Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

Bild:
<< vorherige Seite

In diesen elf Briefen liegt ein ganzes politisches System, so gut wie in
Benjamin Constant's sämmtlichen Werken, aber es ist ein politisches System
bearbeitet von einem Dichter. Ja, Courier offenbart sich hier als ein wirk¬
licher Dichter, denn eben durch die Anschaulichkeit und Abrundung seiner Bilder
zeichnet er sich vor allen anderen Publicisten aus. Gewisse Figuren, die bei
ihm immer wiederkehren, wie der bekannte Marcellus (Höfling, Junker,
Diplomat, mittelmäßiger Archäologe und schlechter Poet) oder der Staats¬
anwalt Jean de Broö, der ihn mit so viel Hartnäckigkeit verfolgte, treten
uns leibhaftig vor die Augen. Auf der anderen Seite sehen wir seine
Bauern in ihrem ländlichen Treiben und unter den Peinigungen der amt¬
lichen Dorftyrannen in Genrebildern, so lebendig und nur viel realistischer,
als in irgend einer Auerbach'schen Dorfgeschichte. Das Alles erscheint so
natürlich, jeder Satz, jede Aeußerung drängt sich auf, als ob sie sich ganz
von selbst verstände, und doch ist der Stil so gefeilt, daß man kein Wort
in seinem Periodenbau missen möchte oder verändern könnte. Es gehört
allerdings zum Wesen des Witzes, in einer fein berechneten und sehr ver¬
dichteten Form aufzutreten, so daß Schriftsteller von schlagendem Witz selten
dem Umfang nach sehr productiv sind. Wer in die Werkstätte des Courier'-
schen Geistes blickt, merkt, daß er oft an einem einzelnen Satze sehr lange
gearbeitet und für diese oder jene Wendung seine alten Lieblingsautoren,
!- B. Montaigne oder Pascal, zu Rathe gezogen und verglichen hat, und
Zwar dies gerade am meisten da, wo sein Stil am einfachsten, leichtesten und
populärsten klingt. --

Seines Vaters Prophezeiung, daß nichts aus ihm werden würde, be-
Währte sich noch einmal 1820, als er sich um ein Abgeordnetenmandat be¬
warb. Die Bureaukratie machte kurzen Proceß mit ihm; sie strich ihn von
der Liste der Wähler, indem sie sein festes Dominik bestritt. Obgleich er in der
Provinz reich begütert war und 13--1400 Francs directer Steuern bezahlte,
sollte Paris für seinen eigentlichen Wohnsitz gellen. In Paris sein Dominik
geltend zu machen, wäre absurd und zwecklos gewesen -- und so befand sich
Paul-Louis plötzlich heimathlos. Er, der Soldat vieler Schlachten, der
Schriftsteller und Gelehrte, auf den die Nation stolz sein konnte, der Guts¬
besitzer, der Hort der Schwachen in der Provinz, plötzlich durch ein kurzes
Manöver zum Vagabunden gestempelt und seiner bürgerlichen Rechte be¬
raubt! Wenn wir in neuester Zeit manchmal die Erfindungen der Bureau¬
kratie bewunderten, so zeigt uns dieses Beispiel, auf welch' reichen Schatz er-
Siebiger Traditionen sie sich stützt.

Courier rächte sich in seiner Weise. Er brauchte nicht zwischen Manuel
und Foy zu sitzen, um der Reaction gefährlich zu sein. Vielleicht hätte er
Lar nicht in die Reihen der parlamentarischen Opposition gepaßt. Seine


Grenzboten III. 18K8, 53

In diesen elf Briefen liegt ein ganzes politisches System, so gut wie in
Benjamin Constant's sämmtlichen Werken, aber es ist ein politisches System
bearbeitet von einem Dichter. Ja, Courier offenbart sich hier als ein wirk¬
licher Dichter, denn eben durch die Anschaulichkeit und Abrundung seiner Bilder
zeichnet er sich vor allen anderen Publicisten aus. Gewisse Figuren, die bei
ihm immer wiederkehren, wie der bekannte Marcellus (Höfling, Junker,
Diplomat, mittelmäßiger Archäologe und schlechter Poet) oder der Staats¬
anwalt Jean de Broö, der ihn mit so viel Hartnäckigkeit verfolgte, treten
uns leibhaftig vor die Augen. Auf der anderen Seite sehen wir seine
Bauern in ihrem ländlichen Treiben und unter den Peinigungen der amt¬
lichen Dorftyrannen in Genrebildern, so lebendig und nur viel realistischer,
als in irgend einer Auerbach'schen Dorfgeschichte. Das Alles erscheint so
natürlich, jeder Satz, jede Aeußerung drängt sich auf, als ob sie sich ganz
von selbst verstände, und doch ist der Stil so gefeilt, daß man kein Wort
in seinem Periodenbau missen möchte oder verändern könnte. Es gehört
allerdings zum Wesen des Witzes, in einer fein berechneten und sehr ver¬
dichteten Form aufzutreten, so daß Schriftsteller von schlagendem Witz selten
dem Umfang nach sehr productiv sind. Wer in die Werkstätte des Courier'-
schen Geistes blickt, merkt, daß er oft an einem einzelnen Satze sehr lange
gearbeitet und für diese oder jene Wendung seine alten Lieblingsautoren,
!- B. Montaigne oder Pascal, zu Rathe gezogen und verglichen hat, und
Zwar dies gerade am meisten da, wo sein Stil am einfachsten, leichtesten und
populärsten klingt. —

Seines Vaters Prophezeiung, daß nichts aus ihm werden würde, be-
Währte sich noch einmal 1820, als er sich um ein Abgeordnetenmandat be¬
warb. Die Bureaukratie machte kurzen Proceß mit ihm; sie strich ihn von
der Liste der Wähler, indem sie sein festes Dominik bestritt. Obgleich er in der
Provinz reich begütert war und 13—1400 Francs directer Steuern bezahlte,
sollte Paris für seinen eigentlichen Wohnsitz gellen. In Paris sein Dominik
geltend zu machen, wäre absurd und zwecklos gewesen — und so befand sich
Paul-Louis plötzlich heimathlos. Er, der Soldat vieler Schlachten, der
Schriftsteller und Gelehrte, auf den die Nation stolz sein konnte, der Guts¬
besitzer, der Hort der Schwachen in der Provinz, plötzlich durch ein kurzes
Manöver zum Vagabunden gestempelt und seiner bürgerlichen Rechte be¬
raubt! Wenn wir in neuester Zeit manchmal die Erfindungen der Bureau¬
kratie bewunderten, so zeigt uns dieses Beispiel, auf welch' reichen Schatz er-
Siebiger Traditionen sie sich stützt.

Courier rächte sich in seiner Weise. Er brauchte nicht zwischen Manuel
und Foy zu sitzen, um der Reaction gefährlich zu sein. Vielleicht hätte er
Lar nicht in die Reihen der parlamentarischen Opposition gepaßt. Seine


Grenzboten III. 18K8, 53
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0447" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/287159"/>
          <p xml:id="ID_1142"> In diesen elf Briefen liegt ein ganzes politisches System, so gut wie in<lb/>
Benjamin Constant's sämmtlichen Werken, aber es ist ein politisches System<lb/>
bearbeitet von einem Dichter. Ja, Courier offenbart sich hier als ein wirk¬<lb/>
licher Dichter, denn eben durch die Anschaulichkeit und Abrundung seiner Bilder<lb/>
zeichnet er sich vor allen anderen Publicisten aus. Gewisse Figuren, die bei<lb/>
ihm immer wiederkehren, wie der bekannte Marcellus (Höfling, Junker,<lb/>
Diplomat, mittelmäßiger Archäologe und schlechter Poet) oder der Staats¬<lb/>
anwalt Jean de Broö, der ihn mit so viel Hartnäckigkeit verfolgte, treten<lb/>
uns leibhaftig vor die Augen. Auf der anderen Seite sehen wir seine<lb/>
Bauern in ihrem ländlichen Treiben und unter den Peinigungen der amt¬<lb/>
lichen Dorftyrannen in Genrebildern, so lebendig und nur viel realistischer,<lb/>
als in irgend einer Auerbach'schen Dorfgeschichte. Das Alles erscheint so<lb/>
natürlich, jeder Satz, jede Aeußerung drängt sich auf, als ob sie sich ganz<lb/>
von selbst verstände, und doch ist der Stil so gefeilt, daß man kein Wort<lb/>
in seinem Periodenbau missen möchte oder verändern könnte. Es gehört<lb/>
allerdings zum Wesen des Witzes, in einer fein berechneten und sehr ver¬<lb/>
dichteten Form aufzutreten, so daß Schriftsteller von schlagendem Witz selten<lb/>
dem Umfang nach sehr productiv sind. Wer in die Werkstätte des Courier'-<lb/>
schen Geistes blickt, merkt, daß er oft an einem einzelnen Satze sehr lange<lb/>
gearbeitet und für diese oder jene Wendung seine alten Lieblingsautoren,<lb/>
!- B. Montaigne oder Pascal, zu Rathe gezogen und verglichen hat, und<lb/>
Zwar dies gerade am meisten da, wo sein Stil am einfachsten, leichtesten und<lb/>
populärsten klingt. &#x2014;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1143"> Seines Vaters Prophezeiung, daß nichts aus ihm werden würde, be-<lb/>
Währte sich noch einmal 1820, als er sich um ein Abgeordnetenmandat be¬<lb/>
warb. Die Bureaukratie machte kurzen Proceß mit ihm; sie strich ihn von<lb/>
der Liste der Wähler, indem sie sein festes Dominik bestritt. Obgleich er in der<lb/>
Provinz reich begütert war und 13&#x2014;1400 Francs directer Steuern bezahlte,<lb/>
sollte Paris für seinen eigentlichen Wohnsitz gellen. In Paris sein Dominik<lb/>
geltend zu machen, wäre absurd und zwecklos gewesen &#x2014; und so befand sich<lb/>
Paul-Louis plötzlich heimathlos. Er, der Soldat vieler Schlachten, der<lb/>
Schriftsteller und Gelehrte, auf den die Nation stolz sein konnte, der Guts¬<lb/>
besitzer, der Hort der Schwachen in der Provinz, plötzlich durch ein kurzes<lb/>
Manöver zum Vagabunden gestempelt und seiner bürgerlichen Rechte be¬<lb/>
raubt! Wenn wir in neuester Zeit manchmal die Erfindungen der Bureau¬<lb/>
kratie bewunderten, so zeigt uns dieses Beispiel, auf welch' reichen Schatz er-<lb/>
Siebiger Traditionen sie sich stützt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1144" next="#ID_1145"> Courier rächte sich in seiner Weise. Er brauchte nicht zwischen Manuel<lb/>
und Foy zu sitzen, um der Reaction gefährlich zu sein. Vielleicht hätte er<lb/>
Lar nicht in die Reihen der parlamentarischen Opposition gepaßt. Seine</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten III. 18K8, 53</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0447] In diesen elf Briefen liegt ein ganzes politisches System, so gut wie in Benjamin Constant's sämmtlichen Werken, aber es ist ein politisches System bearbeitet von einem Dichter. Ja, Courier offenbart sich hier als ein wirk¬ licher Dichter, denn eben durch die Anschaulichkeit und Abrundung seiner Bilder zeichnet er sich vor allen anderen Publicisten aus. Gewisse Figuren, die bei ihm immer wiederkehren, wie der bekannte Marcellus (Höfling, Junker, Diplomat, mittelmäßiger Archäologe und schlechter Poet) oder der Staats¬ anwalt Jean de Broö, der ihn mit so viel Hartnäckigkeit verfolgte, treten uns leibhaftig vor die Augen. Auf der anderen Seite sehen wir seine Bauern in ihrem ländlichen Treiben und unter den Peinigungen der amt¬ lichen Dorftyrannen in Genrebildern, so lebendig und nur viel realistischer, als in irgend einer Auerbach'schen Dorfgeschichte. Das Alles erscheint so natürlich, jeder Satz, jede Aeußerung drängt sich auf, als ob sie sich ganz von selbst verstände, und doch ist der Stil so gefeilt, daß man kein Wort in seinem Periodenbau missen möchte oder verändern könnte. Es gehört allerdings zum Wesen des Witzes, in einer fein berechneten und sehr ver¬ dichteten Form aufzutreten, so daß Schriftsteller von schlagendem Witz selten dem Umfang nach sehr productiv sind. Wer in die Werkstätte des Courier'- schen Geistes blickt, merkt, daß er oft an einem einzelnen Satze sehr lange gearbeitet und für diese oder jene Wendung seine alten Lieblingsautoren, !- B. Montaigne oder Pascal, zu Rathe gezogen und verglichen hat, und Zwar dies gerade am meisten da, wo sein Stil am einfachsten, leichtesten und populärsten klingt. — Seines Vaters Prophezeiung, daß nichts aus ihm werden würde, be- Währte sich noch einmal 1820, als er sich um ein Abgeordnetenmandat be¬ warb. Die Bureaukratie machte kurzen Proceß mit ihm; sie strich ihn von der Liste der Wähler, indem sie sein festes Dominik bestritt. Obgleich er in der Provinz reich begütert war und 13—1400 Francs directer Steuern bezahlte, sollte Paris für seinen eigentlichen Wohnsitz gellen. In Paris sein Dominik geltend zu machen, wäre absurd und zwecklos gewesen — und so befand sich Paul-Louis plötzlich heimathlos. Er, der Soldat vieler Schlachten, der Schriftsteller und Gelehrte, auf den die Nation stolz sein konnte, der Guts¬ besitzer, der Hort der Schwachen in der Provinz, plötzlich durch ein kurzes Manöver zum Vagabunden gestempelt und seiner bürgerlichen Rechte be¬ raubt! Wenn wir in neuester Zeit manchmal die Erfindungen der Bureau¬ kratie bewunderten, so zeigt uns dieses Beispiel, auf welch' reichen Schatz er- Siebiger Traditionen sie sich stützt. Courier rächte sich in seiner Weise. Er brauchte nicht zwischen Manuel und Foy zu sitzen, um der Reaction gefährlich zu sein. Vielleicht hätte er Lar nicht in die Reihen der parlamentarischen Opposition gepaßt. Seine Grenzboten III. 18K8, 53

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/447
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/447>, abgerufen am 04.07.2024.