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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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namigen altpreußischen Behörden, fungiren als eigentliche erste Instanzen 90
Amtsgerichte, 46 in Holstein. 44 in Schleswig, mit Sprengeln von durchschnitt¬
lich 10--12,000 Seelen. Die Vorzüge solcher auf dem Einzelrichteramt ruhenden
Gerichtsverfassung, die innigere, menschlichere Beziehung zwischen Richter und
Gerichtseingesessenen. zwischen der Gerichtsstelle und den örtlichen Bedürfnissen
des Lebens, der seßhaftere Charakter des mit seinem Amtsbezirk verwachsenden
Beamten: den Gewohnheiten und Anschauungen des Landvolkes dieser nord¬
deutschen Gaue entsprechen sie so durchaus, daß man dreist behaupten kann,
unsere Bevölkerung in Dorf und Flecken und Kleinstadt würde dem speci¬
fischen Kreisrichterthum niemals Verständniß und Respect abgewonnen haben.
Freilich gehört dazu eine behäbigere sociale Stellung des Richters, als sie
der preußische Justizetat gewährleistet, eine Stellung, wie sie unsere jetzigen
Amtsrichter in ihren behaglichen alten Amtshäusern und mit ihren 2--4000
Thalern Jahresgehalt glücklicherweise noch genießen. -- Was aber hier der
Schleswig-holsteinschen Justiz Gutes gegeben und gelassen worden ist, das ist
ihr auf der anderen Seite von Seiten der berliner Bureaukratie reichlich wieder
genommen und verdorben worden durch das Geschenk des bisher unbekannten
Bureauwesens, die Jmportirung des subalternen Bureaubeamtenthums. Der
holsteinsche Richter der vorpreußischen Zeit kannte durchgängig das Ding
nicht, was man Bureau nennt. Er hatte sein "Comptoir", in dem er aus
eigener Tasche zur Besorgung des Schreibwerks sich einen Schreiber oder
.Bevollmächtigten" hielt und nach eigenem Geschmack sich eine Art Buch¬
führung über seinen Geschäftsbetrieb, seine Einnahmen u. s. w. einrichtete;
nur in größeren Jurisdictionsbezirken fungjrte wohl auch ein junger Jurist
als "Secretär", und manchmal sah das Ganze dem Betrieb einer Fleisch¬
bank ziemlich ähnlich. Jetzt stürzte plötzlich mit einer tüchtigen Zahl alt¬
preußisch routinirter Subalternbeamter der ganze complicirte Apparat von
Bureaureglements, Acteneinrichtung. Registern, Journalen, Controlen, For¬
mularen, Kasseninstructionen, Decretiren. Expediren, Mundiren. Revidiren
und Collationiren, Vortragsnummern und Kostenzetteln und wie die ge-
heimnißvollen Dinge alle heißen, über das Unschuldsalter der Justiz hinein.
Rasch verbreitete sich von den Kreisgerichten aus die subalterne Art von
Dünkel, Ueberhebung, zähem Festhalten an der Schablone auch unter die
Amtsgerichtssecretäre. Unsere alten Richter, denen es unerhört erschien, sich
von unstudirten "Schreibern" in theils unverständliche, theils lächerliche For-
malien einzwängen, sich bei jedem Schritt controliren und corrigiren zu
lassen, kämpfen noch heute mit wirklicher Racenfeindschaft gegen die Sub¬
alternen und diesen unerträglichen Terrorismus des "Formenkrams". Für
den entfernten Beobachter sind diese sich zahllos und endlos fortspinnenden
Conflicte eine geradezu tragische Erscheinung. Ist es einem doch, als sähe


namigen altpreußischen Behörden, fungiren als eigentliche erste Instanzen 90
Amtsgerichte, 46 in Holstein. 44 in Schleswig, mit Sprengeln von durchschnitt¬
lich 10—12,000 Seelen. Die Vorzüge solcher auf dem Einzelrichteramt ruhenden
Gerichtsverfassung, die innigere, menschlichere Beziehung zwischen Richter und
Gerichtseingesessenen. zwischen der Gerichtsstelle und den örtlichen Bedürfnissen
des Lebens, der seßhaftere Charakter des mit seinem Amtsbezirk verwachsenden
Beamten: den Gewohnheiten und Anschauungen des Landvolkes dieser nord¬
deutschen Gaue entsprechen sie so durchaus, daß man dreist behaupten kann,
unsere Bevölkerung in Dorf und Flecken und Kleinstadt würde dem speci¬
fischen Kreisrichterthum niemals Verständniß und Respect abgewonnen haben.
Freilich gehört dazu eine behäbigere sociale Stellung des Richters, als sie
der preußische Justizetat gewährleistet, eine Stellung, wie sie unsere jetzigen
Amtsrichter in ihren behaglichen alten Amtshäusern und mit ihren 2—4000
Thalern Jahresgehalt glücklicherweise noch genießen. — Was aber hier der
Schleswig-holsteinschen Justiz Gutes gegeben und gelassen worden ist, das ist
ihr auf der anderen Seite von Seiten der berliner Bureaukratie reichlich wieder
genommen und verdorben worden durch das Geschenk des bisher unbekannten
Bureauwesens, die Jmportirung des subalternen Bureaubeamtenthums. Der
holsteinsche Richter der vorpreußischen Zeit kannte durchgängig das Ding
nicht, was man Bureau nennt. Er hatte sein „Comptoir", in dem er aus
eigener Tasche zur Besorgung des Schreibwerks sich einen Schreiber oder
.Bevollmächtigten" hielt und nach eigenem Geschmack sich eine Art Buch¬
führung über seinen Geschäftsbetrieb, seine Einnahmen u. s. w. einrichtete;
nur in größeren Jurisdictionsbezirken fungjrte wohl auch ein junger Jurist
als „Secretär", und manchmal sah das Ganze dem Betrieb einer Fleisch¬
bank ziemlich ähnlich. Jetzt stürzte plötzlich mit einer tüchtigen Zahl alt¬
preußisch routinirter Subalternbeamter der ganze complicirte Apparat von
Bureaureglements, Acteneinrichtung. Registern, Journalen, Controlen, For¬
mularen, Kasseninstructionen, Decretiren. Expediren, Mundiren. Revidiren
und Collationiren, Vortragsnummern und Kostenzetteln und wie die ge-
heimnißvollen Dinge alle heißen, über das Unschuldsalter der Justiz hinein.
Rasch verbreitete sich von den Kreisgerichten aus die subalterne Art von
Dünkel, Ueberhebung, zähem Festhalten an der Schablone auch unter die
Amtsgerichtssecretäre. Unsere alten Richter, denen es unerhört erschien, sich
von unstudirten „Schreibern" in theils unverständliche, theils lächerliche For-
malien einzwängen, sich bei jedem Schritt controliren und corrigiren zu
lassen, kämpfen noch heute mit wirklicher Racenfeindschaft gegen die Sub¬
alternen und diesen unerträglichen Terrorismus des „Formenkrams". Für
den entfernten Beobachter sind diese sich zahllos und endlos fortspinnenden
Conflicte eine geradezu tragische Erscheinung. Ist es einem doch, als sähe


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/535>, abgerufen am 04.07.2024.