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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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Zug seines Lebens nicht richtig aufzufassen. Claude Tillier. der geistreiche
Verfasser des humoristischen Romans "Onkel Benjamin" (den Ludwig Pfau
bei der deutschen Lesewelt eingeführt hat), überdies als Sohn der Ton"
raine Courier's engerer Landsmann und in mancher Beziehung sein Schüler,
mäkelt an seinem Charakter herum und sucht die gegen ihn aufgebrachten
Feindschaften in ungünstiger Weise zu erklären. Merkwürdigerweise findet
sich auch in den Schriften Ludwig Börne's, dem aus vielen Aeußerungen
und Wendungen die Bekanntschaft mit Courier nachzuweisen wäre, seiner
keine Erwähnung. Courier war eine einsame Figur, weil er den herrschen¬
den politischen Vorurtheilen feines Volkes, besonders dem Chauvinismus und
der Centralisation entgegentrat und die socialen Schwächen seiner Lands¬
leute, zumal das Höflingswesen, unerbittlich geißelte. Ja, daher, der gründ¬
liche Kenner und glückliche Nachahmer altgriechischer Classicität, an Frank¬
reichs akademischen Zopf zupfte und zum Beispiel von Talma's falschem
Pathos nicht entzückt war, wurde ihm schwer verziehen. Denn der große
Talma und der große Napoleon gehörten zu einander, lernten von einander
und verstanden es beide gleich gut, die Geister Frankreichs imponirend zu
unterjochen. --

Courier steht auf der Grenzscheide zweier Jahrhunderte, zwischen denen
ein Leben in fast gleiche Hälften zerfällt, und in der That hat er von beiden
gewichtige Züge. Wer in Frankreich ein Mann des achtzehnten, des soge¬
nannten philosophischen Jahrhunderts genannt wird, der ist bezeichnet durch
eine gewisse liebenswürdige Frivolität, Galanterie, Eleganz, viel Wahrheits¬
liebe und Pfaffenhaß, wenig Glauben, aber etwas Leichtgläubigkeit und
einen unverkennbaren Zug zum Abenteuerlichen. Voltaire, Diderot, Beau¬
marchais sind die typischen Figuren dieser fruchtbaren Epoche und diese drei
haben auch am meisten dazu beigetragen, den correcten, klaren und durch¬
sichtigen französischen Stil auszubilden, in welchem Courier excellirte und in
welchem noch heute des französischen Geistes eigenste Kunstform besteht. In
dieser Kunstform, die sich besonders zur Polemik eignet, liegt das beste Theil
des echten "esxrit 6auIoiL", das heißt der großen Richtung, welche in der
Geschichte der französischen Literatur bis auf Rabelais und Montaigne zurück¬
zuführen ist. Ihr gegenüber steht die Rousseau'sche Schule mit ihrer ein¬
seitigen Principienreiterei, ihrem oft hohlen Pathos, ihrer gesteigerten Sen¬
timentalität und der forcirten, oft sehr widernatürlichen Sehnsucht nach der
Natur und Natürlichkeit, die. nach der Meinung vieler Franzosen, etwas
Germanisches an sich trägt. Hier wäre eine Linie zu ziehen von Jean Jac¬
ques bis zu George Sand, aber diese Linie würde auch Robespierre, Saint-
Just und noch andere Schreckensmänner berühren. Der Deismus, den diese
Schule zur Schau trägt, und das abstracte Staatsprineip des Rousseau'schen


Zug seines Lebens nicht richtig aufzufassen. Claude Tillier. der geistreiche
Verfasser des humoristischen Romans „Onkel Benjamin" (den Ludwig Pfau
bei der deutschen Lesewelt eingeführt hat), überdies als Sohn der Ton«
raine Courier's engerer Landsmann und in mancher Beziehung sein Schüler,
mäkelt an seinem Charakter herum und sucht die gegen ihn aufgebrachten
Feindschaften in ungünstiger Weise zu erklären. Merkwürdigerweise findet
sich auch in den Schriften Ludwig Börne's, dem aus vielen Aeußerungen
und Wendungen die Bekanntschaft mit Courier nachzuweisen wäre, seiner
keine Erwähnung. Courier war eine einsame Figur, weil er den herrschen¬
den politischen Vorurtheilen feines Volkes, besonders dem Chauvinismus und
der Centralisation entgegentrat und die socialen Schwächen seiner Lands¬
leute, zumal das Höflingswesen, unerbittlich geißelte. Ja, daher, der gründ¬
liche Kenner und glückliche Nachahmer altgriechischer Classicität, an Frank¬
reichs akademischen Zopf zupfte und zum Beispiel von Talma's falschem
Pathos nicht entzückt war, wurde ihm schwer verziehen. Denn der große
Talma und der große Napoleon gehörten zu einander, lernten von einander
und verstanden es beide gleich gut, die Geister Frankreichs imponirend zu
unterjochen. —

Courier steht auf der Grenzscheide zweier Jahrhunderte, zwischen denen
ein Leben in fast gleiche Hälften zerfällt, und in der That hat er von beiden
gewichtige Züge. Wer in Frankreich ein Mann des achtzehnten, des soge¬
nannten philosophischen Jahrhunderts genannt wird, der ist bezeichnet durch
eine gewisse liebenswürdige Frivolität, Galanterie, Eleganz, viel Wahrheits¬
liebe und Pfaffenhaß, wenig Glauben, aber etwas Leichtgläubigkeit und
einen unverkennbaren Zug zum Abenteuerlichen. Voltaire, Diderot, Beau¬
marchais sind die typischen Figuren dieser fruchtbaren Epoche und diese drei
haben auch am meisten dazu beigetragen, den correcten, klaren und durch¬
sichtigen französischen Stil auszubilden, in welchem Courier excellirte und in
welchem noch heute des französischen Geistes eigenste Kunstform besteht. In
dieser Kunstform, die sich besonders zur Polemik eignet, liegt das beste Theil
des echten „esxrit 6auIoiL", das heißt der großen Richtung, welche in der
Geschichte der französischen Literatur bis auf Rabelais und Montaigne zurück¬
zuführen ist. Ihr gegenüber steht die Rousseau'sche Schule mit ihrer ein¬
seitigen Principienreiterei, ihrem oft hohlen Pathos, ihrer gesteigerten Sen¬
timentalität und der forcirten, oft sehr widernatürlichen Sehnsucht nach der
Natur und Natürlichkeit, die. nach der Meinung vieler Franzosen, etwas
Germanisches an sich trägt. Hier wäre eine Linie zu ziehen von Jean Jac¬
ques bis zu George Sand, aber diese Linie würde auch Robespierre, Saint-
Just und noch andere Schreckensmänner berühren. Der Deismus, den diese
Schule zur Schau trägt, und das abstracte Staatsprineip des Rousseau'schen


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[0432] Zug seines Lebens nicht richtig aufzufassen. Claude Tillier. der geistreiche Verfasser des humoristischen Romans „Onkel Benjamin" (den Ludwig Pfau bei der deutschen Lesewelt eingeführt hat), überdies als Sohn der Ton« raine Courier's engerer Landsmann und in mancher Beziehung sein Schüler, mäkelt an seinem Charakter herum und sucht die gegen ihn aufgebrachten Feindschaften in ungünstiger Weise zu erklären. Merkwürdigerweise findet sich auch in den Schriften Ludwig Börne's, dem aus vielen Aeußerungen und Wendungen die Bekanntschaft mit Courier nachzuweisen wäre, seiner keine Erwähnung. Courier war eine einsame Figur, weil er den herrschen¬ den politischen Vorurtheilen feines Volkes, besonders dem Chauvinismus und der Centralisation entgegentrat und die socialen Schwächen seiner Lands¬ leute, zumal das Höflingswesen, unerbittlich geißelte. Ja, daher, der gründ¬ liche Kenner und glückliche Nachahmer altgriechischer Classicität, an Frank¬ reichs akademischen Zopf zupfte und zum Beispiel von Talma's falschem Pathos nicht entzückt war, wurde ihm schwer verziehen. Denn der große Talma und der große Napoleon gehörten zu einander, lernten von einander und verstanden es beide gleich gut, die Geister Frankreichs imponirend zu unterjochen. — Courier steht auf der Grenzscheide zweier Jahrhunderte, zwischen denen ein Leben in fast gleiche Hälften zerfällt, und in der That hat er von beiden gewichtige Züge. Wer in Frankreich ein Mann des achtzehnten, des soge¬ nannten philosophischen Jahrhunderts genannt wird, der ist bezeichnet durch eine gewisse liebenswürdige Frivolität, Galanterie, Eleganz, viel Wahrheits¬ liebe und Pfaffenhaß, wenig Glauben, aber etwas Leichtgläubigkeit und einen unverkennbaren Zug zum Abenteuerlichen. Voltaire, Diderot, Beau¬ marchais sind die typischen Figuren dieser fruchtbaren Epoche und diese drei haben auch am meisten dazu beigetragen, den correcten, klaren und durch¬ sichtigen französischen Stil auszubilden, in welchem Courier excellirte und in welchem noch heute des französischen Geistes eigenste Kunstform besteht. In dieser Kunstform, die sich besonders zur Polemik eignet, liegt das beste Theil des echten „esxrit 6auIoiL", das heißt der großen Richtung, welche in der Geschichte der französischen Literatur bis auf Rabelais und Montaigne zurück¬ zuführen ist. Ihr gegenüber steht die Rousseau'sche Schule mit ihrer ein¬ seitigen Principienreiterei, ihrem oft hohlen Pathos, ihrer gesteigerten Sen¬ timentalität und der forcirten, oft sehr widernatürlichen Sehnsucht nach der Natur und Natürlichkeit, die. nach der Meinung vieler Franzosen, etwas Germanisches an sich trägt. Hier wäre eine Linie zu ziehen von Jean Jac¬ ques bis zu George Sand, aber diese Linie würde auch Robespierre, Saint- Just und noch andere Schreckensmänner berühren. Der Deismus, den diese Schule zur Schau trägt, und das abstracte Staatsprineip des Rousseau'schen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/432>, abgerufen am 04.07.2024.