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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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dem der junge, später berühmte Advocat Berville als Vertheidiger glänzend
seine Sporen verdiente.

Man lebte sehr gesellig in Sande-Magie, wo Courier seine Strafe ab¬
saß, kurz bevor Be'ranger dieses Prytaneum bezog, auf das die ersten Gei¬
ster Frankreichs damals Anwartschaft hatten. Seine Kerkerbrtefe rühmen
den Comfort, dessen er genießt, erwähnen der vielen Besuche und Huldigun¬
gen, die er empfängt und welche sich allmählich so häufen, daß er sich im
Gefängniß über gesellschaftliche Belästigung beklagt und manchmal nach Ein¬
samkeit sehnt. Aber er war so wenig zum Märtyrerthum gemacht, so wenig
geeignet, nach fremdem Willen und Gesetz zu leben, daß er schon in den ersten
Tagen bereute, sich nicht der Strafe entzogen zu haben. Und kaum hatte
er sie überstanden, so drohte ihm ein neuer Proceß wegen seiner "Petition
an die D eputirtenkammer sür die Dorfbewohner, denen man
das Tanzen verbietet" (66. 13. Juli 1822). Selten hat wohl eine
Kammer so schöne Petitionen empfangen! Der finstere Ultramontanismus,
der damals Frankreich beherrschte, wollte eine strengere Sonntagsfeier
erzwingen. Courier schildert das Dorfleben der Touraine in seiner ganzen
mittäglichen Heiterkeit von der Zeit an. da Guillot und Perrette zum Du¬
delsack sprangen, während sie die Violinen des Hoff mit ihrem Schweiß und
Blut bezahlen mußten ("paxer IW violons" ist eine bekannte Redensart in
Frankreich), bis zu der Zeit des befreiten Eigenthums, wo sie selbst zur
Violine tanzen. Dann führt er uns einen gemüthlichen alten Geistlichen
vor. der den Lustbarkeiten zuschaut und das junge Volk ermuntert, und stellt
ihm einen hageren jungen Fanatiker gegenüber, der dem Volke fremd ist.
hassend und verhaßt, seine Jnstructionen von der hohen Klerisei erhält und
Mit der Präfectur reactionäre Pläne schmiedet. Das Volk, sagt er. ist mit
der neuen Gesetzgebung wohlhabender, glücklicher, geschetdter. gebildeter und
sittlicher geworden, aber frommer ist es nicht geworden. Zum Schluß
^age er, ob es an der Zeit sei, ein Volk das von bewaffneten Feinden be-
droht sei, den Mönchen unterzuordnen und Gebete auswendig lernen zu
lassen. -

Der Kelch einer zweiten Verurtheilung ist an ihm vorüber gegangen,
"der Courier ließ es sich gesagt sein und schrieb von nun an seine stärksten
Stücke anonym. Doch welcher Gebildete hätte nicht gleich Courier's Stil
^kannt! Bald hatte er Mühe, einen Drucker zu finden, der die Gefahren
der Mitschuld auf sich genommen hätte und schließlich mußte er sich in Paris,
5v>e einstmals in Rom wegen des Dintenflecks, an eine Winkeldruckerei
Wenden.

In seinen späteren Schriften -- "Paul-Louis' Tagebuch", "Die Dorf-
Zeiturig", "die Briefe an die Anonymen" (angebliche Beantwortungen ano-


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dem der junge, später berühmte Advocat Berville als Vertheidiger glänzend
seine Sporen verdiente.

Man lebte sehr gesellig in Sande-Magie, wo Courier seine Strafe ab¬
saß, kurz bevor Be'ranger dieses Prytaneum bezog, auf das die ersten Gei¬
ster Frankreichs damals Anwartschaft hatten. Seine Kerkerbrtefe rühmen
den Comfort, dessen er genießt, erwähnen der vielen Besuche und Huldigun¬
gen, die er empfängt und welche sich allmählich so häufen, daß er sich im
Gefängniß über gesellschaftliche Belästigung beklagt und manchmal nach Ein¬
samkeit sehnt. Aber er war so wenig zum Märtyrerthum gemacht, so wenig
geeignet, nach fremdem Willen und Gesetz zu leben, daß er schon in den ersten
Tagen bereute, sich nicht der Strafe entzogen zu haben. Und kaum hatte
er sie überstanden, so drohte ihm ein neuer Proceß wegen seiner „Petition
an die D eputirtenkammer sür die Dorfbewohner, denen man
das Tanzen verbietet" (66. 13. Juli 1822). Selten hat wohl eine
Kammer so schöne Petitionen empfangen! Der finstere Ultramontanismus,
der damals Frankreich beherrschte, wollte eine strengere Sonntagsfeier
erzwingen. Courier schildert das Dorfleben der Touraine in seiner ganzen
mittäglichen Heiterkeit von der Zeit an. da Guillot und Perrette zum Du¬
delsack sprangen, während sie die Violinen des Hoff mit ihrem Schweiß und
Blut bezahlen mußten („paxer IW violons" ist eine bekannte Redensart in
Frankreich), bis zu der Zeit des befreiten Eigenthums, wo sie selbst zur
Violine tanzen. Dann führt er uns einen gemüthlichen alten Geistlichen
vor. der den Lustbarkeiten zuschaut und das junge Volk ermuntert, und stellt
ihm einen hageren jungen Fanatiker gegenüber, der dem Volke fremd ist.
hassend und verhaßt, seine Jnstructionen von der hohen Klerisei erhält und
Mit der Präfectur reactionäre Pläne schmiedet. Das Volk, sagt er. ist mit
der neuen Gesetzgebung wohlhabender, glücklicher, geschetdter. gebildeter und
sittlicher geworden, aber frommer ist es nicht geworden. Zum Schluß
^age er, ob es an der Zeit sei, ein Volk das von bewaffneten Feinden be-
droht sei, den Mönchen unterzuordnen und Gebete auswendig lernen zu
lassen. -

Der Kelch einer zweiten Verurtheilung ist an ihm vorüber gegangen,
"der Courier ließ es sich gesagt sein und schrieb von nun an seine stärksten
Stücke anonym. Doch welcher Gebildete hätte nicht gleich Courier's Stil
^kannt! Bald hatte er Mühe, einen Drucker zu finden, der die Gefahren
der Mitschuld auf sich genommen hätte und schließlich mußte er sich in Paris,
5v>e einstmals in Rom wegen des Dintenflecks, an eine Winkeldruckerei
Wenden.

In seinen späteren Schriften — „Paul-Louis' Tagebuch", „Die Dorf-
Zeiturig", „die Briefe an die Anonymen" (angebliche Beantwortungen ano-


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[0449] dem der junge, später berühmte Advocat Berville als Vertheidiger glänzend seine Sporen verdiente. Man lebte sehr gesellig in Sande-Magie, wo Courier seine Strafe ab¬ saß, kurz bevor Be'ranger dieses Prytaneum bezog, auf das die ersten Gei¬ ster Frankreichs damals Anwartschaft hatten. Seine Kerkerbrtefe rühmen den Comfort, dessen er genießt, erwähnen der vielen Besuche und Huldigun¬ gen, die er empfängt und welche sich allmählich so häufen, daß er sich im Gefängniß über gesellschaftliche Belästigung beklagt und manchmal nach Ein¬ samkeit sehnt. Aber er war so wenig zum Märtyrerthum gemacht, so wenig geeignet, nach fremdem Willen und Gesetz zu leben, daß er schon in den ersten Tagen bereute, sich nicht der Strafe entzogen zu haben. Und kaum hatte er sie überstanden, so drohte ihm ein neuer Proceß wegen seiner „Petition an die D eputirtenkammer sür die Dorfbewohner, denen man das Tanzen verbietet" (66. 13. Juli 1822). Selten hat wohl eine Kammer so schöne Petitionen empfangen! Der finstere Ultramontanismus, der damals Frankreich beherrschte, wollte eine strengere Sonntagsfeier erzwingen. Courier schildert das Dorfleben der Touraine in seiner ganzen mittäglichen Heiterkeit von der Zeit an. da Guillot und Perrette zum Du¬ delsack sprangen, während sie die Violinen des Hoff mit ihrem Schweiß und Blut bezahlen mußten („paxer IW violons" ist eine bekannte Redensart in Frankreich), bis zu der Zeit des befreiten Eigenthums, wo sie selbst zur Violine tanzen. Dann führt er uns einen gemüthlichen alten Geistlichen vor. der den Lustbarkeiten zuschaut und das junge Volk ermuntert, und stellt ihm einen hageren jungen Fanatiker gegenüber, der dem Volke fremd ist. hassend und verhaßt, seine Jnstructionen von der hohen Klerisei erhält und Mit der Präfectur reactionäre Pläne schmiedet. Das Volk, sagt er. ist mit der neuen Gesetzgebung wohlhabender, glücklicher, geschetdter. gebildeter und sittlicher geworden, aber frommer ist es nicht geworden. Zum Schluß ^age er, ob es an der Zeit sei, ein Volk das von bewaffneten Feinden be- droht sei, den Mönchen unterzuordnen und Gebete auswendig lernen zu lassen. - Der Kelch einer zweiten Verurtheilung ist an ihm vorüber gegangen, "der Courier ließ es sich gesagt sein und schrieb von nun an seine stärksten Stücke anonym. Doch welcher Gebildete hätte nicht gleich Courier's Stil ^kannt! Bald hatte er Mühe, einen Drucker zu finden, der die Gefahren der Mitschuld auf sich genommen hätte und schließlich mußte er sich in Paris, 5v>e einstmals in Rom wegen des Dintenflecks, an eine Winkeldruckerei Wenden. In seinen späteren Schriften — „Paul-Louis' Tagebuch", „Die Dorf- Zeiturig", „die Briefe an die Anonymen" (angebliche Beantwortungen ano- 53*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/449>, abgerufen am 04.07.2024.