Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

Bild:
<< vorherige Seite

unabhängigen, durch die Bukowina, Galizien und Dalmatien abgerundeten
Ungarreichs träumen, es immer vermeiden könnten, ihre nach Rußland fehle"
leuten raizischen, .rumänischen und ruthenischen Mitbürger durch die polnische
Lanze in Schach zu halten und den breiten magyarischen Reitersäbel in slo¬
wakischen Gespanschasten leuchten zu lassen?

Aehnliche Wahrnehmungen drängen sich einem aus andern Gebieten
auf. In den böhmischen Landstädten sitzt die Hökerin bei ihrem Kram auf
dem Markte, noch immer vertieft in das Studium ihres Traumbuchs -- es
gibt Traumbüchlein in beiden Landessprachen -- und deutet sich die Visionen
der vergangenen Nacht. Hat sie im Schlaf ein Schwein, einen Hund oder
Mönch gesehen, so sagt ihr das Orakel aufs Genaueste, welche Nummern sie
in die k. k. kleine Lotterie setzen soll. Jahraus jahrein darbt sich das arme
Volk den letzten Kreuzer vom Leibe ab, um von einer Ziehung zur andern
Lustschlösser zu bauen, während ihm das Stroh im Bette immer fauler wird.
Aber mein Gott, schreit der Finanzminister, in dieser schweren Noth, bei solchen
Deficits! -- Ich begreife, ich entschuldige; sagt nur nicht, angesichts dieser
kleinen Staatslotterie, die ohne Zweifel Millionen trägt, daß Altösterreich
todt und begraben sei.

Kann man nicht ein hundert tausend hohe und niedere Staatsdiener in
Reih und Glied aufmarschiren lassen und ihnen Mann für Mann mittelst
amtlicher Proclamation einen funkelnagelneuen Geist einblasen? Nichts Ein¬
facheres, nichts Leichteres auf der Welt, glauben Manche. Als der selige
Kaiser Max von Mexiko einige Zeit vor seiner Thronbesteigung in Southamp'
ton in England war und die Stadtbehörden ihn feierlich begrüßten, ver¬
sicherte er ihnen: "Wir Oestreicher haben jetzt eine Verfassung ganz wie die
eure" (guitv- lito z^our our). Welches Gesicht Bürger und Bürgermeister
dazu machten, verrieth keine Zeitung; wahrscheinlich ein merkwürdiges, denn
der erwartete Nachsatz: "ana In"v about an ^.uLtrian loxm?" (Wie wär'6
nun mit einer östreichischen Anleihe?) blieb dem armen Erzherzog in der Kehle
stecken. Nicht minder phantasiereich ist die Versicherung großdeutscher wiener
Patrioten, daß in Oestreich die persönliche Freiheit "ganz wie in England"
gesichert sei und daß es nur noch darauf ankomme, die englische Achtung
vor dem Gesetze "einzuführen." Natürlich gibt es und gab es hierzulande
immer liebenswürdige Offiziere, höfliche Zollbeamte und sogar Polizeisoldaten,
die im Stande sind, einen Handwerksburschen mit Herablassung zu behandeln.
Wenn aber ein Arbeiter oder Kutscher sich einen Augenblick besinnt, einen"
erhitzten Hüter der Ordnung blindlings zu gehorchen, so kann es geschehen,
daß der gnädige Herr Polizeimann seinen Säbel zieht -- "ganz wie in Eng'
land" nämlich -- und den neuöstreichischen Staatsbürger auf altöstreichisch
zusammensank. Dergleichen geschieht nicht alle Tage; zwei Beispiele der Art


unabhängigen, durch die Bukowina, Galizien und Dalmatien abgerundeten
Ungarreichs träumen, es immer vermeiden könnten, ihre nach Rußland fehle»
leuten raizischen, .rumänischen und ruthenischen Mitbürger durch die polnische
Lanze in Schach zu halten und den breiten magyarischen Reitersäbel in slo¬
wakischen Gespanschasten leuchten zu lassen?

Aehnliche Wahrnehmungen drängen sich einem aus andern Gebieten
auf. In den böhmischen Landstädten sitzt die Hökerin bei ihrem Kram auf
dem Markte, noch immer vertieft in das Studium ihres Traumbuchs — es
gibt Traumbüchlein in beiden Landessprachen — und deutet sich die Visionen
der vergangenen Nacht. Hat sie im Schlaf ein Schwein, einen Hund oder
Mönch gesehen, so sagt ihr das Orakel aufs Genaueste, welche Nummern sie
in die k. k. kleine Lotterie setzen soll. Jahraus jahrein darbt sich das arme
Volk den letzten Kreuzer vom Leibe ab, um von einer Ziehung zur andern
Lustschlösser zu bauen, während ihm das Stroh im Bette immer fauler wird.
Aber mein Gott, schreit der Finanzminister, in dieser schweren Noth, bei solchen
Deficits! — Ich begreife, ich entschuldige; sagt nur nicht, angesichts dieser
kleinen Staatslotterie, die ohne Zweifel Millionen trägt, daß Altösterreich
todt und begraben sei.

Kann man nicht ein hundert tausend hohe und niedere Staatsdiener in
Reih und Glied aufmarschiren lassen und ihnen Mann für Mann mittelst
amtlicher Proclamation einen funkelnagelneuen Geist einblasen? Nichts Ein¬
facheres, nichts Leichteres auf der Welt, glauben Manche. Als der selige
Kaiser Max von Mexiko einige Zeit vor seiner Thronbesteigung in Southamp'
ton in England war und die Stadtbehörden ihn feierlich begrüßten, ver¬
sicherte er ihnen: „Wir Oestreicher haben jetzt eine Verfassung ganz wie die
eure" (guitv- lito z^our our). Welches Gesicht Bürger und Bürgermeister
dazu machten, verrieth keine Zeitung; wahrscheinlich ein merkwürdiges, denn
der erwartete Nachsatz: „ana In»v about an ^.uLtrian loxm?" (Wie wär'6
nun mit einer östreichischen Anleihe?) blieb dem armen Erzherzog in der Kehle
stecken. Nicht minder phantasiereich ist die Versicherung großdeutscher wiener
Patrioten, daß in Oestreich die persönliche Freiheit „ganz wie in England"
gesichert sei und daß es nur noch darauf ankomme, die englische Achtung
vor dem Gesetze „einzuführen." Natürlich gibt es und gab es hierzulande
immer liebenswürdige Offiziere, höfliche Zollbeamte und sogar Polizeisoldaten,
die im Stande sind, einen Handwerksburschen mit Herablassung zu behandeln.
Wenn aber ein Arbeiter oder Kutscher sich einen Augenblick besinnt, einen«
erhitzten Hüter der Ordnung blindlings zu gehorchen, so kann es geschehen,
daß der gnädige Herr Polizeimann seinen Säbel zieht — „ganz wie in Eng'
land" nämlich — und den neuöstreichischen Staatsbürger auf altöstreichisch
zusammensank. Dergleichen geschieht nicht alle Tage; zwei Beispiele der Art


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0510" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/287222"/>
          <p xml:id="ID_1298" prev="#ID_1297"> unabhängigen, durch die Bukowina, Galizien und Dalmatien abgerundeten<lb/>
Ungarreichs träumen, es immer vermeiden könnten, ihre nach Rußland fehle»<lb/>
leuten raizischen, .rumänischen und ruthenischen Mitbürger durch die polnische<lb/>
Lanze in Schach zu halten und den breiten magyarischen Reitersäbel in slo¬<lb/>
wakischen Gespanschasten leuchten zu lassen?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1299"> Aehnliche Wahrnehmungen drängen sich einem aus andern Gebieten<lb/>
auf. In den böhmischen Landstädten sitzt die Hökerin bei ihrem Kram auf<lb/>
dem Markte, noch immer vertieft in das Studium ihres Traumbuchs &#x2014; es<lb/>
gibt Traumbüchlein in beiden Landessprachen &#x2014; und deutet sich die Visionen<lb/>
der vergangenen Nacht. Hat sie im Schlaf ein Schwein, einen Hund oder<lb/>
Mönch gesehen, so sagt ihr das Orakel aufs Genaueste, welche Nummern sie<lb/>
in die k. k. kleine Lotterie setzen soll. Jahraus jahrein darbt sich das arme<lb/>
Volk den letzten Kreuzer vom Leibe ab, um von einer Ziehung zur andern<lb/>
Lustschlösser zu bauen, während ihm das Stroh im Bette immer fauler wird.<lb/>
Aber mein Gott, schreit der Finanzminister, in dieser schweren Noth, bei solchen<lb/>
Deficits! &#x2014; Ich begreife, ich entschuldige; sagt nur nicht, angesichts dieser<lb/>
kleinen Staatslotterie, die ohne Zweifel Millionen trägt, daß Altösterreich<lb/>
todt und begraben sei.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1300" next="#ID_1301"> Kann man nicht ein hundert tausend hohe und niedere Staatsdiener in<lb/>
Reih und Glied aufmarschiren lassen und ihnen Mann für Mann mittelst<lb/>
amtlicher Proclamation einen funkelnagelneuen Geist einblasen? Nichts Ein¬<lb/>
facheres, nichts Leichteres auf der Welt, glauben Manche. Als der selige<lb/>
Kaiser Max von Mexiko einige Zeit vor seiner Thronbesteigung in Southamp'<lb/>
ton in England war und die Stadtbehörden ihn feierlich begrüßten, ver¬<lb/>
sicherte er ihnen: &#x201E;Wir Oestreicher haben jetzt eine Verfassung ganz wie die<lb/>
eure" (guitv- lito z^our our). Welches Gesicht Bürger und Bürgermeister<lb/>
dazu machten, verrieth keine Zeitung; wahrscheinlich ein merkwürdiges, denn<lb/>
der erwartete Nachsatz: &#x201E;ana In»v about an ^.uLtrian loxm?" (Wie wär'6<lb/>
nun mit einer östreichischen Anleihe?) blieb dem armen Erzherzog in der Kehle<lb/>
stecken. Nicht minder phantasiereich ist die Versicherung großdeutscher wiener<lb/>
Patrioten, daß in Oestreich die persönliche Freiheit &#x201E;ganz wie in England"<lb/>
gesichert sei und daß es nur noch darauf ankomme, die englische Achtung<lb/>
vor dem Gesetze &#x201E;einzuführen." Natürlich gibt es und gab es hierzulande<lb/>
immer liebenswürdige Offiziere, höfliche Zollbeamte und sogar Polizeisoldaten,<lb/>
die im Stande sind, einen Handwerksburschen mit Herablassung zu behandeln.<lb/>
Wenn aber ein Arbeiter oder Kutscher sich einen Augenblick besinnt, einen«<lb/>
erhitzten Hüter der Ordnung blindlings zu gehorchen, so kann es geschehen,<lb/>
daß der gnädige Herr Polizeimann seinen Säbel zieht &#x2014; &#x201E;ganz wie in Eng'<lb/>
land" nämlich &#x2014; und den neuöstreichischen Staatsbürger auf altöstreichisch<lb/>
zusammensank.  Dergleichen geschieht nicht alle Tage; zwei Beispiele der Art</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0510] unabhängigen, durch die Bukowina, Galizien und Dalmatien abgerundeten Ungarreichs träumen, es immer vermeiden könnten, ihre nach Rußland fehle» leuten raizischen, .rumänischen und ruthenischen Mitbürger durch die polnische Lanze in Schach zu halten und den breiten magyarischen Reitersäbel in slo¬ wakischen Gespanschasten leuchten zu lassen? Aehnliche Wahrnehmungen drängen sich einem aus andern Gebieten auf. In den böhmischen Landstädten sitzt die Hökerin bei ihrem Kram auf dem Markte, noch immer vertieft in das Studium ihres Traumbuchs — es gibt Traumbüchlein in beiden Landessprachen — und deutet sich die Visionen der vergangenen Nacht. Hat sie im Schlaf ein Schwein, einen Hund oder Mönch gesehen, so sagt ihr das Orakel aufs Genaueste, welche Nummern sie in die k. k. kleine Lotterie setzen soll. Jahraus jahrein darbt sich das arme Volk den letzten Kreuzer vom Leibe ab, um von einer Ziehung zur andern Lustschlösser zu bauen, während ihm das Stroh im Bette immer fauler wird. Aber mein Gott, schreit der Finanzminister, in dieser schweren Noth, bei solchen Deficits! — Ich begreife, ich entschuldige; sagt nur nicht, angesichts dieser kleinen Staatslotterie, die ohne Zweifel Millionen trägt, daß Altösterreich todt und begraben sei. Kann man nicht ein hundert tausend hohe und niedere Staatsdiener in Reih und Glied aufmarschiren lassen und ihnen Mann für Mann mittelst amtlicher Proclamation einen funkelnagelneuen Geist einblasen? Nichts Ein¬ facheres, nichts Leichteres auf der Welt, glauben Manche. Als der selige Kaiser Max von Mexiko einige Zeit vor seiner Thronbesteigung in Southamp' ton in England war und die Stadtbehörden ihn feierlich begrüßten, ver¬ sicherte er ihnen: „Wir Oestreicher haben jetzt eine Verfassung ganz wie die eure" (guitv- lito z^our our). Welches Gesicht Bürger und Bürgermeister dazu machten, verrieth keine Zeitung; wahrscheinlich ein merkwürdiges, denn der erwartete Nachsatz: „ana In»v about an ^.uLtrian loxm?" (Wie wär'6 nun mit einer östreichischen Anleihe?) blieb dem armen Erzherzog in der Kehle stecken. Nicht minder phantasiereich ist die Versicherung großdeutscher wiener Patrioten, daß in Oestreich die persönliche Freiheit „ganz wie in England" gesichert sei und daß es nur noch darauf ankomme, die englische Achtung vor dem Gesetze „einzuführen." Natürlich gibt es und gab es hierzulande immer liebenswürdige Offiziere, höfliche Zollbeamte und sogar Polizeisoldaten, die im Stande sind, einen Handwerksburschen mit Herablassung zu behandeln. Wenn aber ein Arbeiter oder Kutscher sich einen Augenblick besinnt, einen« erhitzten Hüter der Ordnung blindlings zu gehorchen, so kann es geschehen, daß der gnädige Herr Polizeimann seinen Säbel zieht — „ganz wie in Eng' land" nämlich — und den neuöstreichischen Staatsbürger auf altöstreichisch zusammensank. Dergleichen geschieht nicht alle Tage; zwei Beispiele der Art

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/510
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/510>, abgerufen am 04.07.2024.