Zerschlagung der Form, in der er gegeben ist, her¬
vorgehoben werden muß. Da tritt er in den Analysen, wie sie Herr Brocker¬
hoff auch von Hauptwerken geliefert har, nicht gehörig hervor. Bei einem
bahnbrechenden, Neues ausstellenden, Neues anregenden Geist, wie Rousseau,
ist es mit Auszügen und angeknüpften Sonderbemerkungen nicht gethan;
so bekommt man nur. Gedankenbüschel, aber nichts Einheitliches in die Hand.
Vielmehr müssen die vom Autor oft versteckten leitenden Instanzen aufgesucht,
die Folgerungen und Ergebnisse unter ihren Einheitspunkt gerückt, die etwai¬
gen vereinzelten Abweichungen vom Princip, um dieses im Ganzen durchleuch¬
ten zu lassen, gebührend zurückgestellt, die Hauptmomente concentrirt, die
Nebendinge ihnen untergeordnet oder ganz übergangen werden. Wir denken
nicht daran, hier die Arbeit des Herrn Verfassers nach der genannten Richtung
ergänzen zu wollen. Aber darauf machen wir aufmerksam, daß das von
uns vorgeschlagene Zurückgehen auf die grundlegenden Sätze das oft eran-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0550" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/287262"/>
          <p xml:id="ID_1396" prev="#ID_1395" next="#ID_1397"> schwierige Aufgabe, vor die sich der Biograph gestellt sieht, wenn er ein Bild<lb/>
von den schriftstellerischen Erzeugnissen eines Rousseau geben soll. Die Schwie¬<lb/>
rigkeit liegt hier sowohl in der einander parallel laufenden Wichtigkeit von<lb/>
Form und Inhalt der Werke, als in der Verschiedenheit der von dem Autor<lb/>
angebauten Gebiete, welche eine gleichmäßige Vertrautheit des Berichterstat¬<lb/>
ters mit der jeweiligen Materie fast zu einer Unmöglichkeit macht. Es hilft<lb/>
nichts: um ein anschauliches Bild von Rousseau's Leistungen durch eine ob¬<lb/>
jective Würdigung derselben zu liefern, bedarf es einer längeren methodischen<lb/>
Versenkung in die einzelnen Fächer, die er nach einander behandelt hat,<lb/>
und in deren Geschichte. Der Herr Verfasser, der sich dieses Bedürfniß nicht<lb/>
deutlich gemacht hat, läßt es auf den Zufall seiner größeren oder geringeren<lb/>
Vertrautheit mit den von seinem Autor in die Hand genommenen Gegen¬<lb/>
ständen ankommen, und so wird der Werth seiner Referate ein verschiedenar¬<lb/>
tiger, je nachdem er mit Fächern, in denen er zu Hause ist, wie mit den<lb/>
musikalischen und poetischen Unternehmungen Rousseau's, oder mit dessen<lb/>
ästhetisch-kritischen und pädagogischen Arbeiten, von denen solches nicht gleicher¬<lb/>
maßen gilt, zu thun hat. Was den gleichmäßigen Anspruch auf Berücksich¬<lb/>
tigung betrifft, den Form und Inhalt der Schriften erhebt, so hat Rosenkranz<lb/>
bei seinem Diderot es gut machen, &#x201E;durch Auszüge aus seinen Schriften dem<lb/>
Leser soviel möglich eine eigene Einschau in ihren Inhalt und zugleich eine<lb/>
Vorstellung ihrer Form zu geben." Bei Rousseau's wissenschaftlichen Pro¬<lb/>
duktionen ist es unmöglich, beiderlei Forderungen immer in gleicher Weise<lb/>
nachzukommen. Um dem Leser etwas von seiner Form verständlich werden<lb/>
zu lassen genügt es im Allgemeinen, bei dem Referat über Kleineres<lb/>
den Faden des Autors einzuhalten. Bei den größeren, auch schon<lb/>
bei den überhaupt systematischeren Erörterungen ist der Inhalt so fest<lb/>
und compact, daß er mit Zerschlagung der Form, in der er gegeben ist, her¬<lb/>
vorgehoben werden muß. Da tritt er in den Analysen, wie sie Herr Brocker¬<lb/>
hoff auch von Hauptwerken geliefert har, nicht gehörig hervor. Bei einem<lb/>
bahnbrechenden, Neues ausstellenden, Neues anregenden Geist, wie Rousseau,<lb/>
ist es mit Auszügen und angeknüpften Sonderbemerkungen nicht gethan;<lb/>
so bekommt man nur. Gedankenbüschel, aber nichts Einheitliches in die Hand.<lb/>
Vielmehr müssen die vom Autor oft versteckten leitenden Instanzen aufgesucht,<lb/>
die Folgerungen und Ergebnisse unter ihren Einheitspunkt gerückt, die etwai¬<lb/>
gen vereinzelten Abweichungen vom Princip, um dieses im Ganzen durchleuch¬<lb/>
ten zu lassen, gebührend zurückgestellt, die Hauptmomente concentrirt, die<lb/>
Nebendinge ihnen untergeordnet oder ganz übergangen werden. Wir denken<lb/>
nicht daran, hier die Arbeit des Herrn Verfassers nach der genannten Richtung<lb/>
ergänzen zu wollen. Aber darauf machen wir aufmerksam, daß das von<lb/>
uns vorgeschlagene Zurückgehen auf die grundlegenden Sätze das oft eran-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0550] schwierige Aufgabe, vor die sich der Biograph gestellt sieht, wenn er ein Bild von den schriftstellerischen Erzeugnissen eines Rousseau geben soll. Die Schwie¬ rigkeit liegt hier sowohl in der einander parallel laufenden Wichtigkeit von Form und Inhalt der Werke, als in der Verschiedenheit der von dem Autor angebauten Gebiete, welche eine gleichmäßige Vertrautheit des Berichterstat¬ ters mit der jeweiligen Materie fast zu einer Unmöglichkeit macht. Es hilft nichts: um ein anschauliches Bild von Rousseau's Leistungen durch eine ob¬ jective Würdigung derselben zu liefern, bedarf es einer längeren methodischen Versenkung in die einzelnen Fächer, die er nach einander behandelt hat, und in deren Geschichte. Der Herr Verfasser, der sich dieses Bedürfniß nicht deutlich gemacht hat, läßt es auf den Zufall seiner größeren oder geringeren Vertrautheit mit den von seinem Autor in die Hand genommenen Gegen¬ ständen ankommen, und so wird der Werth seiner Referate ein verschiedenar¬ tiger, je nachdem er mit Fächern, in denen er zu Hause ist, wie mit den musikalischen und poetischen Unternehmungen Rousseau's, oder mit dessen ästhetisch-kritischen und pädagogischen Arbeiten, von denen solches nicht gleicher¬ maßen gilt, zu thun hat. Was den gleichmäßigen Anspruch auf Berücksich¬ tigung betrifft, den Form und Inhalt der Schriften erhebt, so hat Rosenkranz bei seinem Diderot es gut machen, „durch Auszüge aus seinen Schriften dem Leser soviel möglich eine eigene Einschau in ihren Inhalt und zugleich eine Vorstellung ihrer Form zu geben." Bei Rousseau's wissenschaftlichen Pro¬ duktionen ist es unmöglich, beiderlei Forderungen immer in gleicher Weise nachzukommen. Um dem Leser etwas von seiner Form verständlich werden zu lassen genügt es im Allgemeinen, bei dem Referat über Kleineres den Faden des Autors einzuhalten. Bei den größeren, auch schon bei den überhaupt systematischeren Erörterungen ist der Inhalt so fest und compact, daß er mit Zerschlagung der Form, in der er gegeben ist, her¬ vorgehoben werden muß. Da tritt er in den Analysen, wie sie Herr Brocker¬ hoff auch von Hauptwerken geliefert har, nicht gehörig hervor. Bei einem bahnbrechenden, Neues ausstellenden, Neues anregenden Geist, wie Rousseau, ist es mit Auszügen und angeknüpften Sonderbemerkungen nicht gethan; so bekommt man nur. Gedankenbüschel, aber nichts Einheitliches in die Hand. Vielmehr müssen die vom Autor oft versteckten leitenden Instanzen aufgesucht, die Folgerungen und Ergebnisse unter ihren Einheitspunkt gerückt, die etwai¬ gen vereinzelten Abweichungen vom Princip, um dieses im Ganzen durchleuch¬ ten zu lassen, gebührend zurückgestellt, die Hauptmomente concentrirt, die Nebendinge ihnen untergeordnet oder ganz übergangen werden. Wir denken nicht daran, hier die Arbeit des Herrn Verfassers nach der genannten Richtung ergänzen zu wollen. Aber darauf machen wir aufmerksam, daß das von uns vorgeschlagene Zurückgehen auf die grundlegenden Sätze das oft eran-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/550
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/550>, abgerufen am 26.06.2024.