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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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Leidenschaft durch und er ruft aus: "Gerechtigkeit. Billigkeit, Vorsehung,
hohle Worte mit denen man uns gängelt! Wohin ich die Augen wende, sehe
ich das Verbrechen triumphiren und die Unschuld unterdrückt!"

Courier, in dessen Schicksalen sich stets die Ueberraschungen drängen,
machte Glück mit dieser Schrift, für welche er wohl auf Verfolgungen ge¬
faßt war. Decazes, der damalige Polizeiminister, verwerthete seine Bittschrift
gegen das Treiben der Ultraroyalisten und Ultramontanen und machte ihm
selbst Anträge, die natürlich bei Courier nicht verfingen. Aber das Ansehn,
dessen er in Paris genoß, schützte ihn in der Provinz nicht gegen die Erbitte¬
rung des Präfecten und die Ungerechtigkeit der der Präfectur-Satrapie unter¬
worfenen Richter. Seine Leute wurden chicanirt. seine Processe gingen ver¬
loren, ja Pächter und Gutsnachbarn erlaubten sich Unrechtes gegen ihn,
weil sie auf die Connivenz der Gerichte rechneten. Eine Zeitlang freilich
war des Ministers kurze Gunst auch hier nicht ganz wirkungslos geblieben.
-- Courier hat uns diese Zustände aufbewahrt in politischen Lebensbildern,
die auch für andere Zeiten und andere Länder bittere, aber gar nützliche
Wahrheiten enthalten.

Von nun an gehört Courier ganz und gar der Politik an und bald
wird er zu den Orleanisten gezählt, obgleich er mit dem Herzog von Orleans,
dem späteren I^puis - ^Kilipxs in keinerlei persönlicher Verbindung stand.
Nur einen Augenblick noch wurde er von der Politik abgezogen, als nämlich
sein Schwiegervater (1818) starb und seine Freunde in ihn drangen, sich für
den durch Clavier's Tod erledigten Sitz in der "Akademie der Inschriften
und der schönen Wissenschaften" (der philologischen Abtheilung des Instituts)
zu melden. Trotz vieler Zusagen erhielt er am Tage der Wahl nicht eine
einzige Stimme. Ein vornehmer Herr, der einige gelehrte Kleinigkeiten her¬
ausgegeben hatte, wurde ihm vorgezogen, wie das in der französischen Aka¬
demie von jeher Sitte war und noch ist. Das akademische Zopfthum, das
überall darin besteht, sich allen neuen Richtungen gegenüber feindselig zu
verhalten, wird in Frankreich noch gehässiger durch den Geist der Centrali¬
sation, welcher die Wissenschaft und selbst die Sprache unter die Autorität
dieser Körperschaften stellt. Dabei bildete sich naturgemäß eine servile Ge¬
sinnung aus; das Lakaienthum, das Courier beim Ausgang aus der ersten
Revolution und vor dem Eingang in die zweite überall sah, fand sich hier
verschanzt und verstärkt in Traditionen, die ins siebzehnte Jahrhundert hin¬
auf reichen. (Die Dinge sind noch heute nicht viel geändert, nur daß die
gute alte Gesellschaft, die Aristokratie der Faubourgs Saint-Germain und
Saint-Honore' vielfach dem Einfluß des Hofes heute in der Akademie die
Wage hält). Dies war ein Stoff für Courier's satirische Geißel, und so erließ
er (am 20. März 1819) seinen berühmten "Brief an die Herren von der


Leidenschaft durch und er ruft aus: „Gerechtigkeit. Billigkeit, Vorsehung,
hohle Worte mit denen man uns gängelt! Wohin ich die Augen wende, sehe
ich das Verbrechen triumphiren und die Unschuld unterdrückt!"

Courier, in dessen Schicksalen sich stets die Ueberraschungen drängen,
machte Glück mit dieser Schrift, für welche er wohl auf Verfolgungen ge¬
faßt war. Decazes, der damalige Polizeiminister, verwerthete seine Bittschrift
gegen das Treiben der Ultraroyalisten und Ultramontanen und machte ihm
selbst Anträge, die natürlich bei Courier nicht verfingen. Aber das Ansehn,
dessen er in Paris genoß, schützte ihn in der Provinz nicht gegen die Erbitte¬
rung des Präfecten und die Ungerechtigkeit der der Präfectur-Satrapie unter¬
worfenen Richter. Seine Leute wurden chicanirt. seine Processe gingen ver¬
loren, ja Pächter und Gutsnachbarn erlaubten sich Unrechtes gegen ihn,
weil sie auf die Connivenz der Gerichte rechneten. Eine Zeitlang freilich
war des Ministers kurze Gunst auch hier nicht ganz wirkungslos geblieben.
— Courier hat uns diese Zustände aufbewahrt in politischen Lebensbildern,
die auch für andere Zeiten und andere Länder bittere, aber gar nützliche
Wahrheiten enthalten.

Von nun an gehört Courier ganz und gar der Politik an und bald
wird er zu den Orleanisten gezählt, obgleich er mit dem Herzog von Orleans,
dem späteren I^puis - ^Kilipxs in keinerlei persönlicher Verbindung stand.
Nur einen Augenblick noch wurde er von der Politik abgezogen, als nämlich
sein Schwiegervater (1818) starb und seine Freunde in ihn drangen, sich für
den durch Clavier's Tod erledigten Sitz in der „Akademie der Inschriften
und der schönen Wissenschaften" (der philologischen Abtheilung des Instituts)
zu melden. Trotz vieler Zusagen erhielt er am Tage der Wahl nicht eine
einzige Stimme. Ein vornehmer Herr, der einige gelehrte Kleinigkeiten her¬
ausgegeben hatte, wurde ihm vorgezogen, wie das in der französischen Aka¬
demie von jeher Sitte war und noch ist. Das akademische Zopfthum, das
überall darin besteht, sich allen neuen Richtungen gegenüber feindselig zu
verhalten, wird in Frankreich noch gehässiger durch den Geist der Centrali¬
sation, welcher die Wissenschaft und selbst die Sprache unter die Autorität
dieser Körperschaften stellt. Dabei bildete sich naturgemäß eine servile Ge¬
sinnung aus; das Lakaienthum, das Courier beim Ausgang aus der ersten
Revolution und vor dem Eingang in die zweite überall sah, fand sich hier
verschanzt und verstärkt in Traditionen, die ins siebzehnte Jahrhundert hin¬
auf reichen. (Die Dinge sind noch heute nicht viel geändert, nur daß die
gute alte Gesellschaft, die Aristokratie der Faubourgs Saint-Germain und
Saint-Honore' vielfach dem Einfluß des Hofes heute in der Akademie die
Wage hält). Dies war ein Stoff für Courier's satirische Geißel, und so erließ
er (am 20. März 1819) seinen berühmten „Brief an die Herren von der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/444>, abgerufen am 04.07.2024.