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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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zeichnet wie der Palazzo Cassarelli auf dem Capitol. Bunsen hatte nicht mit
den Botschaftern Rußlands und Frankreichs an äußerem Glanz der Reprä¬
sentation zu wetteifern, aber er wußte sich rasch jenen gewünschten kapito¬
linischen Club zu bilden, einen Kreis bedeutender englischer und deutscher
Männer und Frauen, in dem er sich anregend und empfangend gern bewegte;
kaum eine geistig hervorragende Persönlichkeit kam nach London, der man
nicht in seinem Hause begegnete. Der mitgetheilte Brief einer Tochter (II, 270)
schildert den Theetisch i. I. 1831, wo sich damals Wiehern, Bernays, Waagen,
Krummacher, Graf A. PourtaW u. A. täglich zusammenfanden. Durch seine
Heirath von den Engländern halb als der Ihrige betrachtet betheiligte Bunsen
sich namentlich lebhaft an den wissenschaftlichen und religiösen Fragen, welche
damals anfingen, die Geister zu bewegen und gewann bald entschiedenen Ein¬
fluß auf die jüngeren strebenden Leute wie A. Stanley u. A., indem er sie
auf die Bedeutung der deutschen Wissenschaft für die Kritik verwies. Ander¬
seits wirkte er thätig für die londoner Deutschen durch die Gründung des
deutschen Hospitals und der deutschen Stadtmission.

Mehr als diese Dinge aber mußten Bunsen die Fragen der konstitutio¬
nellen Entwickelung Preußens und der nationalen Gestaltung Deutschlands
bewegen; er erörterte diese Capitel lebhaft mit Prinz Albert und dessen
weisem Rathgeber Baron Stvckmar, suchte auch die Ansicht bedeutender eng¬
lischer Staatsmänner, namentlich Peel's einzuholen, um dadurch in Berlin
zu wirken. Peel schloß eine längere Unterhaltung in Drayton Menor über
diesen Gegenstand mit den Worten: "Ich hoffe der König wird bereit sein,
den Wünschen seiner Unterthanen nachzugeben -- es ist gut, Zugeständnisse
zu machen, so lange dies' möglich -- viele Fürsten haben es zu beklagen ge<
habt, daß sie die Stunde der Concessionen haben vorübergehen lassen, welche
nie wiederkehrt. Möge der König bedenken, wie Necker's geringschätzige
Behandlung Mirabeau's die Revolution beschleunigte." -- Aber derartige
Rathschläge scheiterten an dem Widerwillen des Königs gegen eine ge¬
schriebene Verfassung, sein an sich oft sehr richtiger Blick erkannte die Schatten¬
seiten einer Charte, wie sie in Frankreich bestand und damals vom deutsche"
Liberalismus als Panacee gefordert ward; aber er zögerte seinerseits mit den
grundlegenden Reformen vorzugehen, er wollte nicht gedrängt sein und ver¬
folgte die Tantalusarbeit, die Traditionen der Haller'schen und der Stein-
Schön'schen Schule zu vereinigen; so schwand die Popularität rasch, welche
ihn bei seiner Thronbesteigung begrüßt, und als Bunsen sich 1844 aus Ein¬
ladung seines Gebieters nach Berlin begab, ward er erschreckt durch den Um¬
schwung der Stimmung. "Die Dinge" schreibt er von Cöln, "nehmen hie^
eine düstere Wendung; bei den besten Absichten macht man fortwährend Mi߬
griffe, was geschieht wird getadelt, entweder weil es wirklich falsch ist oder weil


zeichnet wie der Palazzo Cassarelli auf dem Capitol. Bunsen hatte nicht mit
den Botschaftern Rußlands und Frankreichs an äußerem Glanz der Reprä¬
sentation zu wetteifern, aber er wußte sich rasch jenen gewünschten kapito¬
linischen Club zu bilden, einen Kreis bedeutender englischer und deutscher
Männer und Frauen, in dem er sich anregend und empfangend gern bewegte;
kaum eine geistig hervorragende Persönlichkeit kam nach London, der man
nicht in seinem Hause begegnete. Der mitgetheilte Brief einer Tochter (II, 270)
schildert den Theetisch i. I. 1831, wo sich damals Wiehern, Bernays, Waagen,
Krummacher, Graf A. PourtaW u. A. täglich zusammenfanden. Durch seine
Heirath von den Engländern halb als der Ihrige betrachtet betheiligte Bunsen
sich namentlich lebhaft an den wissenschaftlichen und religiösen Fragen, welche
damals anfingen, die Geister zu bewegen und gewann bald entschiedenen Ein¬
fluß auf die jüngeren strebenden Leute wie A. Stanley u. A., indem er sie
auf die Bedeutung der deutschen Wissenschaft für die Kritik verwies. Ander¬
seits wirkte er thätig für die londoner Deutschen durch die Gründung des
deutschen Hospitals und der deutschen Stadtmission.

Mehr als diese Dinge aber mußten Bunsen die Fragen der konstitutio¬
nellen Entwickelung Preußens und der nationalen Gestaltung Deutschlands
bewegen; er erörterte diese Capitel lebhaft mit Prinz Albert und dessen
weisem Rathgeber Baron Stvckmar, suchte auch die Ansicht bedeutender eng¬
lischer Staatsmänner, namentlich Peel's einzuholen, um dadurch in Berlin
zu wirken. Peel schloß eine längere Unterhaltung in Drayton Menor über
diesen Gegenstand mit den Worten: „Ich hoffe der König wird bereit sein,
den Wünschen seiner Unterthanen nachzugeben — es ist gut, Zugeständnisse
zu machen, so lange dies' möglich — viele Fürsten haben es zu beklagen ge<
habt, daß sie die Stunde der Concessionen haben vorübergehen lassen, welche
nie wiederkehrt. Möge der König bedenken, wie Necker's geringschätzige
Behandlung Mirabeau's die Revolution beschleunigte." — Aber derartige
Rathschläge scheiterten an dem Widerwillen des Königs gegen eine ge¬
schriebene Verfassung, sein an sich oft sehr richtiger Blick erkannte die Schatten¬
seiten einer Charte, wie sie in Frankreich bestand und damals vom deutsche»
Liberalismus als Panacee gefordert ward; aber er zögerte seinerseits mit den
grundlegenden Reformen vorzugehen, er wollte nicht gedrängt sein und ver¬
folgte die Tantalusarbeit, die Traditionen der Haller'schen und der Stein-
Schön'schen Schule zu vereinigen; so schwand die Popularität rasch, welche
ihn bei seiner Thronbesteigung begrüßt, und als Bunsen sich 1844 aus Ein¬
ladung seines Gebieters nach Berlin begab, ward er erschreckt durch den Um¬
schwung der Stimmung. „Die Dinge" schreibt er von Cöln, „nehmen hie^
eine düstere Wendung; bei den besten Absichten macht man fortwährend Mi߬
griffe, was geschieht wird getadelt, entweder weil es wirklich falsch ist oder weil


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/496>, abgerufen am 04.07.2024.