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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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nymer Zuschriften) -- nimmt er vorzugsweise die Geistlichkeit aufs Korn.
Ja. seinen zweiten Brief an die Anonymen, in welchem er, gelegentlich der
von einem Geistlichen an seiner Geliebten begangenen Mordthat, die Sitten
der Kleriker und die Folgen des Cölibats in Verbindung mit der Ohren¬
beichte tractirt. wollte Mancher, z. B. A. Carrel. mit Courier's plötzlichem
Tode in Verbindung bringen. --

Nicht unerwähnt dürfen seine zahlreichen Proceßschriften bleiben, in denen
er die ihm widerfahrenen Verfolgungen der rachsüchtigen Bureaukratie charak¬
terisier, besonders eine im Namen seines Waldhüters verfaßte, auf den sich
der Haß seiner Feinde erstreckte ("?ierre Olg.viel' an Lloväeau a, Nessieurs
Iss -luALS as Police chi-z-eetiollellö s, Liois"). Er sagte damals ungefähr:
"Wer meine Wälder anzündet wird freigesprochen oder belohnt, wer sie be¬
schützt wird verurtheilt!"

Sein Schwanengesang war das "Pamphlet der Pamphlete" (1824),
in welchem er die Aufgabe des politischen Schriftstellers würdigt und die Be¬
deutung des Pamphlets in das wahre Licht stellt. Mit einer Wärme und
Rührung, wie er sie sonst selten verräth, schildert er das Märtyrerthum der
freien Presse an sich und Anderen. Der Schluß ist, wie eine Todesahnung,
ein wehmüthiger Abschied von seinen Lesern. "Laß diesen Kelch an mir
vorübergehen, die Welt wird sich auch ohne mich bekehren" ruft er aus.
wie er ein Jahr vorher sich in seinem Tagebuche sagen ließ: "Paul-Louis, die
Pfaffen werden dich umbringen!" --

Sein Tod. er wurde am 10. April 1823 unweit seines Hauses erschossen
gefunden, ist unaufgeklärt geblieben. An Feinden hat es dem unerschrockenen
unbesonnenen Manne nicht gefehlt. Aber welcher Art sind die Feinde, die ihre
Missethat in solches Dunkel zu hüllen wissen! -

Trotz seines abenteuerlichen Lebens und des geheimnißvollen Dunkels,
das sein Ende umgibt, hat Courier nicht nachhaltig auf die Gemüther seiner
Zeitgenossen und der nächstfolgenden Generation gewirkt. Er nimmt weder
in der Literaturgeschichte, noch in der Publicistik den ganzen Platz ein, der
ihm gebührt. Die muthmaßlichen Gründe hierfür haben wir am Eingange
dieses Artikels angedeutet. Uns will es bedünken, als könne Courier durch
Vergleichung mit den gefeiertsten Publicisten nur gewinnen. Die Engländer
mögen Jurnus nennen, die Deutschen Ludwig Börne ihm an die Seite
stellen; aber wie viel kühner, poetischer, vorurtheilsfreier ist er. als der
große britische Anonymus, der im Dienste einer bestimmten, enge begrenzten
konstitutionellen Partei schrieb und so sehr Stockengländer war. daß ihm
für den nordamerikanischen Unabhängigkeitskampf das Verständniß fehlte.
Courier hat weniger Bosheit, aber viel mehr Wärme; er ist liebenswürdig
und human, auch in seinen persönlichen Fehden. Junius ist oft übertrieben,


nymer Zuschriften) — nimmt er vorzugsweise die Geistlichkeit aufs Korn.
Ja. seinen zweiten Brief an die Anonymen, in welchem er, gelegentlich der
von einem Geistlichen an seiner Geliebten begangenen Mordthat, die Sitten
der Kleriker und die Folgen des Cölibats in Verbindung mit der Ohren¬
beichte tractirt. wollte Mancher, z. B. A. Carrel. mit Courier's plötzlichem
Tode in Verbindung bringen. —

Nicht unerwähnt dürfen seine zahlreichen Proceßschriften bleiben, in denen
er die ihm widerfahrenen Verfolgungen der rachsüchtigen Bureaukratie charak¬
terisier, besonders eine im Namen seines Waldhüters verfaßte, auf den sich
der Haß seiner Feinde erstreckte („?ierre Olg.viel' an Lloväeau a, Nessieurs
Iss -luALS as Police chi-z-eetiollellö s, Liois"). Er sagte damals ungefähr:
„Wer meine Wälder anzündet wird freigesprochen oder belohnt, wer sie be¬
schützt wird verurtheilt!"

Sein Schwanengesang war das „Pamphlet der Pamphlete" (1824),
in welchem er die Aufgabe des politischen Schriftstellers würdigt und die Be¬
deutung des Pamphlets in das wahre Licht stellt. Mit einer Wärme und
Rührung, wie er sie sonst selten verräth, schildert er das Märtyrerthum der
freien Presse an sich und Anderen. Der Schluß ist, wie eine Todesahnung,
ein wehmüthiger Abschied von seinen Lesern. „Laß diesen Kelch an mir
vorübergehen, die Welt wird sich auch ohne mich bekehren" ruft er aus.
wie er ein Jahr vorher sich in seinem Tagebuche sagen ließ: „Paul-Louis, die
Pfaffen werden dich umbringen!" —

Sein Tod. er wurde am 10. April 1823 unweit seines Hauses erschossen
gefunden, ist unaufgeklärt geblieben. An Feinden hat es dem unerschrockenen
unbesonnenen Manne nicht gefehlt. Aber welcher Art sind die Feinde, die ihre
Missethat in solches Dunkel zu hüllen wissen! -

Trotz seines abenteuerlichen Lebens und des geheimnißvollen Dunkels,
das sein Ende umgibt, hat Courier nicht nachhaltig auf die Gemüther seiner
Zeitgenossen und der nächstfolgenden Generation gewirkt. Er nimmt weder
in der Literaturgeschichte, noch in der Publicistik den ganzen Platz ein, der
ihm gebührt. Die muthmaßlichen Gründe hierfür haben wir am Eingange
dieses Artikels angedeutet. Uns will es bedünken, als könne Courier durch
Vergleichung mit den gefeiertsten Publicisten nur gewinnen. Die Engländer
mögen Jurnus nennen, die Deutschen Ludwig Börne ihm an die Seite
stellen; aber wie viel kühner, poetischer, vorurtheilsfreier ist er. als der
große britische Anonymus, der im Dienste einer bestimmten, enge begrenzten
konstitutionellen Partei schrieb und so sehr Stockengländer war. daß ihm
für den nordamerikanischen Unabhängigkeitskampf das Verständniß fehlte.
Courier hat weniger Bosheit, aber viel mehr Wärme; er ist liebenswürdig
und human, auch in seinen persönlichen Fehden. Junius ist oft übertrieben,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/450>, abgerufen am 04.07.2024.