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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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Bourbons und den alliirten Armeen zogen diesmal die Jesuitenherrschaft und
der weiße Schrecken ("ig. terrsur blcmeds") ein und bemächtigten sich nament¬
lich derjenigen Provinzialgruppe, zu welcher die Touraine gehörte. Von da
an vollzog sich in der liberalen Partei Frankreichs jener unheilvolle Proceß,
daß ihr das erste Kaiserthum in der Erinnerung als ein populäres Regiment
erschien. Ganz so weit ging Courier nicht, aber auch in seinen Schriften
finden sich Spuren dieses weltgeschichtlichen Mißverständnisses. Der feige
Terrorismus, der doppelt verhaßt war, weil er unter dem Schutze der frem¬
den Invasion geübt ward, ging in Courier's Departement ("Inärs et I-oirs"),
das sich doch an keiner Erhebung betheiligt hatte, so weit, daß der Präfect
binnen Monatsfrist über 600 Menschen einsperren ließ, deren Viele im Ge¬
fängniß starben; Andere verkamen, ihre Familien darbten und kamen nie
wieder auf einen grünen Zweig. Recht war nicht zu finden: die Gerichte
tanzten nach der Pfeife fanatischer Staatsanwälte. Unter dem erschütternden
Eindruck dieser Ungerechtigkeiten und Gewaltthaten erließ Courier seine erste
Politische Schrift, die Petition an beide Kammern vom 10. December 1816,
wodurch er im Bilde seines kleinen Dorfes (Luynes) die Lage seines ganzen
Vaterlandes schildert. Welch' ein Meisterwerk populärer Beredtsamkeit! Welche
Einfachheit in der schlagend überzeugenden Darstellung, und dabei welch' ein
berechneter Wohlklang im Silbenfall! Jedes Kind in Frankreich kennt es
und weiß den Anfang auswendig. "Meine Herren, ich bin Tourainer, ich
bewohne Luynes, auf dem rechten Loire-Ufer, einen Ort der einst be¬
deutend war, den aber die Zurücknahme des Edicts von Nantes bis auf
1000 Seelen gemindert hat und der durch neue Verfolgungen noch tiefer
sinken wird, wenn Ihre Weisheit dem nicht steuert. Ich denke mir. daß
die meisten unter Ihnen nicht recht wissen, was sich seit einigen Monaten
Zu Luynes begibt. Die Nachrichten von hier aus machen wenig Lärm im
Lande, in Paris zumal. Also muß ich wohl mit meiner Erzählung ein bischen
ausholen."

"Es war am Sanct-Martinstag ungefähr ein Jahr, daß man bei uns
bufing, von guten und schlechten Subjecten (sujöt, Subject oder Unterthan)
ZU reden. Was darunter zu verstehen ist, weiß ich nicht recht, und wenn
ichs wüßte, würde ich es nicht sagen, um mich nicht mit gar zu vielen Leuten
^zulegen. Da begegnet eines Morgens Franz Fouquet. der zur großen
Mühle ging, dem Pfarrer, der eine Leiche auf den Kirchhof geleitete."
^urz, Franz Fouquet grüßt den Pfarrer nicht, wird als schlechtes Sub¬
ject verfolgt, wird ruinirt; die sich seiner annehmen wollen, werden mit
in sein Verderben gezogen. Das Alles ist so anschaulich erzählt, daß man
den Berichterstatter für ebenso harmlos und tendenziös halten möchte, wie
er seine ländlichen Nachbarn schildert. Dann aber bricht wieder die edelste


Bourbons und den alliirten Armeen zogen diesmal die Jesuitenherrschaft und
der weiße Schrecken („ig. terrsur blcmeds") ein und bemächtigten sich nament¬
lich derjenigen Provinzialgruppe, zu welcher die Touraine gehörte. Von da
an vollzog sich in der liberalen Partei Frankreichs jener unheilvolle Proceß,
daß ihr das erste Kaiserthum in der Erinnerung als ein populäres Regiment
erschien. Ganz so weit ging Courier nicht, aber auch in seinen Schriften
finden sich Spuren dieses weltgeschichtlichen Mißverständnisses. Der feige
Terrorismus, der doppelt verhaßt war, weil er unter dem Schutze der frem¬
den Invasion geübt ward, ging in Courier's Departement („Inärs et I-oirs"),
das sich doch an keiner Erhebung betheiligt hatte, so weit, daß der Präfect
binnen Monatsfrist über 600 Menschen einsperren ließ, deren Viele im Ge¬
fängniß starben; Andere verkamen, ihre Familien darbten und kamen nie
wieder auf einen grünen Zweig. Recht war nicht zu finden: die Gerichte
tanzten nach der Pfeife fanatischer Staatsanwälte. Unter dem erschütternden
Eindruck dieser Ungerechtigkeiten und Gewaltthaten erließ Courier seine erste
Politische Schrift, die Petition an beide Kammern vom 10. December 1816,
wodurch er im Bilde seines kleinen Dorfes (Luynes) die Lage seines ganzen
Vaterlandes schildert. Welch' ein Meisterwerk populärer Beredtsamkeit! Welche
Einfachheit in der schlagend überzeugenden Darstellung, und dabei welch' ein
berechneter Wohlklang im Silbenfall! Jedes Kind in Frankreich kennt es
und weiß den Anfang auswendig. „Meine Herren, ich bin Tourainer, ich
bewohne Luynes, auf dem rechten Loire-Ufer, einen Ort der einst be¬
deutend war, den aber die Zurücknahme des Edicts von Nantes bis auf
1000 Seelen gemindert hat und der durch neue Verfolgungen noch tiefer
sinken wird, wenn Ihre Weisheit dem nicht steuert. Ich denke mir. daß
die meisten unter Ihnen nicht recht wissen, was sich seit einigen Monaten
Zu Luynes begibt. Die Nachrichten von hier aus machen wenig Lärm im
Lande, in Paris zumal. Also muß ich wohl mit meiner Erzählung ein bischen
ausholen."

„Es war am Sanct-Martinstag ungefähr ein Jahr, daß man bei uns
bufing, von guten und schlechten Subjecten (sujöt, Subject oder Unterthan)
ZU reden. Was darunter zu verstehen ist, weiß ich nicht recht, und wenn
ichs wüßte, würde ich es nicht sagen, um mich nicht mit gar zu vielen Leuten
^zulegen. Da begegnet eines Morgens Franz Fouquet. der zur großen
Mühle ging, dem Pfarrer, der eine Leiche auf den Kirchhof geleitete."
^urz, Franz Fouquet grüßt den Pfarrer nicht, wird als schlechtes Sub¬
ject verfolgt, wird ruinirt; die sich seiner annehmen wollen, werden mit
in sein Verderben gezogen. Das Alles ist so anschaulich erzählt, daß man
den Berichterstatter für ebenso harmlos und tendenziös halten möchte, wie
er seine ländlichen Nachbarn schildert. Dann aber bricht wieder die edelste


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[0443] Bourbons und den alliirten Armeen zogen diesmal die Jesuitenherrschaft und der weiße Schrecken („ig. terrsur blcmeds") ein und bemächtigten sich nament¬ lich derjenigen Provinzialgruppe, zu welcher die Touraine gehörte. Von da an vollzog sich in der liberalen Partei Frankreichs jener unheilvolle Proceß, daß ihr das erste Kaiserthum in der Erinnerung als ein populäres Regiment erschien. Ganz so weit ging Courier nicht, aber auch in seinen Schriften finden sich Spuren dieses weltgeschichtlichen Mißverständnisses. Der feige Terrorismus, der doppelt verhaßt war, weil er unter dem Schutze der frem¬ den Invasion geübt ward, ging in Courier's Departement („Inärs et I-oirs"), das sich doch an keiner Erhebung betheiligt hatte, so weit, daß der Präfect binnen Monatsfrist über 600 Menschen einsperren ließ, deren Viele im Ge¬ fängniß starben; Andere verkamen, ihre Familien darbten und kamen nie wieder auf einen grünen Zweig. Recht war nicht zu finden: die Gerichte tanzten nach der Pfeife fanatischer Staatsanwälte. Unter dem erschütternden Eindruck dieser Ungerechtigkeiten und Gewaltthaten erließ Courier seine erste Politische Schrift, die Petition an beide Kammern vom 10. December 1816, wodurch er im Bilde seines kleinen Dorfes (Luynes) die Lage seines ganzen Vaterlandes schildert. Welch' ein Meisterwerk populärer Beredtsamkeit! Welche Einfachheit in der schlagend überzeugenden Darstellung, und dabei welch' ein berechneter Wohlklang im Silbenfall! Jedes Kind in Frankreich kennt es und weiß den Anfang auswendig. „Meine Herren, ich bin Tourainer, ich bewohne Luynes, auf dem rechten Loire-Ufer, einen Ort der einst be¬ deutend war, den aber die Zurücknahme des Edicts von Nantes bis auf 1000 Seelen gemindert hat und der durch neue Verfolgungen noch tiefer sinken wird, wenn Ihre Weisheit dem nicht steuert. Ich denke mir. daß die meisten unter Ihnen nicht recht wissen, was sich seit einigen Monaten Zu Luynes begibt. Die Nachrichten von hier aus machen wenig Lärm im Lande, in Paris zumal. Also muß ich wohl mit meiner Erzählung ein bischen ausholen." „Es war am Sanct-Martinstag ungefähr ein Jahr, daß man bei uns bufing, von guten und schlechten Subjecten (sujöt, Subject oder Unterthan) ZU reden. Was darunter zu verstehen ist, weiß ich nicht recht, und wenn ichs wüßte, würde ich es nicht sagen, um mich nicht mit gar zu vielen Leuten ^zulegen. Da begegnet eines Morgens Franz Fouquet. der zur großen Mühle ging, dem Pfarrer, der eine Leiche auf den Kirchhof geleitete." ^urz, Franz Fouquet grüßt den Pfarrer nicht, wird als schlechtes Sub¬ ject verfolgt, wird ruinirt; die sich seiner annehmen wollen, werden mit in sein Verderben gezogen. Das Alles ist so anschaulich erzählt, daß man den Berichterstatter für ebenso harmlos und tendenziös halten möchte, wie er seine ländlichen Nachbarn schildert. Dann aber bricht wieder die edelste

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/443>, abgerufen am 04.07.2024.