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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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geheimste Gedanke der modernen Staatskräfte und das stillste Wirken der
Blüthe und Verfall der Völker bestimmenden Mächte freier und unverhülltev
beobachten läßt, als gerade hier. Gerade in dieser Schleswig-holsteinischen
Erwerbung fiel dem preußischen Staate ein Gebiet zu, staatenloser, als je
eins zuvor, mehr als jede andere neue Provinz dazu geschaffen, ungehindert
durch Bestehendes und Ueberliefertes und eine vorgefundene existenzberech¬
tigte Ordnung, unbeengt durch pärticularistische und dynastische Rücksichten
ganz frei im besten Stile des Jahrhunderts organisirt und eingefügt zu wer¬
den in den großen Neubau des deutschen Staats. Preußen gewann an
Leuten einen wohlerhaltenen Rest einst niedersächsischen Volkswesens, noch
fest auf der breiten germanischen Basis der Landgemeinde ruhend, in diesem
seinem Kerne bisher weder von demokratischen oder konstitutionellem Fieber
angekränkelt, noch durch Bureaukratie oder Junkerthum verderbt, in seinem
politischen Denken ebenso voll conservativer Anlagen, wie in seiner socialen
Zusammensetzung voll von Elementen des Selfgovernments. Muß nicht
die sich hier etablirende neue Staatsordnung, die Art, in der Land und
Leute sich hineinleben in das Regiment, die wirkliche Gravitation der Dinge
in Deutschland am zuverlässigsten klar legen? Ich meine, ob der deutsche
Staat der Zukunft unabänderlich angewiesen bleibt auf die Grundzüge, die
Schwächen und Gebrechen des altpreußischen Hohenzollern-Staats, wie er
auf den überlebten Fundamenten der landesväterlichen Monarchie mit con-
stitutionellen Formeln widernatürlich verquickt sich seit dem wiener Congreß
entwickelt hat, ob das preußisch-deutsche Volk denn nicht endlich hoffen darf,
der engbrüstigen Configuration ledig, in vollem Athemzuge des Schaffens das
von der Monarchie überlieferte Material frei zu verwerthen zum Besten
des dem eigensten Genius entsprechenden nationalen Gebäudes -- für diese
Prognose bleibt Schleswig-Holstein ein überaus geeignetes Beobachtungs¬
feld. Zum Verständniß dessen mögen die folgenden Mittheilungen etwas
bettragen.

Politische Romantiker sind die treuen Holsten wohl niemals gewesen.
Sie hätten es sich immerhin ein gut Stück Geld kosten lassen, wenn die
Welt ihnen geglaubt hätte, daß sie es seien, und wenn ihnen durch zähes Fest¬
halten an dem Anstammungsprincip des Erbprinzen von Augustenburg die klein¬
staatliche Behaglichkeit erhalten geblieben wäre. Nach dem Tage von Sadowa
war es ihrem verständigen Sinn für das Unvermeidliche und für die Autorität
geschichtlicher Thatsachen vollkommen klar, daß es mit der Spekulation auf
den Kleinstaat definitiv zu Ende sei. Nicht, daß 'sie nun flugs gute Preußen
geworden wären; aber die Partei des Erbprinzen hörte als solche auf zu
existiren, das prinzliche Erbrecht war endgiltig beseitigt aus dem Bereich
des politischen Wirkens und Handelns, das Beamtenthum bemühte sich eifrig


geheimste Gedanke der modernen Staatskräfte und das stillste Wirken der
Blüthe und Verfall der Völker bestimmenden Mächte freier und unverhülltev
beobachten läßt, als gerade hier. Gerade in dieser Schleswig-holsteinischen
Erwerbung fiel dem preußischen Staate ein Gebiet zu, staatenloser, als je
eins zuvor, mehr als jede andere neue Provinz dazu geschaffen, ungehindert
durch Bestehendes und Ueberliefertes und eine vorgefundene existenzberech¬
tigte Ordnung, unbeengt durch pärticularistische und dynastische Rücksichten
ganz frei im besten Stile des Jahrhunderts organisirt und eingefügt zu wer¬
den in den großen Neubau des deutschen Staats. Preußen gewann an
Leuten einen wohlerhaltenen Rest einst niedersächsischen Volkswesens, noch
fest auf der breiten germanischen Basis der Landgemeinde ruhend, in diesem
seinem Kerne bisher weder von demokratischen oder konstitutionellem Fieber
angekränkelt, noch durch Bureaukratie oder Junkerthum verderbt, in seinem
politischen Denken ebenso voll conservativer Anlagen, wie in seiner socialen
Zusammensetzung voll von Elementen des Selfgovernments. Muß nicht
die sich hier etablirende neue Staatsordnung, die Art, in der Land und
Leute sich hineinleben in das Regiment, die wirkliche Gravitation der Dinge
in Deutschland am zuverlässigsten klar legen? Ich meine, ob der deutsche
Staat der Zukunft unabänderlich angewiesen bleibt auf die Grundzüge, die
Schwächen und Gebrechen des altpreußischen Hohenzollern-Staats, wie er
auf den überlebten Fundamenten der landesväterlichen Monarchie mit con-
stitutionellen Formeln widernatürlich verquickt sich seit dem wiener Congreß
entwickelt hat, ob das preußisch-deutsche Volk denn nicht endlich hoffen darf,
der engbrüstigen Configuration ledig, in vollem Athemzuge des Schaffens das
von der Monarchie überlieferte Material frei zu verwerthen zum Besten
des dem eigensten Genius entsprechenden nationalen Gebäudes — für diese
Prognose bleibt Schleswig-Holstein ein überaus geeignetes Beobachtungs¬
feld. Zum Verständniß dessen mögen die folgenden Mittheilungen etwas
bettragen.

Politische Romantiker sind die treuen Holsten wohl niemals gewesen.
Sie hätten es sich immerhin ein gut Stück Geld kosten lassen, wenn die
Welt ihnen geglaubt hätte, daß sie es seien, und wenn ihnen durch zähes Fest¬
halten an dem Anstammungsprincip des Erbprinzen von Augustenburg die klein¬
staatliche Behaglichkeit erhalten geblieben wäre. Nach dem Tage von Sadowa
war es ihrem verständigen Sinn für das Unvermeidliche und für die Autorität
geschichtlicher Thatsachen vollkommen klar, daß es mit der Spekulation auf
den Kleinstaat definitiv zu Ende sei. Nicht, daß 'sie nun flugs gute Preußen
geworden wären; aber die Partei des Erbprinzen hörte als solche auf zu
existiren, das prinzliche Erbrecht war endgiltig beseitigt aus dem Bereich
des politischen Wirkens und Handelns, das Beamtenthum bemühte sich eifrig


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/529>, abgerufen am 04.07.2024.